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"Eine kriminelle Geschäftemacherei"

Von Daniel Bischof

Politik

Österreichs oberster Verfassungsschützer über Staatsverweigerer und andere Bedrohungen für die innere Sicherheit.


Wien. Verschiedene Zeiten, verschiedene Bedrohungen. Auf jeweils drei Seiten widmete sich der Verfassungsschutzbericht 2004 noch dem "militanten Tierschutz" und der "Nuklearkriminalität". Zwölf Jahre später werden diese Bedrohungen im Verfassungsschutzbericht 2016 nicht einmal mehr erwähnt. Neben schon damals akuten Gefährdungen wie dem islamistischen Extremismus fokussiert man auf neue Phänomene. Insbesondere die "staatsfeindlichen Bewegungen", zu ihnen zählen die berüchtigten Staatsverweigerer, werden als Bedrohung angesehen. Durch das Ausfüllen von kostenpflichtigen "Lebenderklärungen" wollen sich die Staatsverweigerer etwa von der Republik Österreich, die für sie lediglich eine "Firma" ist, loslösen.

Dem Bundesamt für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) sind rund 1100 Menschen bekannt, die sich den Behörden gegenüber als Szeneanhänger deklariert haben. Rund 15.000 Personen werden als potenzielle Aktivisten oder zumindest Sympathisanten gesehen. Weitere 7000 sind in einschlägigen system- und rechtskritischen Foren aktiv. Die "Wiener Zeitung" sprach mit BVT-Direktor Peter Gridling über die Staatsverweigerer-Szene und weitere Bedrohungen für die innere Sicherheit.

"Wiener Zeitung":Die Staatsverweigerer-Szene hat in kurzer Zeit enorm an Zulauf gewonnen. Was fasziniert so viele Menschen an diesen Bewegungen?

Peter Gridling: Wir führen derzeit eine groß angelegte Ermittlung gegen staatsfeindliche Verbindungen durch. Die Analyse der Befragungsergebnisse wird uns einen besseren Einblick in deren Gedankenwelt geben. Wenn es im Leben so einfach wäre, sich durch eine Erklärung von allen Verpflichtungen lossagen zu können, dann wäre das natürlich eine tolle Geschichte. Derzeit verdichtet sich aber immer mehr, dass das weniger etwas Politisches ist, sondern auch eine kriminelle Geschäftemacherei. Durch den Verkauf von Fantasiedokumenten und Fantasiekennzeichen kann man jenen Geld wegnehmen, die meistens ohnehin schon am Rande der Existenz leben.

In den vergangenen Monaten wurden einige Staatsverweigerer bereits nach herkömmlichen Tatbeständen des Strafgesetzbuches verurteilt. Seitdem sollen die Aktivitäten dieser Gruppen laut Berichten etwas abgenommen haben. Können Sie das bestätigen?

Wir sehen erste Personen, die realisieren, dass das vielleicht gar keine so gute Idee war. Es ist noch zu früh zu sagen, ob eine generelle Trendumkehr eingeleitet ist. Das wird die nähere Zukunft zeigen. Wichtig ist, dass man jetzt einmal die Möglichkeiten nutzt und gegen diese Personen vorgeht. Dabei soll uns auch der neue Tatbestand der "Staatsfeindlichen Bewegungen" helfen.

Braucht man den neuen Tatbestand denn überhaupt?

Es gibt eine Vielzahl von Taten, die man diesen Personen zuschreiben kann. Das können etwa Stalking-, Bereicherungs-, Droh- und Betrugssachen sein. Aber der Versuch, durch massive Eingaben Behörden lahmzulegen und in ihrer Tätigkeit zu behindern, ist nur zum Teil abgebildet gewesen. Wir glauben, dass die bisherige Bestimmung der "Staatsfeindlichen Verbindungen" ein viel massiveres Handeln erfordert. Der Papierterrorismus ist nicht geeignet, das Tatbild dieser Bestimmung zu erreichen. Es war eine Lücke vorhanden, die geschlossen wurde.

Radikale Verhaltensweisen sollen mittlerweile nicht mehr nur bei Randgruppen wie den Staatsverweigerern anzutreffen sein. Anlässlich der Präsentation des Verfassungsschutzberichtes 2016 haben Sie gesagt: "Terminologien und Verhaltensmuster, die wir früher nur am rechten Rand gesehen haben, finden wir nun plötzlich auch in der Mitte der Gesellschaft."

Wir sehen Menschen, deren Unmut unmittelbar in die Finger führt. Sie posten dann im Internet, wobei ihnen nicht bewusst ist, dass man das eigentlich in einem öffentlichen Raum macht. Das heißt aber nicht, dass diese Personen, die sich als Wutbürger und möglicherweise verhetzerisch im Internet betätigen, Rechtsextremisten sind oder dem organisierten Rechtsextremismus zuzuordnen sind. Aber die rechtextremistischen Terminologien und Verhaltensmuster findet man zunehmend auch in der gesellschaftlichen Mitte.

Der islamistische Extremismus ist laut dem Verfassungsschutzbericht 2016 weiterhin die größte Gefahr für die innere Sicherheit. In seinen Kernländern Irak und Syrien gerät der IS zunehmend unter Druck. Man denke nur an die Kämpfe um die bisherigen IS-Hochburgen Mosul und Raqqa. Was bedeutet das für die Sicherheitslage in Europa und Österreich?

In Europa haben wir seit dem Angriff auf die französische Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" im Jänner 2015 eine erhöhte Gefährdungslage. Die ist nach wie vor gegeben. Kommt der IS nun in seinem "Staatsgebiet" unter Druck, kann das möglicherweise zu einem Absetzen von Kämpfern führen. Wir wissen nicht, wo diese Kämpfer hinziehen werden. Ziehen sie in andere Gebiete, wo bereits Dschihadisten kämpfen, beispielsweise nach Libyen? Bleiben sie in entlegenen Regionen in Syrien oder im Irak? Oder kehren sie in ihre Heimatregionen in Europa zurück?

Letzteres würde bedeuten, dass sich die Rückkehrer-Problematik noch einmal verschärft. Diese Personen bringen Kampferfahrung mit und kennen sich im Umgang mit Waffen und Sprengstoff aus. Das könnte sich für die Sicherheitssituation in Europa sehr negativ auswirken.

In zahlreichen europäischen Städten wurden in den vergangenen Jahren Terroranschläge verübt. Man denke nur etwa an Brüssel, Stockholm, Paris, London, Berlin. Österreich ist bisher - abgesehen vom mutmaßlichen IS-Doppelmord in Linz - verschont geblieben. Ist das nur Glück?

Es gibt derzeit keine Hinweise auf konkrete Anschlagsplanungen. Aber das kann sofort und jederzeit passieren. Das hat auch die Festnahme eines 17-Jährigen im Jänner 2017 in Wien gezeigt. Er hat mit einem anderen Dschihadisten in Deutschland bereits einmal eine Bombe gebaut und getestet. Nur aufgrund des hohen Ermittlungsdruckes in Deutschland nach dem Anschlag auf dem Berliner Weihnachtsmarkt ist er nach Österreich zurückgekehrt. Möglicherweise hat er auch geplant, hier etwas Ähnliches zu machen. Aktuell hat sich bei einem Doppelmord in Linz gezeigt, dass der Tatverdächtige sich mit radikalem islamistischem Gedankengut befasst hat und Kontakt mit IS-Angehörigen hatte. Inwieweit dies in kausalem Zusammenhang mit der Tat steht, ist derzeit Gegenstand von Ermittlungen.

Zur Person
Peter Gridling (60) ist Direktor des Bundesamtes für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) und damit Leiter der obersten Staatsschutzbehörde im österreichischen Innenministerium.