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Vogelhäuschen aus Sing-Sing

Von Alexander Maurer

Politik

Auf der Onlineplattform Jailshop verkaufen sieben Justizanstalten von Häftlingen gefertigte Produkte. Gefängnisinsassen dienen schon seit Jahren als günstige Arbeitskräfte für Unternehmen und bringen dem Staat Millionen.


Wien. In der kleinen, aus drei Räumen bestehenden Spenglerei herrscht gegen Mittag reger Betrieb. Fräsen und Hämmern ist zu hören, aus einem kleinen Radio plärrt Ö3-Musik. Ein kräftiger junger Mann sitzt an einer Werkbank und schneidet Metallplatten in kleine Teile, an einem anderen Tisch wird zugeschnitten. Auf den ersten Blick wirkt die Werkstatt wie jede andere. Aber sie befindet sich in der Justizanstalt Simmering im Schloss Kaiserebersdorf.

Die Arbeiter sind allesamt Häftlinge, die die Restzeit ihrer Haftstrafen zwischen drei Monaten und fünf Jahren absitzen. Währenddessen arbeiten sie im Gefängnis oder schließen eine Lehrausbildung als Bäcker, Koch, Spengler, Schlosser, Maler oder Maurer ab. Die Arbeit hinter Gittern ist für alle Häftlinge gesetzlich vorgeschrieben, die körperlich oder geistig dazu in der Lage sind. In Simmering sind das etwa 80 Prozent der Insassen.

Diese Maßnahme gilt seit jeher als wichtiger Teil des Strafvollzugs. Inhaftierten werden ein geregelter Tagesablauf und eine sinnstiftende Tätigkeit geboten. "Damit machen wir die Insassen wieder fit für die Freiheit", sagt Justizminister und Vizekanzler Wolfgang Brandstetter. Um diese Tätigkeiten sichtbarer und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen, wurde das Projekt "Jailshop" initiiert - ein Onlineshop, in dem einige österreichische Justizanstalten von Häftlingen gefertigte Produkte anbieten.

Produkte aus sieben Gefängnissen

Das Portal wirbt mit dem - für das Justizministerium ungewöhnlich saloppen - Wortspiel "Handwerk, das sitzt". 43 verschiedene Produkte werden angeboten, von Kluppenherzen über Briefbeschwerer aus Metall, Nirosta-Ausstecher für Schnitzel in Form Österreichs, Vogelhäuser, Feuerkörben, Brotkörbe bis hin zu einem Wetterhahn. Letzterer ist der teuerste Artikel und kostet 379,90 Euro. Die Kluppenherzen und ein Flaschenöffnerschlüsselanhänger sind die günstigsten Produkte. Sie kosten 8,90 Euro. Das Portal wirbt auch damit, dass der Kauf die Resozialisierung der Häftlinge unterstütze. Die Waren stammen nicht nur aus Simmering, sondern auch aus den Haftanstalten aus Garsten, Karlau, Klagenfurt, Salzburg und Suben. Was wo produziert wird, wird genau auf der Homepage ausgewiesen. Um den Shop kümmert sich die Justizanstalt Salzburg.

Dass Häftlinge im Gefängnis arbeiten oder eine Ausbildung machen, ist nichts Neues. Das Berufsfeld beschränkt sich aber schon längst nicht mehr auf die Verdingung als Gärtner, in einer Wäscherei, Backstube oder Tischlerei. Immer mehr Firmen und Unternehmen nutzen Gefängnisse als Produktionsstätten.

In Österreich lassen 1055 Unternehmen in Haftanstalten produzieren, wie eine parlamentarische Anfrage an den Justizminister im März 2016 ergab. Vom Justizministerium werden Unternehmen die Produktionsmöglichkeiten in Haftanstalten offensiv schmackhaft gemacht.

Geworben wird unter anderem damit, dass "hochmotivierte Arbeitskräfte sofort zur Verfügung stehen" sowie mit den wirtschaftlichen Vorteilen. Denn beschäftigen Unternehmen Häftlinge, entfallen für sie größtenteils die Lohnnebenkosten, und im Krankheitsfall müssen keine Lohnfortzahlungen erfolgen. Auch gibt es weder Pensionseinzahlungen noch den gesetzlichen Mindestlohn.

Für externe Unternehmen sind die Häftlingswerkstätten daher personaltechnisch ein Schnäppchen. Für eine Arbeitsstunde bezahlen sie lediglich 9,70 Euro. Aber auch der Staat schneidet mit und behält davon drei Viertel als Vollzugskostenbeitrag ein. Im Jahr 2015 bedeutete das 31 Millionen Euro für den Staat. Häftlingen bleiben im Monat bei durchschnittlich 60 Arbeitsstunden etwa 70 Euro übrig.

"Wir müssen Häftlingen Arbeit anbieten"

Verkommt Häftlingsarbeit von einer Resozialisierungsmaßnahme zu Ausbeutung? Justizminister Brandstetter betont, dass die Arbeits- und Ausbildungspflicht für Insassen gesetzlich vorgeschrieben sei. "Es geht nicht darum, Geschäfte zu machen, sondern sinnvolle Möglichkeiten für die Beschäftigung von Häftlingen anzubieten, um die Resozialisierung zu erleichtern." Die Aufteilung der Erlöse sei überdies gesetzlich geregelt, sagt Brandstetter. Beim Jailshop würde der Erlös wie bei externen Produktionen aufgeteilt werden. Rechnet man das durch, würde der der Staat beim Verkauf eines Wetterhahns beispielsweise 285 Euro erhalten, den Gefangenen blieben 95 Euro.

Die Liste mit den 1055 Unternehmen verschwand im Zuge einer Recherche des Monatsmagazins "Datum" übrigens von der Parlamentshomepage - "aus Datenschutzgründen", wie man erklärte. Sie liegt jedoch der "Wiener Zeitung" vor und enthält vor allem klein- und mittelständische Unternehmen, die auf Häftlinge zur Fertigung zurückgreifen. Aber auch größere Unternehmen wie der Modekonzerne C&A, die Asfinag oder die Autozubehör-Kette Forstinger setzen auf günstige Arbeitskräfte in Justizanstalten.

Es darf aber nicht jedes Unternehmen im Gefängnis produzieren. "Wir richten uns nicht nach Angebot und Nachfrage, sondern danach, welche Arbeitsmöglichkeiten wir anbieten müssen", sagt Brandstetter. Dabei handle es sich oft um "einfache Tätigkeiten, die man auch durchs Zuschauen erlernen kann", erklärt der Minister. Darunter fällt beispielsweise das Sortieren von Kleiderhaken. Das läge unter anderem daran, dass viele Insassen über mangelnde Deutschkenntnisse verfügen.

In Deutschland hat der ehemalige Häftling Oliver Rast eine mittlerweile mehr als 1000 Mitglieder starke Gefangenengewerkschaft gegründet. Sie setzt sich unter anderem für Mindestlohn und Pensionsversicherung ein. Rast wollte bereits im Oktober 2015 eine Zweigstelle in Österreich errichten, Brandstetter hält von derartigen Aktionen aber wenig. "Diese Bestrebungen fußen auf der Logik des freien Marktes. Diese ökonomischen Kriterien sind aber für die Haftanstalten nicht anwendbar. Es gab auch nie Beanstandungen durch die Volksanwaltschaft", betont er. Das Vogelhäuschen aus "Sing Sing" wird also weiter günstig produziert. Egal, ob es jemand kauft oder nicht.