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Ausbildung wird zur Pflicht

Von Petra Tempfer

Politik
Friseurin ist nach wie vor der Traumberuf vieler Mädchen.
© Fotolia/nagaets

Rund 5000 Jugendliche fallen jährlich aus dem Bildungssystem - ab Herbst müssen alle eine Ausbildung machen.


Wien. Bessere Bildung, besseres Einkommen, bessere Pension: Darum geht es laut Sozialminister Alois Stöger bei der Ausbildungspflicht bis 18 Jahre, die der Nationalrat im Sommer des Vorjahres beschlossen hat und die ab Herbst schlagend wird. Jugendliche, die mit Ende des Schuljahres 2016/17 ihre Schulpflicht erfüllt haben, müssen somit erstmals alle eine weiterführende Schule besuchen oder eine andere Ausbildung absolvieren. Tun sie nichts dergleichen, drohen deren Eltern ab 1. Juli 2018 Verwaltungsstrafen. Um über die möglichen Ausbildungswege zu informieren, hat das Sozialministerium eine Kampagne mit Foldern, einem Kurzfilm und einem Radiobeitrag gestartet, die es am Montag präsentierte.

Die größte Hürde, der Zeitpunkt, an dem man die meisten Jugendlichen verliere, sei das Ende der Pflichtschule, sagte Stöger. Jener Moment, in dem der Großteil der jungen Menschen in eine weiterführende Schule oder eine Lehre wechsle. Acht Prozent jedes Jahrgangs tun das nicht: Dem Institut für Höhere Studien zufolge fallen jährlich rund 5000 Jugendliche zwischen 14 und 17 Jahren aus dem Bildungssystem. "Sie sind nicht anschlussfähig, gehen verloren", so Stöger.

Koordinierungsstellenin den Bundesländern

Deren Karriere beschränke sich meist auf Hilfsarbeiterjobs ohne finanzielle und berufliche Perspektiven oder starte gleich in der Arbeitslosigkeit. Denn: "Der Arbeitsmarkt hat eine ganz einfache Formel: Je niedriger die Qualifikation, desto höher ist das Risiko, arbeitslos zu werden", sagte Stöger.

Die Gründe dafür seien mannigfaltig: fehlende Unterstützung von zuhause, ein Umfeld, in dem Bildung nichts wert sei oder in dem man von vornherein als Verlierer dargestellt werde. "Viele Eltern kennen den Wert einer beruflichen Ausbildung nicht", ergänzte Jugendcoach Martina Schneider. Ihrer Erfahrung nach "wollen 99,9 Prozent der Jugendlichen eine Ausbildung machen, scheitern jedoch an unterschiedlichen Faktoren im System". Diese müsse man aus dem Weg räumen.

Zu diesem Zweck wurde neben einer bundesweiten Koordinierungsstelle zur Gewährleistung der Ausbildung von Jugendlichen in jedem Bundesland eine Koordinierungsstelle eingerichtet. Insgesamt werden laut Stöger für die Ausbildungspflicht im Vollausbau rund 60 Millionen Euro investiert.

Erfüllt wird die Ausbildungspflicht neben dem Besuch einer weiterführenden Schule oder einer Lehre beziehungsweise überbetrieblichen Ausbildung auch durch Vorbereitungskurse für Externistenprüfungen. Die Teilnahme an arbeitsmarktpolitischen Maßnahmen oder an Angeboten für Jugendliche mit Assistenzbedarf fällt ebenfalls darunter. In Ausnahmefällen dürfen die Jugendlichen auch einer Beschäftigung nachgehen, wenn sie dadurch an eine Ausbildung herangeführt werden.

Ansonsten dürfen die Jugendlichen keinen Job ausüben. Tätigkeiten neben ihrer Ausbildung respektive Praktika im Rahmen der Ausbildung oder Ferialjobs in der ausbildungsfreien Zeit sind jedoch ausgenommen. Eltern müssen die Koordinierungsstelle verständigen, wenn ihr Kind nicht innerhalb von vier Monaten nach einem Abgang oder Abbruch von Schule oder Ausbildung diese wieder besucht.

Die Ausbildungspflicht endet mit dem 18. Geburtstag oder mit dem Abschluss einer weiterführenden Schule oder Ausbildung. Bei der Maßnahme handle es sich nicht um eine Verlängerung der Schulpflicht, betonte Stöger. Jugendlichen, die sich im System Schule nicht weiterentwickeln könnten, brächten zwei oder drei Extra-Schuljahre nichts. Deshalb versuche man, einen passenden Ausbildungsplan zu entwickeln.

Wird die Ausbildungspflicht nicht erfüllt, kann über die Eltern ab 1. Juli 2018 eine Verwaltungsstrafe verhängt werden. Diese soll jedoch nur als letzte Konsequenz ausgesprochen werden, heißt es. Wenn Erziehungsberechtigte sich bemühen, der Ausbildungspflicht nachzukommen, aber mangels Einsichtsvermögens des Jugendlichen nicht erfolgreich sind, soll es zu keiner Bestrafung kommen.

Nur wenn Erziehungsberechtigte nachweislich keine Verantwortung beziehungsweise keine Bemühungen hinsichtlich der Bildungslaufbahn ihrer Kinder unternehmen, soll gegen sie Anzeige erstattet werden. Der Strafrahmen beträgt 100 bis 500 Euro beim ersten Verstoß beziehungsweise 200 bis 1000 Euro im Wiederholungsfall.

Jugendliche, die sich vehement gegen eine Ausbildung wehren, sind laut Stöger die Ausnahme. "Die meisten wollen ja. Die Ausbildungspflicht ist nicht die Pflicht der Jugendlichen, sondern die Pflicht der Gesellschaft, zu den Jugendlichen hinzugehen."

Im Vorfeld der Maßnahme war diese von mehreren Seiten kritisiert worden. Behindertenverbände hatten sich daran gestoßen, dass Menschen mit Behinderungen im Begutachtungsentwurf von der Ausbildungspflicht ausgenommen waren - nun sind sie inkludiert. Die Asylkoordination konnte wiederum nicht nachvollziehen, dass Asylwerber ausgeklammert sind -sie sind es nach wie vor. Sie hätten aufgrund ihres Aufenthaltsstatus nicht Zugang zu allen Bildungsangeboten, so die Begründung. Für sie soll es jedoch künftig ein größeres Angebot an Sprach- und Alphabetisierungskursen geben.

"Angebot und Nachfrage passen nicht unbedingt zusammen"

Die Wirtschaftskammer sieht das Problem eher im Bildungssystem selbst, sagt Alfred Freundlinger von der Abteilung für Bildungspolitik zur "Wiener Zeitung". Man müsse dafür sorgen, "dass alle Jugendlichen nach Ende der Pflichtschule die Voraussetzungen mitbringen, eine weiterführende Maßnahme zu machen". Tatsächlich fehlten vielen Betroffenen die Grundkenntnisse in Mathematik und Deutsch, räumte Jugendcoach Schneider ein. Bevor sie eine Ausbildung starten, müssten diese erst die Basisqualifikationen nachholen.

Unternehmen könnten jedenfalls nur Jugendliche aufnehmen, die sie auch ausbilden können, so Freundlinger weiter. Es gebe zwar zahlreiche unbesetzte Lehrstellen - Angebot und Nachfrage passten aber nicht unbedingt zusammen. Sogar Friseure klagten mitunter über einen Mangel. Und das, obwohl eine Lehre als Friseurin laut Schneider nach wie vor der Wunschtraum der meisten Mädchen sei. Der Großteil der jungen Männer strebe wiederum den Beruf des Kfz-Mechanikers an, obwohl ihre Talente mitunter woanders lägen.