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"Großer Bruder" liest bald mit

Von Werner Reisinger

Politik
© WZ / Fotolia/kite_rin, Fotolia/Antonioguillem

Das umfangreiche Sicherheitspaket ist in Begutachtung, die SPÖ signalisiert Bereitschaft. Datenschützer laufen Sturm.


Wien. "Keine Schnellschüsse" und große Skepsis in einigen Punkten - das war bis zum vergangenen Wochenende die Position der SPÖ zum Sicherheitspolizeigesetz, wie es Innenminister Wolfgang Sobotka will. Geplant ist eine umfassende Erweiterung der Befugnisse der Polizei, was Vorratsdatenspeicherung, Videoüberwachung, Netzsperren und Autobahnüberwachung betrifft. Ein Strafrechtsprozess-Paket soll zudem eine Überwachungsmöglichkeit von Messenger-Diensten am Handy sowie von verschlüsselten Nachrichten von Computern aus bringen - also den vielkritisierten Bundestrojaner.

Die Wünsche von Sobotka und Justizminister Brandstetter bezeichnete SPÖ-Klubchef Andreas Schieder als "datenschutzrechtlich heikle Materie" und drängte auf eine ordentliche Begutachtung (Sobotka trat zuvor nur für eine Ausschussbegutachtung ein). Es müsse zwar sichergestellt werden, dass bei der Überwachung von Messenger-Diensten die selben Regeln gelten müssten wie bei der Telefonüberwachung. Wenn dies ohne Bundestrojaner möglich sei, solle Brandstetter dies belegen. Seit einer Woche sind nun beide Pakete, das Sicherheitspolizeigesetz wie auch das Strafprozessrechtsänderungsgesetz, in Begutachtung.

Mehr als 1800 Stellungnahmen

Am Wochenende signalisierte Bundeskanzler und SPÖ-Chef Christian Kern Wohlwollen: Man habe vor, beim Sicherheitspolizeigesetz mit der ÖVP mitzugehen. "Wir sind der Meinung, dass etliche Punkte in diesem Sicherheitspaket notwendige Anpassungen sind", so der Kanzler und nannte konkret die Messenger-Überwachung am Handy oder auch das Aus für anonyme Wertkartentelefone. Verbesserungsvorschläge im Begutachtungsverfahren will Kern jedoch berücksichtigt haben.

NGOs und Datenschützer laufen jedenfalls Sturm gegen das Vorhaben. Über 400 Stellungnahmen sind auf der Parlamentshomepage bereits veröffentlicht - bei beiden Paketen, wohlgemerkt. Wie das Portal www.futurezone.at am Montag berichtete, haben die Datenschutz-Aktivisten von epicenter.works (früher Arbeitskreis Vorratsdaten) ein Online-Tool zur Beteiligung am parlamentarischen Begutachtungsprozess bereitgestellt. Laut www.futurezone.at sollen bereits über 1800 Stellungnahmen eingetroffen sein.

Am heftigsten stoßen der Bundestrojaner, die Videoüberwachung (künftig müssten laut Entwurf auch öffentliche oder private Unternehmen und Institutionen, die Videoüberwachung durchführen, ihre Aufzeichnungen auf Anfrage der Polizei zur Verfügung stellen) sowie die Kennzeichenüberwachung auf Autobahnen und anderen Straßen auf Kritik. "Anlasslose Überwachung", nennt dies Werner Reiter, Sprecher von epicenter.works: "Bei diesen Formen von Vorratsdatenspeicherung gibt es bereits Urteile des Europäischen Gerichtshofs, wonach es sich hierbei um eine überschießende Maßnahmen handelt, die nicht mit dem Grundrecht auf Privatsphäre vereinbar sind."

"Wenn Menschen wissen, dass sie überwacht werden, werden sie ihr Verhalten ändern", sagt Reiter. In Zusammenspiel mit anderen Gesetzesänderungen, wie der Einschränkung der Demonstrationsfreiheit, stelle das Vorhaben eine echte Gefahr für die Demokratie dar, ist er überzeugt. Die Tatsache, dass trotz flächendeckender Videoüberwachung in Großbritannien die jüngsten Anschläge dort nicht verhindert werden konnten, beweist aus Sicht des Datenschutz-Aktivisten die Ineffizienz der Maßnahmen.

Trojaner sogar ein Risiko?

Speziell der Bundestrojaner stelle zudem im Gegenteil ein großes Risiko dar. Um diesen digital auf Endgeräten zu installieren - remote, also nicht direkt und physisch am Gerät, wie dies der Gesetzesentwurf von Brandstetter vorsieht -, sind entsprechende Sicherheitslücken im System des zu infizierenden Rechners notwendig. So habe der US-Geheimdienst NSA jüngst eine Sicherheitslücke von Microsoft nicht beheben lassen, sondern sie für die Installation eines Trojaner-Programms genutzt. Die so weiter bestehende Sicherheitslücke bei Microsoft nutzten daraufhin die Hintermänner der erpresserischen "WannaCry"-Schadsoftware, von der tausende Firmen und kritische Infrastruktur betroffen waren. Auch könne die digitale Beschattung entdeckt und missbraucht werden, ist in den Stellungnahmen zum Bundestrojaner zu lesen: "Sollte der Betroffene die Überwachungssoftware entdecken, könnte er (. . .) den Ermittlern falsche Ergebnisse liefern." Kriminelle könnten den Bundestrojaner auch aktiv benutzen, um von anderen Vorhaben abzulenken.

"Dass der Entwurf nun in Begutachtung ist, heißt nicht, dass er auch so beschlossen wird", war am Dienstag aus dem Büro des Bundeskanzlers zu hören. Ob der Trojaner also kommt und in welcher Form, ist also noch nicht sicher. Die Begutachtungsfrist endet am 21. August.