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Was Muslime unterscheidet

Von Werner Reisinger

Politik

Neue Studie zu muslimischer Religiosität: erhebliche Unterschiede nach Herkunftsländern.


Wien. Wie religiös sehen sich in Österreich lebende Muslime selbst? Welchen Stellenwert nimmt ihre Religion ein, welche Grundhaltungen dominieren? Ist Konservativismus oder eine fortschrittliche Auslegung des Glaubens vorherrschend? Nur allzu oft werden "die Muslime" in Politik, Medien und nicht zuletzt im gesellschaftlichen Diskurs über einen Kamm geschoren. Eine nun vorliegende Studie, die der Politikwissenschafter Peter Filzmaier von der Donauuniversität Krems für den Österreichischen Integrationsfonds koordinierte, zeigt: Zwischen den verschiedenen Herkunftsländern von Muslimen in Österreich bestehen erhebliche Unterschiede.

Es handle sich um keine repräsentative Studie, auch gehe es nicht um "Zahlenfetischismus", wie Filzmaier gegenüber der "Wiener Zeitung" betont. "Die Studie soll einen Beitrag zur Versachlichung der emotionalen Debatte liefern." Ein statistisches Grundproblem stelle dar, dass es kein wie immer geartetes Verzeichnis der in Österreich lebenden Muslime gibt. Die Interviews wurden deshalb per Schneeball-System durchgeführt: Bereits befragte Interviewpartner werben weitere Interviewpartner an.

Liberale Bosnischstämmige

Im sechsmonatigen Untersuchungszeitraum wurden über 1100 Muslime befragt, im Einsatz waren dafür 40 Interviewer in zwei Wellen. Die Interviews wurden in sechs Sprachen geführt: Türkisch, Arabisch, Persisch, Russisch, Englisch und Deutsch.

"Es gab zwei generelle Zielgruppen: Migranten und in Österreich geborene Muslime, sowie anerkannte Flüchtlinge", sagt Filzmaier. Die erste Gruppe besteht zum überwiegenden Teil aus Menschen mit türkischen oder bosnischen Wurzeln, in der zweiten Gruppe finden sich Tschetschenen, Somalier und weitere, kleinere Gruppen aus Flüchtlings-Herkunftsländern. Zentrales Ergebnis: In der ersten Gruppe haben vor allem die türkischstämmigen Muslime tendenziell stark konservative Haltungen und weisen in der Selbstsicht eine eher ausgeprägte Religiosität auf - während sich Menschen mit bosnischen Wurzeln eher liberal und weniger religiös sehen. Bei den anerkannten Flüchtlingen sind es Menschen tschetschenischer und somalischer Herkunft, die stark konservativ-religiöse Standpunkte einnehmen.

Vor allem bei den türkischstämmigen Muslimen sei das Ergebnis durchaus bemerkenswert, sagt der Politologe. "In dieser Gruppe ist die Selbsteinschätzung viel stärker konservativ-religiös, und dabei kann das wenig mit dem aktuellen politischen Hintergrund in der Türkei, Stichwort Erdogan-Regime, zu tun haben. Das deshalb, da ein großer Teil dieser Gruppe bereits seit langem in Österreich lebt." Ob die starke Religiosität der Türkischstämmigen mit der regionalen Herkunft aus der Türkei zu tun hat, sei durchaus möglich, allerdings aus dem vorliegenden Datenmaterial nicht herauslesbar.

Dass die Rolle, die die islamische Religion im Herkunftsland einnimmt, nicht notwendigerweise auf die Religiosität hier in Österreich Einfluss nehme, zeige sich auch bei den anerkannten Flüchtlingen. "Das müsste dann auch beispielsweise bei Personen mit iranischen Wurzeln zutreffen. Diese aber sehen sich selbst kaum religiös. Eine mögliche Erklärung bei den Iranern sei, dass diese oft aufgrund einer weniger stark ausgeprägten Affinität zu Religion und einer dissidenten politischen Haltung nach Österreich gekommen sind", sagt Filzmair.

Zielgruppen-Integrationsarbeit

Eine mögliche Erklärung, wieso vor allem Somalis und Tschetschenen so religiös eingestellt sind, liege möglicherweise daran, dass beide aus Kriegsgebieten kommen. "Diese These könnte man aufstellen", so Filzmair.

Nicht nur eine Versachlichung der Debatte sei Ziel der Studie, sondern auch eine Differenzierung. "Wer auch immer Integrationsarbeit leistet, ob nun große Institutionen oder kleine NGOs am Land, sollte dies zielgruppenorientiert tun." Neben der Differenzierung hinsichtlich der Herkunftsländer zeige die Studie aber auch noch weitere interessante Aspekte: "Vielfach herrschen in der Öffentlichkeit falsche Annahmen vor. Nicht alle Türkischstämmigen sind Muslime", betont der Politologe. Auch gehe in der Debatte über den - laut Studienergebnissen durchaus problematischen und vorhandenen - Antisemitismus unter religiösen Muslimen die Tatsache unter, dass in Österreich generell Antisemitismus nach wie vor oder wieder verbreitet sei. Eine 2014 erschienene Studie besage, dass ein Drittel der Menschen in Österreich antisemitische Haltungen einnehme.

Ist eine Differenzierung beim polarisierenden Thema Islam über wissenschaftliche Studien überhaupt noch möglich? "Eben weil Politik und manche Medien entsachlichen, muss Wissenschaft Versachlichung der Debatte anstreben. Das Thema deshalb nicht mehr zu beleuchten, ist keine Option", sagt Filzmair. Er hofft auf periodische Folgestudien, um Veränderungen in der religiösen Einstellung untersuchen zu können.