Zum Hauptinhalt springen

Grüne Schule, brauner Anstrich

Von Werner Reisinger

Politik

Lais-Schulen tarnen sich als Alternative zur Regelschule, sie verbreiten sich rasant in ganz Österreich. Im Hintergrund steht die völkisch-esoterische, antisemitische Anastasia-Bewegung aus Russland. Auch Staatsverweigerer und Rechtsextreme mischen mit.


Wien. Mobbing, Leistungsdruck, Probleme im Unterricht - immer mehr Eltern sehen die österreichischen Regelschulen kritisch oder lehnen sie ganz ab. Vielen wird in der Schule nicht mehr das vermittelt, was der Nachwuchs aus ihrer Sicht im späteren Leben braucht. Alternative Angebote wie Montessori, Waldorf oder die anthroposophischen Rudolf-Steiner-Schulen boomen daher. An diesen Trend haben sich auch die sogenannten Lais-Schulen angehängt. Seit 2014 in Klagenfurt das erste Lais-Projekt gegründet wurde, verbreitet sich das Konzept in ganz Österreich. In fast allen Bundesländern sind in den letzten Jahren Lais-Gruppen entstanden. Neben Klagenfurt sind Salzburg, das Waldviertel und die Steiermark Lais-Hochburgen, auch in Oberösterreich gibt es seit kurzem Lais-Gruppen. Inzwischen sind in Regional- wie auch in Qualitätsmedien etliche Beiträge über Lais erschienen. Kaum jemand aber hatte sich die Mühe gemacht, nachzuforschen, woher dieses gar wundersame Konzept eigentlich kommt.

Wie berichtet, werben Lais-"Schulen", die eigentlich über häuslichen Unterricht laufen, und sich deshalb auch nicht Schulen nennen dürfen, mit absurden Angeboten. "In vier Tagen Mathematik bis zur Matura", "Lesen und Schreiben lernen an nur einem Tag", verspricht die Homepage des Klagenfurter Lais-Teams. Monatlich 250 Euro müssen Eltern pro Kind für die Kursteilnahme berappen. Wie von Zauberhand sollen dann die Kinder voneinander lernen, angstfrei, "natürlich". Nach außen hin treten die Lais-"Schulen" äußerst geschickt in Erscheinung. Die Internetseiten sind perfekt gemacht, nichts deutet auf einen rechtsesoterischen Hintergrund hin. Die russische Schetinin-Schule am Schwarzen Meer, so behauptet Lais-Gründerin Alexandra Liehmann, sei nur eine von zahlreichen alternativen Schulen gewesen, die als Inspiration für Lais gedient hätten. Mit der völkisch-esoterischen Anastasia-Bewegung, die Anhänger des russischen Esoterik-Autors Wladimir Megre seit 2001 im deutschsprachigen Raum populär gemacht haben, will man in Klagenfurt nichts zu tun haben. Liehmann und der ehemalige Tennistrainer und Mentalcoach Dieter Graf-Neureiter, ebenfalls Lais-Begründer in Klagenfurt, stellen einen Bezug zur Anastasia-Bewegung, deren antisemitisches, völkisch-neuheidnisches Gedankengut und Verbindungen ins klassische, rechtsextreme Milieu vergangene Woche der Bayerische Rundfunk in einer Dokumentation ausführlich beleuchtete, in Abrede.

Recherchen der "Wiener Zeitung" zeigen jedoch: Alexandra Liehmann ist nicht nur in der heimischen Anastasia-Szene verwurzelt, sie steht auch mit jener Frau in engem Kontakt, die eigene Aussagen zufolge schon 2003 den ersten Anastasia-Lesekreis in Wien gegründet hat: die Anwältin Vera Weld. Weld setzt sich seit Jahren intensiv für die Verbreitung der Anastasia-Lehre in Österreich ein. Sie selbst sei die Erste in Österreich gewesen, erzählt sie stolz im persönlichen Gespräch. Häufig besucht die Anwältin völkische Landsitze in Russland, hält Vorträge und Seminare und versucht, im niederösterreichischen Waldviertel selbst einen Anastasia-Landsitz zu gründen: das Projekt "Hoffen".

Anastasia stand am Anfang

Ein Youtube-Video zeigt Weld auf einem ihrer Seminare in Russland, sie macht Werbung für ihr Projekt "Hoffen" im Waldviertel. Wo denn die Kinder des Landsitzes in die Schule gehen werden, will eine russische Zuhörerin wissen. Alles kein Problem, es gäbe ja das Lais-Konzept von Alexandra Liehmann, sagt Weld. Sie habe ihr damals den Weg zur Schetinin-Schule am Schwarzen Meer gewiesen.

Liehmann stellt das nicht in Abrede. "Vera Weld war die Kontaktperson in Österreich", schreibt sie per mail auf eine entsprechende Frage. Dass sie nach wie vor mit Weld in Kontakt steht, verneint die Lais-Gründerin. Weld selbst aber erzählt eine völlig andere Geschichte. Liehmann sei schon bei ihrem ersten Anastasia-Lesekreis dabei gewesen, "danach sind meine Töchter ausgeschwärmt", sagt sie. Liehmann habe einen eigenen Lesekreis in Klagenfurt gegründet.

Das bestätigen auch Recherchen der ORF-Sendung "Thema" (zu sehen am Montag, 19. Juni in ORF2). Noch immer ist im Internet ein Eintrag von "Anastasia Gruppe Kärnten Organisator Liehmann Alexandra" von 2011 zu lesen. Für den April 2012 wird ein "2. Mutter-Kind Anastasia Treffen" angekündigt: "Thema Siedlungsprojekt, Tauschkreis, Anastasia-Ideen im Alltag umsetzen (...) Stand Familienlandsitze in Russland, Reiseinformationen für Russlandreise in Siedlungen, Dolmen & Schetinin-Schule von Gast Vera Weld", ist zu lesen. "Wann immer ich in Klagenfurt bin, besuche ich sie, wann immer sie in Wien ist, besucht sie mich", sagt Vera Weld über Lais-Gründerin Liehmann, die behauptet, nichts mit der Anastasia-Bewegung zu tun zu haben.

"Bei uns in Klagenfurt, an der Forschungsschule, werden keine Ideologien gelebt", behauptet Liehmann. ORF-"Thema" durfte erstmals im Klagenfurter Lais-Institut drehen. Auch gegenüber Thema behauptete Liehmann: "Wir haben mit der Schetinin-Schule nix zu tun. Außer, dass ich mal dort war und mir angesehen habe wie die Kinder dort in Gruppen lernen."

Lais und der Verein "Gaia"

Eine Lais-Ausbildung, die übrigens nicht gerade billig ist, hat auch besagte "ICCJV"-Aktivistin Ute Michaela W. erhalten. Sie habe Ende 2014 ein Video über die Lais-"Schule" in Klagenfurt gesehen, schrieb W. in einem auf Jänner 2017 datierten Eintrag auf der Homepage von Lais-Klagenfurt. Dort wurde W. bis vor einigen Monaten auch als Anbieterin des "Lais Modul IV" gelistet. Inzwischen sind alle Spuren von W. auf der Lais-Homepage verschwunden. Wusste Liehmann von W.s Engagement bei Lais? "Zu uns kommen sehr viele Menschen, auch weltweit, um die Ausbildungen zum Lernbegleiter hier direkt in Klagenfurt machen zu können", schreibt Liehmann. Die Waldviertlerin W. habe zwar die Ausbildung zum Lernbegleiter gemacht, dabei allerdings "nicht über ihre Ideologien gesprochen".

Unterstützung bei der Gründung der Lais-"Schule" hatten Liehmann und ihr Team übrigens auch vom esoterischen Verein "Gaia", der angeblich mehr als 4000 Mitglieder hat. "Gaia" sucht im Netz nach Sponsoren für ein "Auftriebskraftwerk" und macht Werbung für die rechtsradikale "Neue Germanische Medizin" des ehemaligen Arztes Ryke Geerd Hamer. Dessen "Therapie" wäre 1995 der kleinen, krebskranken Olivia Pilhar beinahe zum tödlichen Verhängnis geworden. Olivias Vater, seit damals Anhänger von Hamer, ist heute ebenfalls in der Staatsverweigerer-Szene aktiv.

Liehmann persönlich stellte das Lais-Projekt beim Gaia-Kongress 2015 vor, eine weitere Zusammenarbeit mit dem Verein bestreitet sie. Nach wie vor aber wird in den Gaia-Foren intensiv für die Lais-"Schulen" geworben. Da der Verein aber "über 4000 Mitglieder" habe, könne sie sich "gut vorstellen, dass dass dort Menschen verschiedene Ideologien vertreten", schreibt Liehmann. In einem Video vom Gaia-Kongress sagt Liehmann, sie habe mit 19 die Anastasia-Bücher gelesen. Seit damals wisse sie, "dass das stimmt". Man habe das Konzept nach Österreich holen wollen, sagt Liehmanns Partnerin im Video.

Nicht nur für Personen aus der Staatsverweigerer-Szene und Anhänger von völkischen Siedlungsbewegungen wie Anastasia sind von den Lais-"Schulen" begeistert. Auch führende Personen der klassischen rechtsextremen Szene docken bei Lais an. Schauplatzwechsel, der kleine Ort Hof bei Salzburg. Im Juni 2015 startete der Managementtrainer Eduard Kaan ebenfalls ein Lais-Projekt. Als sein "Kernteam" stellte er damals auf Facebook unter anderem eine junge Frau aus Deutschland vor: Dietlind B. Zumindest laut der Lernplattform der Pädagogischen Hochschule Salzburg studiert B. ebendort Volksschulpädagogik.

Der "Sturmvogel" mischt mit

Ganz nebenbei gehört B. vor allem zur Bundesspitze des radikal rechten, völkischen Jugendbunds "Sturmvogel". Dieser ist eine Abspaltung der inzwischen verbotenen Wikingjugend, mit der früher auch FPÖ-Chef Heinz-Christian Strache in Kontakt stand. Die auf Rechtsextremismus spezialisierte, deutsche Journalistin Andrea Röpke hat die Jugendlager des "Sturmvogels" beobachtet: Sie berichtet von militärischem Drill, den die Kinder im wahrsten Wortsinne bis zum Umfallen durchhalten müssen. Als "volkstreu eingestellte Deutsche" bezeichnet sich der Sturmvogel selbst, man wolle gegen den "Ungeist" auftreten, der "unser Volk derzeit jeden Atemzug verpestet". Auf einem Video vom Mai 2015 ist B. deutlich zu erkennen, wie die 25-Jährige dem Salzburger Lais-Gründer Eduard Kaan auf einer Infoveranstaltung Fragen zum Lais-Konzept stellt. Auf die schriftliche Bitte nach einer Stellungnahme diesbezüglich reagierte B. nicht.

Zuerst will sich Eduard Kaan nicht an B. erinnern. Mit den Rechercheergebnissen konfrontiert, sagt er: "Die Dietlind war nur bei den ersten Veranstaltungen dabei." Von B.s "Sturmvogel"-Aktivitäten habe er keine Kenntnisse gehabt. Ende Sommer 2015 habe sich B. verabschiedet - "sie hat ihre Wandervögel (sic) in Deutschland und muss ihr Studium vorantreiben". Kaan spricht von "unterschiedlichsten Ecken" der "Zivilgesellschaft", wie den Montagsdemos in Salzburg, die sich für sein Lais-Projekt begeistert hätten. Am Anfang, sagt Kaan, hätte man nicht überprüft, wer von wo käme und wer welchen Hintergrund habe. Tatsächlich ließ sich Kaan auch vom Internetportal "Krypto TV" und dem dubiosen Verein "Golden Earth Vision", der dem Salzburger Lais-Projekt Räumlichkeiten zur Verfügung stellt, interviewen. Hinter "Krypto-TV" steht ein gewisser Roman Michael Tippler alias Roman Roider, der auf Facebook offen und unbehelligt den Holocaust leugnet. Wenn er sich nicht mit Lais beschäftigt, interviewt Tippler gerne Impfgegner, Verschwörungstheoretiker und Esoterikautoren zu deren absurden Theorien.

Die komplexen ideologischen Wurzeln und Verbindungen der Lais-Szene zeigen: Esoterik ist nicht nur längst nach rechts gekippt, sie versucht auch intensiv, in die Mitte der Gesellschaft vorzudringen. Und das mit Erfolg.

Eine Doku des Bayerischen Rundfunks widmet sich der Anastasia-Bewegung und rechten Esoterik.

Informationsblatt der Schweizer Beratungsstelle InfoSekta

Tätigkeitsbericht der Bundesstelle für Sektenfragen, 2015

Die ORF Sendung "Thema" widmete sich am 19. Juni den Lais-Schulen und der Anastasia Bewegung. Die Sendung gibt es in der ORF TV-thek sieben Tage zum Nachsehen.