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"Die Mafia beruht auch auf Kooperation"

Von Thomas Seifert

Politik
© Thomas Seifert

Wie findet man die Balance zwischen Konflikt und Zusammenarbeit? Alpbach-Präsident Franz Fischler und Spitzenjuristin Christiane Wendehorst gehen dieser Frage nach.


"Wiener Zeitung": Das Thema des heurigen europäischen Forums Alpbach ist "Konflikt und Kooperation". Wie findet man die Balance zwischen diesen beiden Polen?

ChristianeWendehorst:Man könnte sich an den Tugenden des Sports ein Beispiel nehmen. Da geht es um Wettbewerb, im Teamsport wohl auch um Konflikt. Es will ja jeder gewinnen. Aber gleichzeitig geht es darum, dass alle nach den gleichen Regeln spielen, Fairness ist oberste Tugend. Daran könnte man sich orientieren. In der politischen Arena schimmern die Rechtskultur und die politische Kultur durch: So gibt es etwa im angelsächsischen Raum stark mehrheitsbildende Wahlsysteme, in Österreich ist das nicht der Fall. Das führt zu einer Polarisierung in der politischen Landschaft, die in den USA oder in Großbritannien stärker ist als in Deutschland oder Österreich.

Franz Fischler: In dieser Frage geht es wohl darum, wie man das Wahlrecht organisiert, dass man als Resultat eine funktionsfähige Regierung hat, welche die Staatsaufgaben wahrnehmen kann und dass sich die unterschiedlichen Parteien nicht gegenseitig paralysieren. In Österreich wäre es höchst an der Zeit, dass man eine gewisse Weiterentwicklung unseres Wahlrechts vornimmt - vor allem, um den Parlamentarismus zu stärken.

Das Parlament ist zu sehr zu einem Abnickorgan von Regierungsentwürfen geworden. Das zu ändern, wäre höchst wünschenswert. Eine weitere Fehlentwicklung: das Prinzip der Unabhängigkeit des Rechts und der Richter. Das wird zum Teil dadurch unterminiert, dass die Politik den Höchstgerichten immer wieder zumutet, nicht Recht zu sprechen, sondern im Kern politische Urteile - nämlich vor allem unangenehme Entscheidungen, denen die Politik aus dem Weg gehen will - zu fällen. Dazu kommt, dass man in Österreich durch die Einführung immer neuer Verfassungsartikel in einfache gesetzliche Regelungen die Verfassung zu einem gewissen Grad aushebelt.

Populisten setzen auf Konflikt, nicht Kooperation. Ihr Motto: "Ihr mit uns gegen den Rest der Welt."

Franz Fischler: Populisten sagen: "Ich repräsentiere die Volksmeinung." Wer nicht der Meinung der Populisten ist, gehört nach dieser Leseart nicht dazu. Sie sagen: "Das Recht geht vom Volk aus." Und sie sagen auch: "Wir sind das Volk." Aber in der Realität ist es nur eine Minderheit von vielleicht 15, 20 Prozent, die populistische Parteien wählt. Wie kommen die Populisten also dazu, zu behaupten, dass sie das Volk repräsentieren?

Christiane Wendehorst: Dem kann ich nur zustimmen. Allerdings, die Populisten behaupten auch: "Wir sind die Einzigen, die euch zuhören, die euch ernst nehmen." Da wird tatsächlich ein Finger auf die Wunde gelegt. Woher kommt das Gefühl bei vielen Bürgerinnen und Bürgern, dass ihnen nicht zugehört wird, dass die Politik macht, was sie will? Im politischen Konflikt kommen die Anliegen der Bürgerinnen und Bürger vielfach gar nicht zur Sprache und so wird Politik als Theater wahrgenommen und die Politikverdrossenheit befeuert.

In der Regierungskoalition gab es in den vergangenen Jahren Konflikt und nicht Kooperation.

Franz Fischler:Wann immer man gemeinsame Ziele hatte, überwog die Kooperation. Nach dem Zweiten Weltkrieg gab es zur Kooperation angesichts der Lage im Land gar keine Alternative. Der EU-Beitritt und die Anstrengungen, die dazu nötig waren, haben die Koalitionspartner dann in den 90er Jahren zusammengeschweißt. Dazu kommt: Kooperation ist nicht immer per se etwas grundsätzlich Gutes, die Mafia beruht schließlich auch auf Kooperation. Zusammenarbeit kann ja auch degenerieren. Man muss also über neue Formen der Kooperation nachdenken. Da braucht es gesellschaftliche Innovation und eine breite Diskussion darüber, wie wir die Gesellschaft und die Politik weiterentwickeln wollen.

Steht die österreichische Politik an einem Wendepunkt? Die nächste Wahl wird alles andere als Werner Faymann versus Michael Spindelegger.

Franz Fischler: Gott sei Dank. Man muss das als Chance begreifen. Es gibt keine Garantie dafür, dass man mit den neuen Köpfen aus dem alten Trott herauskommt. Aber die Chance ist da. Worüber Konsens herrscht: dass es so nicht weitergehen kann. Und da besteht durchaus die Chance, dass da ein neues Kapitel eröffnet wird - gleichzeitig kann das auch schiefgehen.

Christiane Wendehorst: Es ist doch so: Die, die gute Politik machen, sollten, wenn alles gutgeht, wiedergewählt werden. Also müsste der politische Überlebenswillen gebieten, dass man die Entscheidungen so trifft, wie sie für das Gemeinwohl am besten sind.

Kann das Recht eine solche Tendenz im Sinne des Gemeinwohls unterstützen?

Christiane Wendehorst: Denken Sie beispielsweise an den Klimawandel: Da besteht eine Aufgabe des Rechts darin, dass man geschickt Strukturen schafft, in denen längst bekannte allzu menschliche Verhaltensweisen in die richtigen Bahnen gelenkt werden. Wie kann man dafür sorgen, dass der Einzelne davon profitiert, wenn er oder sie sich so verhält, dass es für das Gemeinwohl vernünftig ist?

Wird man in Alpbach auf all diese Fragen eine Antwort finden?

Franz Fischer: Es ist nicht der zentrale Zweck von Alpbach, dass man von dort fertige Antworten nach Hause mitnimmt. Alpbach ist jener Ort, wo das gemeinsame Nachdenken, das laute Nachdenken, das informelle Nachdenken dazu führt, dass man Anregungen dafür bekommt, worüber es sich lohnt, weiter nachzudenken.

Zu den Personen

Christiane Wendehorst

Die Münchnerin Christiane Wendehorst (geb. 1968) lehrte mit 30 Jahren als jüngste Professorin Deutschlands an der Universität Greifswald (1998), von 1999 bis 2008 lehrte sie in Göttingen. Sie hat unter anderem an der Universität Cambridge studiert und erhielt 2008 den Ruf an das Juridicum der Universität Wien.

Franz Fischler

Der frühere Landwirtschaftsminister und EU-Kommissar Franz Fischler ist seit 2012 Präsident des europäischen Forums Alpbach.