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"Meinem Kind wird Bildung verwehrt!"

Von Werner Reisinger

Politik
Die Misere im Bildungssystem lässt immer mehr Eltern zu - vermeintlich - alternativen Angeboten greifen. Auf dieser Basis gedeihen die sogenannten Lais-"Schulen".
© WZ-Montage: Irma Tulek, Fotos: Fotolia/Jose Luis Carrascosa Martinez, Evgenii Sarychev

Lais-"Schulen": Betroffene Eltern, Bildungsexperten und auch Landesschulräte fordern Änderungen bei Externistenprüfungen.


Wien. Verschwörungstheorien, rechte Esoterik und Ablehnung von Politik und Gesellschaft erleben aktuell eine enorme Konjunktur. Die Misere im Bildungssystem lässt immer mehr Eltern zu - vermeintlich - alternativen Angeboten greifen. Auf dieser Basis gedeihen die sogenannten Lais-"Schulen", deren Konzept aus der völkisch-esoterischen, antisemitischen Anastasia-Bewegung aus Russland stammt. Die Schetinin-Schule am Schwarzen Meer sei von der Unesco als "beste Schule der Welt" ausgezeichnet worden, behaupten die Betreiber des Lais-Projekts in Klagenfurt fälschlicherweise. In Wirklichkeit werden die Kinder der Schetinin-Schule dort mit völkisch-nationalistischem Gedankengut indoktriniert. Auch Kampfsport und paramilitärische Übungen stehen an der Tagesordnung, gelernt wird mit "Schaubildern" und mittels "Wissens-Osmose". Zahlreiche Lais-Projekte in Österreich nennen sich "Schulen", doch sie funktionieren über das Recht auf häuslichen Unterricht.

Im Zuge der Berichterstattung der "Wiener Zeitung" meldeten sich zahlreiche betroffene Eltern: Sie bestätigen weitestgehend die publizierten Zusammenhänge zwischen der Lais-Szene und dem rechtsesoterischen und verschwörungstheoretischen Milieu sowie mit der Staatsverweigerer-Szene.

Einer davon ist Herr F., er wohnt in einem kleinen Ort in der Oststeiermark. Die Gegend ist eine Hochburg des sogenannten "Staatenbundes Österreich" der Ex-FPÖ-Politikerin Monika Unger, die sich mittlerweile in Graz in Untersuchungshaft befindet. Gleich sieben Staatsverweigerer würden in seinem Ort wohnen, sagt Herr F. Unter den 27 im vergangenen April verhafteten "Staatenbündlern" befand sich auch F.s ehemalige Lebensgefährtin und Mutter einer zehnjährigen Tochter und eines achtjährigen Sohnes. Mittlerweile befindet sich F.s Ex-Partnerin wieder auf freiem Fuß. Zu Beginn des Schuljahres 2016/17 entschied sich die "Staatenbündlerin", die Kinder aus der Regelschule zu nehmen, und gab sie in eine Lais-Lerngruppe in der Gegend. Herr F., der sich die Obsorge mit seiner Ex-Partnerin teilt, gelang es, Tochter und Sohn im November 2016 wieder zu sich zu holen und sie aus der Lais-"Schule" zu nehmen. Seitdem besuchen beide wieder normal die Volksschule.

"Staatenbund" und Lais

Den Tagesablauf in der Lais-Gruppe schildert F. so: "Nach einer Morgenrunde und einem gemeinsamen Frühstück gab es ‚Schaubild-Arbeit‘, gleich danach wurde getanzt; nach dem Mittagessen verbringen die Kinder den ganzen Tag in der Natur und haben Freizeit." Seine Ex-Partnerin sei eine Anhängerin der Anastasia-Bücher, über die Esoterik-Szene sei sie dann ins Staatsverweigerer-Milieu abgerutscht. "Lais-Schulen sind die bevorzugte Schulform der Staatsverweigerer", sagt F.

Über die Lais-Begeisterung seiner Ex-Partnerin lernte F. einen weiteren Betroffenen kennen, Herrn A. Seine fast achtjährige Tochter besucht nach wie vor eine Lais-"Schule", das Projekt "UrFreisprung" in Sinnersdorf bei Pinkafeld. Auch A.s Ex-Partnerin ist "Staatenbund"-Mitglied, auch er teilt sich die Obsorge mit seiner Ex-Partnerin. Gleich nach dem Kindergarten aber steckte seine Ex-Partnerin die gemeinsame Tochter in die "UrFreisprung"-Gruppe. Ein Jahr später bescheinigt ein schulpsychologisches Gutachten seiner Tochter, nicht sinnerfassend lesen zu können. "Somit entsprechen ihre Leistungen (. . .) jenen eines Schulanfängers." Ein weiteres psychologisches Gutachten macht A. ebenso große Sorgen. "Meinem Kind wird das Recht auf Bildung verwehrt!" Herr A. versteht nicht, wieso man seiner Ex-Partnerin, die ebenfalls über die Esoterik-Szene ins Staatsverweigerer-Milieu abgerutscht sei, überhaupt die Genehmigung für den häuslichen Unterricht seiner Tochter erhalten habe.

Der "Wiener Zeitung" liegen die Abmelde-Schreiben der Ex-Partnerinnen von P. und von A. vor. Beide klingen eher wie politische Traktate denn förmliche Anträge, sie enthalten typische Ausdrücke und ideologische Positionen des "Staatenbundes". "Unser bestehendes Schulsystem bereitet unsere Kinder doch in keinster Art und Weise auf das Leben im Einklang mit der Natur und der Schöpfung vor!!!", ist in einem zu lesen. "Wir sind völlig damit beschäftigt, die von Menschen gemachten und zum Teil unsinnigen Gesetze einzuhalten (. . .)", in einem anderen. Und: "Unsere Gesellschaft hat sich zu einem gewinnorientiert handelnden Unternehmen entwickelt."

Wie kann es sein, dass auf solche Schreiben hin die Genehmigung für den häuslichen Unterricht erteilt wird? "Sofern im Rahmen der nach der Judikatur möglichen Grobprüfung sich keine Anhaltspunkte ergeben, dass eine Gleichwertigkeit des häuslichen Unterrichts nach den gesetzlichen Bestimmungen nicht gegeben wäre, ist keine Untersagung möglich", heißt es dazu aus dem Landesschulrat Steiermark. Was Herrn A. aber besonders stört, ist, dass er in keiner Weise über den Lernfortschritt seiner Tochter informiert wurde, auch nicht über die abzulegende Externistenprüfung. Diese legte die gesamte "UrFreisprung"-Gruppe in der Lernwerkstatt Brigittenau ab, einer integrativen Schule für 6- bis 15-Jährige. "Obwohl meine Tochter Ziffern spiegelverkehrt schreibt, hat sie die Prüfung mit ‚Sehr gut‘ bestanden", sagt Herr A.

In der Tat ist bei den Lais-"Schulen" ein regelrechter Prüfungstourismus zu beobachten. So pilgerte die Lais-"Schule" "WINGS - Waldviertler integrative ganzheitliche Schule" zur Externistenprüfung in die mittlerweile aufgrund des steirischen Bildungsplans geschlossene Volksschule Falkenstein. Auf Facebook protestieren die "WINGS"-Organisatoren heftig gegen die Schließung der VS Falkenstein. Von ehemaligen Lais-Eltern, Experten und auch seitens der Landesschulbehörden ist immer wieder zu hören, dass es in gewissen Schulen besonders leicht sei, die Externistenprüfung zu bestehen. Von "Absprachen" und "wohlgesinnten Direktoren" ist die Rede.

Rein rechtlich ist der Prüfungs-Tourismus möglich. Laut Schulunterrichtsgesetz steht es den Eltern der Prüflinge prinzipiell frei, wo sie die Prüfung ablegen. In Frage kommt dafür grundsätzlich jede öffentliche Schule der jeweiligen Schulstufe oder Privatschulen mit Öffentlichkeitsrecht. Gibt es in einem Bundesland Prüfungskommissionen, so dürfen Externistenprüfungen nur dort abgelegt werden - was aber nicht bedeutet, dass man dazu nicht einfach in ein anderes Bundesland reisen kann. Gegenüber der "Wiener Zeitung" fordern nun die Landesschulräte von Kärnten, Niederösterreich und der Steiermark Änderungen von Praxis und Gesetzesbasis der Externistenprüfung. "Wenn häuslicher Unterricht in Niederösterreich beantragt wurde, sollte auch die Externistenprüfungen hier vor Kommissionen abgelegt werden müssen", fordert der niederösterreichische Landesschulratspräsident, Johann Heuras. Dass sich das Lais-Projekt "WINGS" als "Schule" bezeichnet, hält er für untragbar - und kündigt Konsequenzen an.

Häuslicher Unterricht?

"Das ist schlicht und einfach Missbrauch", sagt Heuras auf die Frage, ob denn eine Gruppe von mehreren Dutzend Kindern inklusive Schulgeld, wie dies im Klagenfurter Lais-Projekt der Fall ist, noch häuslicher Unterricht sei. Auch ein Sprecher des steirischen Landesschulrats tritt für eine "Veränderung der Praxis" ein.

Im Bildungsministerium spielt man den Ball an die Landesschulräte zurück. Diese könnten nach geltender Gesetzeslage die Bewilligung des häuslichen Unterrichts innerhalb eines Monats entziehen, wenn eben die Gleichwertigkeit des Unterrichts nicht gegeben sei. Genau darin liegt aber das Problem. "Bei der Anmeldung fragt keiner: Wer unterrichtet und wie?", sagt Heuras’ Pendant in Kärnten, Rudolf Altersberger. Er fordert, dass Informationen über Unterrichtsort und -art in Zukunft angegeben werden müssen. "In einem demokratischen System braucht es auch in den Schulen entsprechende Normen, Standards und vor allem Kontrollmöglichkeiten", sagt Altersberger. So sieht das auch Stefan Hopmann, Bildungsforscher an der Universität Wien. Asu seiner Sicht hätte die Schulaufsicht schon jetzt die Möglichkeit, größere Lais-"Schulen" zu untersagen: "Wenn solche Projekte einen schulförmigen Charakter annehmen, sich nach außen hin als Schule darstellen und auch Schulgeld verlangen, kann das nicht mehr als häuslicher Unterricht durchgehen. Wenn keine Bewilligung als Privatschule vorliegt und da 50, 60 Kinder zusammengefasst sind, kann die Behörde das schon jetzt untersagen". Auch Hopmann plädiert dafür, flächendeckend Externisten-Prüfungskommissionen zu installieren, damit eine faire, transparente und der Schulstufe angemessene Leistungsbewertung gewährleistet wird.

Landesschulratspräsident Altersberger berichtet zudem, dass unmittelbar nach der Berichterstattung der "Wiener Zeitung" zu Lais das Lais-Projekt in Klagenfurt einen Antrag auf Bewilligung als Privatschule eingereicht habe. Damit dieser positiv beschieden wird, braucht es allerdings entsprechende räumliche Ausstattung, eine Trägergesellschaft - und vor allem eines: Fachpädagogen mit Lehramtsprüfung.