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Schauspiel-Training für Menschenrechte

Von Petra Tempfer

Politik

Internationale Volksanwaltschaften üben mit Schauspiel-Patienten den Ernstfall.


Wien. "Geht die Dame jetzt zurück zur Therapie?", fragt eine Teilnehmerin des Workshops des International Ombudsman Institute (IOI) am Montag. Das IOI ist der einzige globale Dachverband für Ombudsorganisationen und Veranstalter des Workshops zum Thema präventive Menschenrechtskontrolle. Soeben haben etwa zehn Minuten lang zwei männliche Teilnehmer eine verstört wirkende Frau nach deren Unterbringung im Therapiezentrum befragt.

Die Ärzte, die sie behandeln, wechselten zu oft, sagt diese. Sie wünsche sich mehr Kontinuität. Und eine ihrer Zimmerkolleginnen sei so unruhig, so die etwa 45-Jährige mit hoch zugeknöpfter, blauer Weste weiter, dass sie kaum schlafen könne. Läutet sie nach der Krankenschwester, komme diese nicht immer.

187 Mitglieder aus 100 Ländern

Zurück zur Therapie muss besagte Dame jedoch nicht. Sie ist eine Schauspiel-Patientin, die für die Ausbildung von Psychiatrie-Studenten auf das Verhalten bei psychischen Erkrankungen geschult wurde. Beim Workshop trainiert sie die Teilnehmer hinsichtlich deren Gespräche im Zuge der präventiven Menschenrechtskontrollen. Diese wurden zwar auf die Schauspiel-Patienten vorbereitet, Letztere spielen ihre Rolle aber so überzeugend, dass einige deren wahre Identität offenbar doch nicht ganz glauben können.

Thema des Workshops, der diese Woche in der Volksanwaltschaft in Wien stattfand, ist die einfühlsame und dennoch zielgerichtete Gesprächsführung mit Klienten. Er ist der dritte seiner Art. Im Vorjahr hatten sich die Mitarbeiter internationaler Ombudseinrichtungen in Litauen und im Jahr davor in Lettland getroffen. Diesmal nahmen 29 Gäste aus 21 Ländern vor allem aus Europa und Afrika teil. Insgesamt zählt das 1978 gegründete IOI aktuell 187 Mitglieder aus fast 100 Ländern. Seit 2013 fungiert der österreichische Volksanwalt Günther Kräuter als Generalsekretär.

In Österreich kontrollieren seit fünf Jahren sechs Expertenkommissionen im Rahmen eines UN-Mandats Einrichtungen, in denen es zu Entzug oder Einschränkung der persönlichen Freiheit kommt, darunter Justizanstalten, Pflegeheime und Psychiatrien. Im Kern geht es darum, Risikofaktoren für Menschenrechtsverletzungen frühzeitig zu erkennen und auszuschließen. Die Kommissionsmitglieder können vertrauliche Gespräche mit Bewohnern oder Patienten führen.

Die Teilnehmer des Workshops am Montag sind mittlerweile zur Feedback-Runde übergegangen. Eine scheinbar völlig geheilte Patientin mit lässig aufgeknöpfter Weste - die Schauspielerin, die nun keine Rolle mehr spielt - gibt professionell wieder, wie sie sich bei den einzelnen Fragen aus Sicht der Patientin gefühlt hat. Dass sie ihr Problem mit den ständig wechselnden Ärzten schildern konnte, sei ihr ein Anliegen gewesen -dass sie jemand detailliert nach ihrem Tagesablauf gefragt hätte, der in seiner strengen Strukturiertheit eine Belastung für sie darstelle, habe sie jedoch vermisst. Grundsätzlich habe sie sich eine Frau und nicht zwei Männer als Gegenüber gewünscht.

In der Praxis achte man meist im Vorhinein auf gleichgeschlechtliche Gesprächspartner, sagt die Psychiaterin Gabriele Fischer von der Universität Wien, die eine der österreichischen Kommissionen leitet. Beim Workshop begleitet sie eine Gruppe durch die Trainings. Was den Wechsel von Ärzten betreffe, verstoße das gegen Menschenrechtsstandards, falls die fehlende Kontinuität die Patientin belaste. Diese habe auch ein Recht darauf, das Zimmer nicht mit einer unruhigen Person teilen zu müssen.

Im Laufe des Montagnachmittags werden noch weitere Situationen trainiert - unter anderem mit einem traumatisierten Gefängnisinsassen, der ebenfalls ein Schauspieler ist. Dieser geht kaum auf die Fragen von Antonia Kyriakidou von der zypriotischen Ombudsstelle ein, sondern stellt kontinuierlich die Frage: "Wie können Sie mir helfen?" Fixpunkte eines Gesprächs mit Betroffenen in den Einrichtungen seien, seine Funktion und seine Möglichkeiten von Anfang an klarzustellen, sagt dazu Fischer. Freilich müsse man die Bedürfnisse erkennen - gleichzeitig aber die persönliche Distanz wahren.

Livestream zu Ex-Häftlingen

Am Dienstag sind die Teilnehmer beim Besuch zweier Kommissionsmitglieder in einer Einrichtung für betreutes Wohnen in Wien und beim Verein Neustart dabei, wo zwei ehemalige Häftlinge befragt werden. Allerdings nur per Livestream, um das "Do-no-harm"-Prinzip (keinerlei Schaden verursachen) zu wahren und die Besuchten nicht mit einer größeren Delegation zu stören, wie Kräuter sagt.

Die Technik dahinter stamme von den IT-Unternehmen Cisco und X-tension, so Kräuter, die das System eigentlich für ein leukämiekrankes Kind entwickelt hätten, das die Schule nicht besuchen konnte. Via Livestream nahm es dadurch am Unterricht teil. Beim Workshop sitzen die Teilnehmer nun vor dem Bildschirm in der Volksanwaltschaft, können aber - mit Simultanübersetzern - Fragen an die Kommissionsmitglieder in den Einrichtungen stellen.

Am Mittwoch geht das Treffen mit finalen Diskussionen zu Ende. Im nächsten Jahr ist ein Training in Skandinavien geplant.