Es fehle generell an Wissen über Grundlagen der Politischen Bildung bei einem größeren Teil der Lehrerschaft, so Schmid-Heher. Mitunter hat das auch damit zu tun, dass der Politischen Bildung in Österreich im Gegensatz zu Deutschland etwa die Entwicklung fehlt. Erst in den 1970ern wurde es zu einem Unterrichtsprinzip, "was aber nicht die gewünschte Wirkung brachte, weil es zu wenig war, nur zu sagen, Politische Bildung soll überall mitberücksichtigt werden", so Schmid-Heher. "Erst mit der Lehrplanänderung 2016 bekam die Politische Bildung ein gewisses Maß an Eigenständigkeit durch die Pflichtmodule im Rahmen des Geschichtsunterrichts." In Deutschland wurde bereits 1952 eine Bundeszentrale für politische Bildung aufgebaut, es gibt ein eigenes Fach an den Schulen und ein Lehramtsstudium. Danach sucht man hierzulande vergeblich. In Österreich gab es erst in den 1980ern erste Versuche, Politische Bildung in die Aus- und Weiterbildung der Lehrer einfließen zu lassen.
"Oft schwerer als
die Lösung am Wahlplakat"
"Uns wurde in den 1980er Jahren an der Uni geraten, auch im Sinne des Überwältigungsverbots, dass wir uns mit einer persönlichen politischen Meinung zurückhalten sollen", sagt eine Lehrerin eines Wiener Gymnasiums, die anonym bleiben möchte. "Auch auf Schülerfragen, was wir Lehrer wählen, sollten wir nicht als Privatperson antworten." Generell sei Politik im Geschichtsstudium unterrepräsentiert, weshalb die Qualität der Politischen Bildung stark vom Politikinteresse des Lehrers abhängt. Ziel des politischen Lernens ist für sie, Schüler anzuleiten, Aussagen und Informationen zu hinterfragen. Und ihre eigene Meinung in der Klasse nicht offensiv zu vertreten "Ich stelle lieber Fragen nach den Erwartungen und Forderungen der Jugendlichen an die Politik", sagt sie. "Ich unterrichte auch 16-Jährige, für viele von ihnen wird die Uni bald ein Thema sein. Deshalb arbeiten wir gerade durch, was die Parteien hier zu bieten haben. Die Schüler vergleichen und wägen ab." Mit ihrer Meinung hält sie sich auch zurück, um Schüler zu ermutigen, sich einzubringen, die sich im Unterricht sonst zurückhalten. Manche Jugendlichen mit Migrationshintergrund würden sich aufgrund der politischen Entwicklungen in ihren Herkunftsländern bei gewissen Themen derzeit eher zurückhalten. "Ich will sie abholen und nicht noch stiller machen."
Für Pascal Günsberg hat die Lehrerlaufbahn im September erst begonnen. Er unterrichtet Politische Bildung in einer Wiener Handelsschule. "Es ist schon schwierig", sagt er. "Auf der einen Seite sollen sich die Schüler eine kritische Meinung bilden können. Andererseits soll ich mich als Lehrer enthalten und möglichst sachlich sein." Darunter leide der Unterricht, wenn man krampfhaft versucht, objektiv zu bleiben, weil man Themen dann nicht ordentlich ansprechen könne. "Der Diskussion kann man sich ja nicht immer entziehen, irgendwann muss man seinen eigenen Standpunkt vertreten, auch weil die Schüler danach fragen", sagt er. Günsberg bringt seine Meinung ein. "Man muss sie aber als solche kennzeichnen und das ganze Themenspektrum bieten", sagt er. Der Junglehrer sucht die Debatte im Unterricht und schreckt vor unpopulären Meinungen nicht zurück. "Ich will nicht, dass sie meine Meinung übernehmen, sondern Perspektiven schaffen und schauen, dass sie ihre wie meine Positionen hinterfragen", so Günsberg. "Ich mache sie auf Alltagsprobleme aufmerksam und frage sie, wie man das politisch lösen kann, um ihnen zu zeigen, dass das oft schwerer ist als die einfache ,Lösung auf einem Wahlplakat." Trotz allem ist er sich bewusst, dass er aufpassen muss, da Politische Bildung ein sensibles Fach ist, sagt er. "Das ist von Elternseite aber vielleicht problematischer als von Schülerseite", sagt er. "Die Schüler sagen, wenn ihnen etwas gegen den Strich geht. Zu den Eltern kommen vielleicht nur Halbwahrheiten durch, das ist gefährlich."
Politische Bildung wurde in Österreich vernachlässigt. Das sagen Lehrer wie Ausbildner. Sie wird von der Politik nur eingefordert, wenn es um die Aufarbeitung gesellschaftlicher Problemlagen wie Radikalisierung geht - aber oft erst, wenn diese schon akut sind. Zu anderen Zeiten stößt Politische Bildung auf wenig Interesse im Nationalrat. Es gibt viele Lehrer, die Energie, Arbeit und Freizeit investieren, um den Unterricht zu verbessern. Wie Johannes Brzobohaty, mit dem dieser Artikel begonnen hat, der mit Schülern stundenlang Parteiprogramme bespricht. Der sagt, was er wählt, um eine Debatte anzustoßen, ohne eine Blaupause sein zu wollen. Aber es mangelt an Zeit und Ausbildung. Hinzu kommt Unsicherheit, zumindest im Hinterkopf, trotz klarer Gesetze. Das ist kein fruchtbarer Boden für eine politisch reflektierte Gesellschaft. Wenn man sie denn will.