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"Döbling braucht uns nicht"

Von Ina Weber

Politik
Kindergarten mit Konzept: Heide Rohringer mit Kindern vor dem Aquarium im großen Atelierraum in der Loeschenkohlgasse.
© Stanislav Jenis

Ein privater Kindergarten mit neuem Konzept mitten im sozialen Brennpunkt in Rudolfsheim-Fünfhaus.


Wien. "Auf den großen Werktisch sind sie besonders stolz", sagt Gülbeyaz Altun, die Geschäftsführerin des Vereins Kinder Traum, die im Jahr 2014 einen privaten Kindergarten im 15. Bezirk eröffnete. Neben den vielen kleinen Stühlen sieht der Tisch tatsächlich groß aus. Darauf wird stehend gewerkt, gesägt und gebastelt. Ab kommenden Herbst will der Kindergarten nach dem Konzept von Heide Rohringer arbeiten, wonach der Schwerpunkt auf Theater- und Kulturpädagogik gesetzt werden soll. Rohringer und Altun haben sich vor gut einem Jahr gefunden. "Es war uns beiden sofort klar, dass wir dieses Wagnis gemeinsam eingehen wollen", sagt Rohringer, "hier mitten im sozialen Brennpunkt."

Die Weichen wurden bereits vergangenen Sommer gestellt. Die beiden Frauen begannen nach der "Ichduwir"-Methode, die Pädagogin Rohringer in den 1990er Jahren entwickelte, zu arbeiten. "In der Mitte ist der Mensch", erklärt sie kurz das Konzept, "ich berücksichtige dabei nicht nur die Entwicklung, sondern auch das Umfeld des Kindes - den Unterschied 19. Bezirk und hier, lebt es in einer Patchworkfamilie oder bei Alleinerzieher, das alles prägt das Kind", sagt sie. Neben den Grundlagen "Kind und Entwicklung", "Kind und Gesellschaft" kommt als drittes "Kind und Kunst" hinzu - die Erlebniswelt. "Was möchte ich diesen Kindern als Ausschnitt der Welt zeigen. Das ist das gemeinsame Abenteuer."

"Die müssen wirgut zur Schule bringen"

80 Prozent der Kinder konnten im Herbst 2016 noch gar kein Deutsch. "Die konnten aber auch nicht wirklich türkisch oder serbisch sprechen, die hatten gar keine Sprache", so Rohringer. "Die müssen wir aber gut zur Schule bringen", sagt sie, "diese Verantwortung haben wir als Kindergarten." Rohringer und Altun stellten ihr Team zusammen. Der Morgenkreis, wo Kinder nur still sitzen müssen, wurde abgeschafft, stattdessen wurden Teamkonferenzen eingeführt. "Wenn ich fragte, ist der Malek heute da, haben entweder alle geschrien oder keiner hat etwas gesagt", erzählt die Pädagogin, "heute meldet sich jeder gern zu Wort." Wichtig sei es, die Kinder zu stärken, mit ihnen zu sprechen und den Kindern zu vermitteln, "dass keine Sprache besser oder schlechter ist als eine andere", sagt Rohringer.

Aufgrund solcher Erfahrungen würden die Kinder jetzt - im Juni - wie die Wasserfälle plappern. "Und sie verlangen eigenständig Teamkonferenzen, wenn es Konflikte gibt", lacht Rohringer. Ende Juni gebe es sogar mit allen Kindern und deren Eltern ein gemeinsames Picknick. Das sei im Herbst noch undenkbar gewesen.

Leicht sei es in Rudolfsheim-Fünfhaus nicht, sagt Altun. Aber sie konnte nur dort einen Kindergarten eröffnen, wo es auch seitens der Stadt Wien einen Bedarf gab. "In Döbling brauchen sie uns ja eh nicht", sagt Rohringer und lacht. Dort sei die Klientel ohnehin so, dass mit den Kindern viel unternommen wird. Das sei hier anders. "Viele Kinder sind jeden Tag zehn Stunden im Kindergarten und am Wochenende sitzen sie vor dem Computer", so Altun. Wenn die Eltern dann auch noch in ihrer Freizeit "nur noch ins Handy schauen", dann werde es für die Kinder sprachlich eng.

"Wir müssen mit denKindern viel sprechen"

"Wir haben Eltern, die können sich nur mit unseren Assistentinnen in Serbisch oder Türkisch unterhalten. Das ist grundsätzlich in Ordnung", so Rohringer, "aber die Kinder müssen die deutsche Sprache lernen. Wir müssen den Kindern aber auch Zeit geben. Und wir müssen halt auch mit den Kindern sprechen - sowohl die Pädagogen als auch die Eltern."

Der von der Stadt gesetzten Initiative, Sprachförderkräfte in Kindergärten zu schicken, steht Rohringer kritisch gegenüber. "Ich glaube, dass das viel zu früh am Reparaturmodus ansetzt", so die Pädagogin. Das sei ein System "permanenter und immer früher ansetzender Kontrolle und Defizitfestellung, statt der frühkindlichen Entwicklung Zeit und anregende Aufmerksamkeit zu schenken". Über die derzeit von der Stadt Wien durchgeführten verstärkten Kontrollen (siehe Artikel unten) ist Rohringer nicht verwundert. Für sie besteht ein wesentliches Problem des Kindergartenwesens aus dem "unüberschaubaren Wildwuchs an Kindergruppen und Privatkindergärten, die eher ein Geschäftsmodell als ein pädagogisches Anliegen verfolgen". Auch dass die finanzielle Förderung für einen Kindergarten behördliche Ermessenssache sei, erwecke für viele pädagogisch interessierte Betreiber den Eindruck, im Nachteil zu sein.

Je lauter die Forderung wurde, Kinder unabhängig von Herkunft und sozialem Umfeld zu fördern, umso stärker fand für Rohringer in der Praxis eine Ghettobildung statt. Auch ließen die unterschiedlichen Ausbildungen die Pädagogik der 70er Jahre aufleben. "Da ist unser Konzept ja schon wieder eine exotische Erscheinung."