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Scheitern der Ökostromnovelle könnte teuer werden

Von Werner Reisinger und Petra Tempfer

Politik

Große Novelle ist praktisch vom Tisch, bei kleiner drängen Grüne auf raschen Verhandlungserfolg.


Wien. Es fällt nicht leicht, den Überblick zu bewahren: In den vergangenen Wochen legten SPÖ und ÖVP immer wieder neue Prioritätenlisten für die offenen Vorhaben aus dem erst Ende Jänner mühsam ausverhandelten neuen Regierungsprogramm vor. Die Jobaktion 20.000, der Beschäftigungsbonus und die Bildungsreform sind aktuell die dringendsten Anliegen von Kanzler Christian Kern, während der neue ÖVP-Chef Sebastian Kurz gleich alle offenen Punkte des Regierungsprogramms abarbeiten will.

Doch ob ein neues Insolvenzrecht, die Studienplatzfinanzierung oder eine umfassende Zukunftsstrategie für den ländlichen Raum bis zum 17. Juli (oder in den dem Vernehmen nach für den Sommer geplanten Sondersitzungen) umgesetzt werden können, ist mehr als fraglich. Und einige Themenbereiche werden zwangsweise auf der Strecke bleiben - weil deren geplante Finalisierung auf einen Termin nach den Neuwahlen am 15. Oktober fallen würde. Die große Ökostromnovelle ist ein solches Vorhaben - im Dezember 2017 sollte sie laut Regierungsfahrplan im Ministerrat beschlossen werden.

Zum Hintergrund: Die Materie teilt sich auf zwei Novellen auf, nämlich auf die erwähnte große und auf eine kleine Ökostromnovelle. Die kleine Novelle beinhaltet Neuerungen bei der Errichtung von Photovoltaikanlagen auf Mehrfamilienhäusern, eine Verlängerung der Verfallsfrist von bereits genehmigten Windkraftprojekten und mehr Geldmittel für Kleinwasserkraftanlagen. Das Paket ist fast ausverhandelt, im März hat es den Ministerrat passiert - doch jetzt ist das Projekt auf Standby. Sehr zum Ärger der Grünen, die es unbedingt bis zum Sommer umsetzen wollen - und dafür gute Gründe haben.

"Großes Kopfnicken"von Kern und Kurz

Mit der kleinen Ökostromnovelle sollen nämlich auch Konzessionsvergaben und Regulierungsfragen neu organisiert werden. Seit zwei Jahren ist Österreich bei der Umsetzung einer entsprechenden EU-Richtlinie säumig. Ein Vertragsverletzungsverfahren läuft bereits, sagt die grüne Energiesprecherin Christiane Brunner: "Nur wenn das Gesetz bis Mitte Juli beschlossen wird, wird es uns möglich sein, Klagen abzuwenden." Wenn nicht, würde das Österreich teuer zu stehen kommen. Bis zu 160.000 Euro Strafe pro Tag könnte die EU verhängen, in Summe könnten Kosten von bis zu 185 Millionen Euro drohen.

Zwischen der abgetretenen Grünen-Chefin Eva Glawischnig und Kern gab es vergangene Woche noch "Übereinstimmung" bezüglich der Umsetzung, zudem brachten die Grünen das Thema auch beim Sechs-Parteien-Gespräch am Dienstag im Parlament aufs Tapet. Sowohl von Kern als auch von Kurz habe es dabei "großes Kopfnicken" gegeben, berichtet Brunner. Sie geht davon aus, dass die Novelle weiterverhandelt wird. Mit den Energiesprechern von SPÖ und ÖVP bestehe gutes Einvernehmen - nun hofft sie, dass diese auch mit entsprechendem Pouvoir ausgestattet werden.

Eine Realisierung der kleinen Ökostromnovelle würde zwar Klagen abwenden, sie allein geht aber nicht nur den Grünen nicht weit genug. "Zu Beginn 2018 sollte Österreich der EU-Kommission die Pläne im Klimabereich bis 2030 vorlegen. Die Energie- und Klimastrategie wäre diesbezüglich als Vorlage zu sehen", erklärt Stefan Nohel, Klima- und Energiesprecher des Umweltdachverbands. Bis Ende Juni 2017 wollten SPÖ und ÖVP eine gemeinsame Energie- und Klimastrategie in den Ministerrat bringen - sie sollte Basis für die große Ökostromnovelle sein. Mehr als fraglich ist, ob dies noch geschehen wird. Für Brunner ist die Priorisierung der Klimastrategie "ein Vorwand, die Novelle einfach aufzuschieben".

Seit der Klimakonferenz von Paris habe Österreich "keine einzige Maßnahme zur Erreichung der Vereinbarungen umgesetzt", kritisiert Brunner. Für Nohel steht noch mehr auf dem Spiel: "Wenn Österreich im nächsten Jahr die Ratspräsidentschaft innehat und bei eigenen Energiethemen nicht konsequent handelt, bezweifle ich, dass das ein gutes Bild macht."