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Worum sich Kammern kümmern

Von Martina Madner

Politik

Die Sozialpartnerschaft macht Lohnpolitik. Die Industriellenvereinigung, die FPÖ und die Neos, aber auch das ÖVP-Wahlprogramm kritisieren aber die Pflichtmitgliedschaft und politische Aufgaben.


Wien. "Noch niemals standen derart folgenschwere Bedrohungen im Raum", verbreitete ÖGB-Präsident Erich Foglar schon vor den Wahlen Alarmstimmung. Anlass sei die von Neos und FPÖ geplante "Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft und Senkung der Mitgliedsbeiträge in den Kammern". Foglar holte aber gegen die ÖVP und Sebastian Kurz aus, behauptete, dass "zahlreiche Mitglieder der Kurz-Bewegung" zum Ziel hätten "die Sozialpartnerschaft und damit das Kollektivvertragssystem zu zerschlagen".

Anders als bei den Neos, wo die Abgeordneten Sepp Schellhorn und Gerald Loacker als "Kammerjäger" wahlkämpften, und der FPÖ ist im dreiteiligen Wahlprogramm der ÖVP/Liste Kurz von einem Abschaffen der Pflichtmitgliedschaft nichts zu lesen. Die FPÖ widmete mit "Ende für Kammerzwang" Wirtschafts- und Arbeiterkammer ein ganzes Kapitel und forderte dezidiert "die Abschaffung der Zwangmitgliedschaft bei den Kammern durch eine Volksabstimmung".

Da klingt Kritik am Arbeiterkammer-Beitrag an: An einer Stelle heißt es, dass es vielen Arbeitnehmern "nicht bewusst" sei, dass Dienstgeber einen solchen zu bezahlen hätten. Auch Kritik an der Verfassungsbestimmung zu den Kammern wird geäußert: "Leider wurde aber auch vieles in die Verfassung geschrieben, das dort eigentlich keinen Platz haben sollte." Darunter seien auch "Regelungen aus dem Arbeiterkammergesetz".

Wohl aber wird Sozialpartnerschaft anders definiert, und zwar, "dass man auf betrieblicher Ebene am besten weiß, was gut für alle Beteiligten ist, und dies in Form der betrieblichen Sozialpartnerschaft vereinbart".

Sozialpartnerschaft vertritt bei Lohnverhandlungen

Ob ÖVP-Chef Sebastian Kurz daraus eine Änderung der Verfassungsbestimmung oder der Mitgliedsregelungen ableitet, bleibt auch nach den Wahlen vage. Auf die konkrete Frage des Nachrichtenmagazin Profils, ob er die Pflichtmitgliedschaft in den Kammern abschaffen will, verweist er auf Koalitionsverhandlungen. Auf Nachfrage nach seiner Meinung sagt Kurz: "Es wäre falsch, zu sagen, es müsse sich überall etwas ändern außer bei den Kammern."

Worum geht es? Die Sozialpartnerschaft besteht aus vier Organisationen: die beiden Arbeitnehmervertretungen Arbeiterkammer und der Österreichische Gewerkschaftsbund sowie die Arbeitgebervertretungen Wirtschafts- und Landwirtschaftskammer. Die Industriellenvereinigung zählt nicht dazu.

Gewerkschaften und die Wirtschaftskammer-Vertreter verhandeln jährlich rund 450 Kollektivverträge. Sie vereinbaren damit Mindeststandards und Lohnerhöhungen für die jeweilige Berufsgruppe. Als Wirtschaftskammermitglieder müssen sich die Unternehmer an diese halten, Arbeitnehmer können sich im Konfliktfall darauf berufen. In Österreich sind 98 Prozent aller Arbeitsverhältnisse durch Kollektivverträge abgedeckt. In Deutschland sind es rund 58 Prozent. Das bedeutet, 42 Prozent aller Arbeitnehmer müssen sich zum Beispiel im Nachbarland ein Einkommen, das über den gesetzlich vorgeschriebenen Mindestlohn hinaus reicht, selbst verhandeln.

Wegen der Sozialpartnerschaft sind in Österreich aber auch Arbeitskonflikte selten. Politikwissenschafter Emmerich Tálos sagt: "Der soziale Frieden in Österreich schlägt sich in Sekunden messbaren Streiks nieder." Die internationale Streikstatistik zeigt, dass von 2005 bis 2014 pro 1000 Arbeitnehmer in Österreich zwei Arbeitstage ausgefallen sind. In Deutschland waren es im selben Zeitraum sieben, in Dänemark 120 und in Frankreich 117.

Kritik an Kammerstaat und Pflichtmitgliedschaft

Das ist im Moment weniger in Kritik als die Pflichtmitgliedschaft und die Rolle der Sozialpartnerschaft bei Gesetzen. So sagte Georg Kapsch, der Präsidenten der Industriellenvereinigung, am Montag.

Die Sozialpartnerschaft habe sich "zu einem Machtkonstrukt, zu einem Staat im Staat" entwickelt. "Aus staats- und demokratiepolitischen Gründen wollen wir die Sozialpartnerschaft auch nicht in der Verfassung", sagte Kapsch.

Wie die Mitglieder der Industriellenvereinigung bezahlten die 1,2 Millionen Gewerkschaftsmitglieder ihre insgesamt 223 Millionen Euro Beiträge im Jahr 2015 freiwillig. Die Mitgliedschaft in Kammern als gesetzlicher Vertretung aber ist in einer Verfassungsbestimmung, der 120a, festgehalten. Die Beiträge sind darüber hinaus in eigenen einfachen Gesetzen festgehalten.

So sind 3,64 Millionen Mitglieder bei der Arbeiterkammer vertreten. Rund 2,8 Millionen davon bezahlten 2016 rund 432,6 Millionen Euro Mitgliedsbeiträge. Und die Mitgliederstatistik der Wirtschaftskammer weist für 2016 rund 500.000 aktive Mitglieder aus. Eine parlamentarische Anfrage der Neos zeigt, dass diese 2014 rund 670 Millionen Euro an Umlagen an Bundes- und Länderwirtschaftskammern bezahlten.

Beide Organisationen betonen den Nutzen dieses Solidaritätsprinzips, wo jene mit mehr Beiträgen Leistungen und Services für jene, die weniger oder gar keine bezahlen, mitfinanzieren.

Auch der Beitrag zu den Gesetzen macht in den Augen beider Präsidenten Sinn. So sagte Wirtschaftskammer-Präsident Christoph Leitl kürzlich zu den anstehenden Herausforderungen wie etwa der Digitalisierung: "Da müssen wir sozialpartnerschaftlich akkordierte Lösungen finden, dass wir das nicht nur überleben, sondern dass wir es erfolgreich überleben." Und AK-Präsident Rudi Kaske: "Die Arbeiterkammern sind gemeinsam mit den Gewerkschaften ein Bollwerk gegen die neoliberale Politik, die dieses Land zu einer Ellbogengesellschaft umbauen will. Wer die AK angreift, will damit die Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer schwächen."