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Korrektur eines Versäumnisses

Von Simon Rosner

Politik

Das neue Staatsziel "Wachstum" wird konkret. Die FPÖ verschafft SPÖ und ÖVP die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit.


Wien. Jetzt soll alles schnell gehen. Noch im Juni wollen ÖVP und SPÖ der Bundesverfassung eine neue Staatszielbestimmung verpassen: "Die Republik Österreich bekennt sich zu Wachstum, Beschäftigung und einem wettbewerbsfähigen Wirtschaftsstandort." Die nötige Zwei-Drittel-Mehrheit dürfte mit der FPÖ gelingen. "Wie es derzeit aussieht, gehen wir mit", sagt FPÖ-Verfassungssprecher Harald Stefan.

Was auf den ersten Blick nach No-na klingt, ist der Versuch der Regierung, dem Staatsziel des Umweltschutzes ein konkurrierendes Ziel an die Seite zu stellen. Wirtschaftswachstum und Ökologie müssen sich zwar nicht ausschließen, der Zusammenhang zwischen Wachstum und Ressourcenverbrauch ist aber evident, wie auch der Ökonom Michael Getzner von der TU Wien sagt. Er ist auch Vorstand des Forums "Wissenschaft und Umwelt".

Hintergrund dieses Initiativantrags ist das negative Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts zur dritten Piste des Flughafens Wien-Schwechat. Dies sollte sich, und hier sind einander ÖVP und SPÖ einig, nicht noch einmal wiederholen. Der Umwelt- und Klimaschutz soll nicht das überragende öffentliche Interesse darstellen, sondern gleichrangig mit anderen Interessen, eben beispielsweise Wettbewerbsfähigkeit oder Beschäftigung sein. So argumentieren ÖVP und SPÖ.

In der Realität hat die Staatszielbestimmung aber bisher so gut wie gar keine Rolle gespielt. Die Politik hatte sie in den 80er-Jahren, als es opportun war und der Umweltschutz eine breitere gesellschaftliche Bedeutung erhielt, in die Verfassung geschrieben. Daran gehalten hat sie sich aber selbst nicht unbedingt. "Ich kann mich nicht erinnern, dass je ein Projekt aus Umweltschutzgründen abgelehnt wurde", sagt die Klimaforscherin und Präsidentin des Forums "Wissenschaft und Umwelt", Helga Kromp-Kolb.

Das mag auch daran liegen, dass die Entscheidungen über derartige Bauprojekte bis vor Kurzem Behörden im Einflussbereich der Politik getroffen haben. Durch die Reform der Verwaltungsgerichtsbarkeit sind nun unabhängige Senate zuständig. Sie entscheiden auf Basis der Gesetze. Auch Staatsziele können daher in der Bewertung eine Rolle spielen.

"Kurzsichtiger Aktionismus"

Für den Verfassungsrechtler Theo Öhlinger ist das Bestreben der Regierung ein "Tiefpunkt der österreichischen Verfassungskultur", wie er sagt. Und auch sein Kollege Bernd-Christian Funk meint: "Das ist kurzsichtiger Aktionismus. Und wenn man damit erreichen wollte, eine bestehende Rechtssprechung zu beeinflussen, dann wäre das überhaupt sehr problematisch", sagt Funk.

Öhlinger stößt sich auch am überhasteten Vorgehen, schließlich befasst sich der Verfassungsgerichtshof in seiner Sommersession bis 1. Juli mit der Beschwerde des Flughafens. Hierbei wird es auch um die Bewertung von Staatszielen ganz allgemein gehen. "Ich verstehe nicht, warum man das Verfahren nicht abwartet", sagt Öhlinger.

Beim Klimaschutz hat es die Regierung dagegen weit weniger eilig, und das seit zwei Jahrzehnten. 1997 ging Österreich mit der Unterzeichnung des Kyoto-Protokolls eine Vereinbarung zur Reduktion der CO2-Emissionen ein, an diesen Zielen segelte man jedoch meilenweit vorbei.

Im Dezember 2015 wurde dann in Paris ein neues Abkommen verabschiedet. Die Regierung avisierte zunächst für den Herbst 2016 die für Österreich aus diesem Vertrag folgernde Klimastrategie, zuletzt war sie für diesen Juni geplant, doch auch daraus wird nichts mehr. Die Klimastrategie wird damit Angelegenheit der nächsten Regierung.

Liest man das Erkenntnis des Bundesverwaltungsgerichts, ist auch klar, dass weniger das Umweltschutz-Staatsziel aus den 80ern, sondern politische Versäumnisse der jüngeren Vergangenheit den Senat bewogen haben, den Bau der dritten Piste nicht zu genehmigen. Anders formuliert: Hätte die Regierung bereits eine Klimastrategie verabschiedet, aus der hervorgehen würde, wie trotz dritter Flughafenpiste die Paris-Ziele erreicht werden, hätte das Bundesverwaltungsgericht kein Argument gehabt, das Projekt abzulehnen.

"Das Erkenntnis war eine deutliche Erinnerung, dass hier Versäumnisse der Regierung vorliegen", sagt Funk. Aufgerüttelt wurden ÖVP und SPÖ jedenfalls, allerdings nicht mit der Konsequenz, dass die Klimastrategie priorisiert wird, sondern eben ein neues Staatsziel definiert werden soll, um die Bedeutung des Umweltschutzes abzuschwächen. "Die Umwelt wird sicher verlieren", vermutet Öhlinger. "Ein Gericht wird sich dann schwerertun." Was dazu kommt: Der Klimawandel hat auch selbst ökonomische Auswirkungen. Wenn es nicht gelingt, die globale Erwärmung zu begrenzen, wird das vermutlich auch Folgen für den hiesigen Wintertourismus haben.

Wohlfahrt statt Wachstum

Ökonom Getzner verweist auch auf einen anderen Aspekt. Der Bau der dritten Piste hätte bis zu 1,8 Milliarden Euro gekostet. "Das Geld fällt aber nicht vom Himmel", sagt Getzner. Der Flughafen Wien ist zu je 20 Prozent im Eigentum der Bundesländer Wien und Niederösterreich, in den Ausbau wären also auch öffentliche Mittel geflossen. Diese könnte man anderswo investieren und damit ebenfalls Beschäftigungsimpulse und Wirtschaftswachstum auslösen. Auch das müssten Gerichte zukünftig mitdenken.

Das Forum "Wissenschaft und Umwelt" fordert, wenn es schon ein neues Staatsziel sein muss, Wohlfahrt und nicht Wachstum anzustreben. Das Bruttoinlandsprodukt sagt nämlich nichts darüber aus, wie Gewinne verteilt sind, wie hoch der Ressourceneinsatz ist und ob es etwa Auswirkungen auf die Volksgesundheit gibt, wie das im Wachstumsland China in den urbanen Regionen durch den Smog der Fall ist. Wohlfahrt umfasst auch diese Bereiche, nicht nur die wirtschaftliche Entwicklung. Dazu bräuchte es aber zunächst eine öffentliche Diskussion über Staatsziele und ihre Bedeutung. Aber jetzt soll eben alles sehr schnell gehen.