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Recalls kosten 450 Millionen Euro

Von Martina Madner

Politik

Arbeiter-Branchen wie Bau, Tourismus und Arbeitskräfteüberlasser "parken" Mitarbeiter häufiger beim AMS als andere.


Wien. Die Kritik der Wirtschaftsvertreter an der von der SPÖ geplanten Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten reißt nicht ab. Sigi Menz, Obmann der Bundessparte Industrie der Wirtschaftskammer, bezeichnete sie als "wirtschaftspolitischen schweren Fehler": "Im Grunde ist eine Angleichung durchaus zu begrüßen, doch so ruckzuck und unüberlegt wie nun, wäre sie fatal."

Der Generalsekretär der Industriellenvereinigung, Christoph Neumayer, hatte den Gesetzesvorschlag bereits als "sehr bedauerliche Husch-Pfusch-Wahlkampfaktion" bezeichnet, die Angleichung dürfe "nicht nach dem Rosinenprinzip erfolgen". Und Anna Maria Hochhauser, Generalsekretärin der Wirtschaftskammer, sprach von einer Belastung "für unsere klein- und mittelbetrieblichen Arbeitgeberbetriebe" von mindestens 150 Millionen Euro. Die "Wiener Zeitung" berichtete.

Betroffene Branchen sorgenfür 450 Millionen Euro Kosten

Konkret geht es im Gesetz, das die SPÖ gemeinsam mit der FPÖ und den Grünen am 12. Oktober noch vor den Wahlen beschließen könnte, darum, die jeweils günstigere Regelung für alle gleichermaßen durchzusetzen. Der Stein des Anstoßes sind für die Wirtschaft aber vor allem die deutlich längeren Kündigungsfristen für die rund 1,4 Millionen Arbeiter, die diese bei einer Gleichstellung mit den rund 2,1 Millionen Angestellten erhielten.

Nun zeigt sich, dass Unternehmen der hauptbetroffenen Branchen mit vielen Arbeitern die Allgemeinheit mit hohen Kosten belasten. Aktuelle Studien des Wirtschaftsforschungsinstituts Wifo zeigen, dass der Tourismus, die Bauwirtschaft und Arbeitskräfteüberlasser Mitarbeiter bei Auslastungsschwankungen deutlich häufiger in der Arbeitslosigkeit parken und bei mehr Geschäft wieder einstellen als andere. Diese Branchen sind für mehr als zwei Drittel solcher Recalls verantwortlich.

Laut Berechnungen des Wifo-Arbeitsmarktforschers Helmut Mahringer verursachten Recalls, die innerhalb eines Jahres wieder beim selben Betrieb beschäftigt wurden, in Summe 450 Millionen Euro an Kosten bei der Arbeitslosenversicherung. "Das AMS-Budget ist kein Glückstopf, wo man sich als Arbeitgeber nach Lust und Laune bedienen kann", ärgert sich René Schindler, der als Bundessekretär der Gewerkschaft Pro-Ge Beschäftigte bei Arbeitskräfteüberlassern vertritt.

Kurzes Parken in der Arbeitslosigkeit nimmt zu

Das Phänomen ist kein neues, aber es zeigt sich heute deutlicher als noch vor 30 Jahren: Während saisonal bedingte Arbeitslosigkeit annähernd konstant bleibt, nimmt kurzfristiges Kündigen und Wiedereinstellen zu: 1990 gab es 90.000 Recalls, die innerhalb von zwei Monaten beim selben Betrieb wieder beschäftigt wurden. Das waren 4,8 Prozent aller Beschäftigungsaufnahmen. 2016 aber machten die 160.000 Recalls bereits 6,8 Prozent aller Wiederbeschäftigten aus. In Recall-Betrieben arbeiten mit 69 Prozent übrigens deutlich mehr Arbeiter als in der Gesamtwirtschaft, da sind es 53 Prozent.

Mahringer führt das auf das "relativ flexible Arbeitsrecht mit kostengünstigen Kündigungen" zurück: "Das kann sinnvoll sein, wenn ein Produkt dauerhaft weniger nachgefragt wird und Mitarbeiter gekündigt werden müssen." Es hilft aber auch jenen, die saisonale Schwankungen oder schlechte Planung ausgleichen: "Jene, die Leute vorübergehend in der Arbeitslosigkeit abstellen, sparen sich Arbeitskosten. Manager, die sich um kontinuierliche Arbeitsverteilung und Auslastung bemühen, werden dagegen nicht belohnt."

Die Auflösungsabgabe von 124 Euro beim Ende von Arbeitsverhältnissen ändert daran wenig: Baubetriebe sind davon ausgenommen, auf höchstens sechs Monate befristete Arbeitsverhältnisse ebenfalls — das sind viele im Tourismus. Mahringers Lösung wäre ein höherer Arbeitslosenversicherungsbeitrag für Betriebe, die über einen hohen Beschäftigungsumschlag viel Arbeitslosigkeit herbeiführen.

Längere Kündigungsfristen erschweren die Recall-Praxis

Aber auch die Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten könnte Recalls wegen der teureren Kündigungsfristen unattraktiver machen. Weniger im Tourismus, da haben viele der 200.000 Arbeiter und 25.000 Angestellten laut Andreas Gollner, Tourismus-Sekretär bei der Gewerkschaft Vida, befristete Verträge.

Wohl aber auf den Baustellen, wo neben rund 135.000 Arbeitern 20.000 Angestellten arbeiten, sagt Josef Muchitsch, Bundesvorsitzender der Gewerkschaft Bau-Holz und SPÖ-Abgeordneter: "Die Gleichstellung wird sicher helfen, dass nicht ganz kurzfristig Kosten auf die öffentliche Hand abgeschoben werden." Auch Schindler hofft, dass der "Köder der einvernehmlichen Auflösung weniger wirkt, wenn Kündigungen teurer werden". Eigentlich wäre ein Verbot der einvernehmlichen Kündigung bei Ende des Arbeitseinsatzes notwendig: "Das würde das Zwischenparken beim AMS merklich minimieren."

GLeichstellung Arbeiter und Angestellte Auf einen Blick

Der Gesetzesentwurf zur Gleichstellung von Arbeitern und Angestellten sieht im Wesentlichen drei Punkte vor:

Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall: Wird ein Arbeiter heute krank, erhält er in den ersten fünf Dienstjahren sechs Wochen weiter das volle Entgelt und vier Wochen das halbe. Erst danach gibt es das geringer bemessene Krankengeld. Bei Angestellten soll das künftig auch gelten. Außerdem soll sich die Entgeltfortzahlung nach einem Dienstjahr auf acht Wochen verlängern.

Längere Kündigungsfristen für Arbeiter: Bei Kündigungsfristen haben Angestellte die besseren Regelungen: In den Kollektivverträgen vieler Arbeiter beträgt die Kündigungsfrist im ersten Dienstjahr nur zwei bis vier Wochen. Im Extremfall kann sie wie bei Arbeitern in der Reinigungsbranche auch nur einen Tag betragen. Angestellte haben schon nach der Probezeit eine Kündigungsfrist von sechs Wochen.

Entgeltfortzahlung bei Dienstverhinderung: Während einer Dienstverhinderung aus persönlichen Gründen, zum Beispiel bei einem Begräbnis, sollen auch Arbeiter eine Entgeltfortzahlung erhalten.