Zum Hauptinhalt springen

High to School

Von Petra Tempfer

Politik

Um dem Leistungsdruck standzuhalten, greifen Schüler zu leistungssteigernden Mitteln.


Wien. Mit dem angeblich wirklich letzten heißen Tag am Donnerstag neigten sich nicht nur die sommerlichen Temperaturen, sondern auch die großen Ferien ihrem Ende zu. Am kommenden Montag beginnt in Wien, Niederösterreich und dem Burgenland die Schule, im Westen Österreichs ist es eine Woche später so weit. Nach den Nachprüfungen Anfang des Schuljahres werden wenig später die rund eine Million Schüler Österreichs ihre ersten Tests und Schularbeiten schreiben - und mitunter ins Mühlenrad des Leistungsdrucks geraten.

Um Letzterem standzuhalten, sind Schüler leistungssteigernden Mitteln offenbar nicht abgeneigt. Einer aktuellen Erhebung aus dem Kanton Zürich in der Schweiz zufolge nimmt bereits jeder fünfte Schüler verschreibungspflichtige Medikamente zur Leistungssteigerung, schrieb der "SonntagsBlick" diesen August. Eine deutsche Studie kam zu einem ähnlichen Schluss.

Jeder 4. Schüler wünscht sich Mittel zur Leistungssteigerung

In Österreich existieren zwar keine konkreten Zahlen dieser Art, das Nachhilfeinstitut "LernQuadrat" hat aber eine Online-Umfrage unter 300 Schülern (nicht nur Nachhilfeschüler) gemacht, wie viele sich ein Mittel zur Leistungssteigerung wünschen würden. Das Ergebnis: Jeder vierte Schüler über 13 Jahren wünscht es sich. Besonders anfällig für Suchtmittelkonsum seien die 15- bis 16-Jährigen. Dass die Studien aus der Schweiz und aus Deutschland auf Österreich übertragbar sind, scheint naheliegend.

Es sei jedenfalls eine Tatsache, dass auch hier der Medikamentenmissbrauch unter Schülern steigt, sagt dazu Kurt Moosburger, Arzt für Innere Medizin, Sport- und Ernährungsmediziner in Tirol. Wirklich helfen würden all diese Mittel wie aufputschende Psychostimulanzien (Amphetamine wie Ritalin oder Strattera) allerdings nicht. Ganz im Gegenteil.

"Nur wenn das Kind tatsächlich therapiert werden muss und zum Beispiel Strattera gegen ADHS verschrieben bekommt, profitiert es meistens schon davon. Sonst nicht", sagt Moosburger. Suchtexperte Michael Musalek, Leiter des Anton-Proksch-Instituts in Kalksburg, ergänzt: "Von Amphetaminen wird man schnell abhängig, in wenigen Wochen bis Monaten." Langfristige körperliche Veränderungen seien Bluthochdruck, Schlaflosigkeit und Schwitzen. Und: Um die gewünschte Wirkung zu erzielen, brauche man immer mehr dieser Mittel, die kurzfristig leistungs- und aufnahmefähiger machen sollen. Der Entzug könne mit lang anhaltenden Depressionen einhergehen.

Interessant dabei ist, dass die Arzneimittel-Verschreibungen gegen die Aufmerksamkeitsdefizit-/
Hyperaktivitätsstörung ADHS in Österreich massiv gestiegen sind. Wurden 2006 die Kosten von 48.712 Rezepten für Mittel wie Ritalin und Strattera übernommen, waren es fünf Jahre später bereits 87.018, so der Hauptverband der Sozialversicherungsträger. Aktuellere Zahlen wurden zwar nicht erhoben, laut Brigitte Bösenkopf, Psychologin und Generalsekretärin der Arbeitsgemeinschaft für Präventivpsychologie, würden heute aber generell zu leichtfertig Medikamente gegen ADHS verschrieben.

Dahinter steckten mitunter auch die Eltern. "Sie stellen enorm hohe Ansprüche an ihr Kind und haben Panik, dass es in der Schule nicht mithalten kann", sagt Bösenkopf zur "Wiener Zeitung". An die entsprechenden Medikamente zu kommen, sei über "den Arzt des Vertrauens" oder das Internet ein Leichtes. Diese hohen Ansprüche zeigten sich aber zum Beispiel auch am Anteil der Nachhilfeschüler: Bereits ein Viertel aller Schüler bekommen private Nachhilfe, so die Zahlen der Arbeiterkammer, die den Gesamtaufwand dafür heuer auf 100 Millionen Euro schätzt.

Die hohen Ansprüche der Eltern erzeugten Druck - und Druck bedeute Stress. Stressmessungen haben laut Bösenkopf ergeben, dass die 10- bis 20-Jährigen in puncto Stressbelastung nach den 20- bis 30-Jährigen am zweithäufigsten betroffen sind. Fünf Prozent der Schüler seien Burnout-gefährdet.

Die Schüler selbst wählten abseits von leistungssteigernden Medikamenten auch häufig Alkohol, um zum Beispiel die Ängste vor Prüfungen zu lösen, sagt Musalek. Mischt man diesen mit Energy Drinks, falle die "selbstlimitierende Wirkung des Alkohols" weg, und man werde nicht müde.

Praktisch jeder Schüler könne von Lerndruck und dessen "Behandlung" mit leistungssteigernden Mitteln betroffen sein, meint Bildungsexperte Stefan Hopmann. Die schlechten, weil sie Angst haben, nicht nachzukommen. Und die guten, weil sie Angst haben, diese Position nicht halten zu können. Man bewege sich also zwischen Schadensbekämpfung und Prophylaxe.

"Die Lösung läge in der Abkehr von der Leistungsgesellschaft"

Die Lösung läge weniger in großen politischen Veränderungen wie Ganztagsschule oder modulare Oberstufe, sondern vielmehr in einer Abkehr von der Leistungs- und Rankinggesellschaft. "Wir müssen weg von dem linearen Verständnis, immer besser werden zu müssen", sagt Hopmann. Das würde den Druck aus der Gesellschaft und den Klassen nehmen.

Psychologin Bösenkopf sieht die Verantwortlichkeit bei den Eltern. Diese sollten nicht als schlechte Vorbilder selbst immer gleich Tabletten nehmen, sondern vielmehr mit den Kindern lernen, mit Stress umzugehen. Akupressur oder Atemtrainings könnten zum Beispiel helfen. Dem Stress selbst entkomme man freilich nicht. Schon gar nicht zu Schulbeginn.