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"Die Behörden lassen mich im Stich"

Von Werner Reisinger

Politik
Ein rechtlicher Graubereich: Lais-Projekte funktionieren über häuslichen Unterricht. Viele weisen dennoch schulischen Charakter auf.
© Fotolia/Irina Schmidt

Ein Vater kämpft um seine Tochter. Obwohl die Mutter im Staatsverweigerer-Milieu aktiv war, darf sie das Kind weiter zu Hause unterrichten.


Wien/Graz. Herr A. ist verzweifelt. Seit Jahren kämpft der Steirer um seine kleine Tochter, die nun eigentlich die zweite Klasse Volksschule besuchen sollte. Herr A. war einer der Elternteile, die sich im Zuge der umfangreichen Berichterstattung zu den sogenannten Lais-"Schulen" bei der "Wiener Zeitung" meldeten, um über ihre Erfahrungen mit dem vermeintlich "alternativen" Bildungskonzept zu erzählen. Nicht zuletzt die Krise des heimischen Bildungssystems veranlasst immer mehr Eltern, ihre Kinder in Lais-"Schulen" oder Lerngruppen zu geben. Oft ohne zu wissen, woher das wundersame Konzept kommt, welche ideologischen Strömungen hinter Lais stecken: die aus Russland stammende, völkisch-esoterische Anastasia-Bewegung und die Schetinin-Schule am Schwarzen Meer.

Vor allem unter Anhängern der sogenannten Staatsverweigerer erfreut sich Lais großer Beliebtheit. Die Ex-Partnerin und Mutter der Tochter von Herrn A. war, zumindest bis vor Kurzem, ebenfalls in der Szene aktiv, und zwar beim "Staatenbund Österreich", deren führende Mitglieder sich derzeit in Haft befinden und auf ihren Prozess warten (entsprechende Dokumente liegen der "Wiener Zeitung" vor). Wie berichtet, verhinderte A.s Ex-Partnerin die Einschulung der gemeinsamen Tochter und schickte sie später in die Lais-Lerngruppe "UrFreisprung". Solche Gruppen agieren in einem rechtlichen Graubereich, sind schulisch organisiert, meist ist auch Schulgeld zu bezahlen, und zwar nicht zu knapp. Dennoch funktioniert Lais auf Basis des Rechts auf häuslichen Unterricht, das Eltern individuell und auf Antrag genehmigt wird. Auch, wenn diese im Staatsverweigerer-Milieu und im Milieu der Anastasia-Bewegung aktiv sind, wie im Falle der Ex-Partnerin von Herrn A.

Er sei der esoterischen Unterrichtsmethode von Anfang an ablehnend gegenüber gestanden, sagt A.: "Meine Tochter machte dort so gut wie keine Lernfortschritte." Aus zwei Gutachten geht hervor, dass das Mädchen massive Defizite bei der Rechtschreibung und beim Rechnen aufweist. So schreibt sie die Buchstaben und Ziffern spiegelverkehrt.

Vernichtender Bescheid für Lais

Nach einem Jahr hatte seine Tochter, so wie alle Kinder im häuslichen Unterricht, eine Externistenprüfung abzulegen. Diese fand in der Lernwerkstätte Brigittenau statt. Die Prüfung bestand A.s Tochter wider die Erwartungen mit "Sehr gut". Der "Wiener Zeitung" liegen die Prüfungsunterlagen vor. Bemerkenswert daran ist, dass das kleine Mädchen plötzlich im Stande war, völlig korrekt zu schreiben. Keine Spur mehr von Spiegelschrift, auch die Rechenaufgaben löste das Kind perfekt. Eine nur wenige Tage nach der Prüfung erneut durchgeführte schulpsychologische Untersuchung zeigte jedoch wieder die selben Defizite beim Schreiben, Lesen und Rechnen. Für Herrn A. ist offensichtlich: Die Externistenprüfung diente nicht dazu, den Lernfortschritt seiner Tochter zu überprüfen.

Nach intensiven Bemühungen und zahlreichen Gesprächen mit dem steirischen Landesschulrat und Schulinspektoren dann die Wende: Ende Juli erreichte Herrn A. und dessen Anwalt ein Bescheid des Landesschulrats Steiermark. Der erneute Antrag der Kindesmutter auf häuslichen Unterricht wurde abgelehnt. Das Kind habe im Schuljahr 2017/2018 die Regelschule zu besuchen, ist darin zu lesen. Besonders interessant ist die enthaltene Begründung: Erstmals listet ein Landesschulrat die Gründe auf, wieso die Lais-Methode nicht als dem Regelunterricht gleichwertig angesehen werden kann. "Mit großer Wahrscheinlichkeit" führe die Lais-Methode nicht dazu, dass Jugendliche später "dem politischen, religiösen und weltanschaulichen Denken anderer aufgeschlossen" gegenüberstehen könnten."Der Wissenstransfer erfolgt augenscheinlich ausschließlich nur vom Schüler zum Schüler, was bedenklich erscheint", so der zuständige Schulinspektor im Bescheid. Zielgerichtete Unterrichtsplanung scheine nicht gegeben zu sein, und: "Die Art der Vorbereitung der SchülerInnen auf die jeweilige Externistenprüfung erscheint äußerst fragwürdig."

Für die Lais-Lerngruppe "UrFreisprung" bedeutet der Bescheid vorerst das Ende. Die Erziehungsberechtigten der acht bis zehn Kinder der Lerngruppe erhielten den selben Bescheid. Herr A. atmete auf. Endlich könne seine Tochter wieder normal die Volksschule besuchen, so dachte er. Doch es kam wieder anders. Die Kindesmutter legte Beschwerde beim Verwaltungsgerichtshof ein, vergangene Woche wies dieser den Bescheid des Landesschulrats zurück, dieser begründete nicht neu, sondern hob den Bescheid auf. A.s Tochter ist nun wieder rund um die Uhr bei ihrer Mutter, die sie jetzt zu Hause unterrichtet. Herr A. versuchte weiter, das Obsorgerecht zu erhalten, und wandte sich an die Kinder- und Jugendhilfe der steiermärkischen Landesregierung. Obwohl dem fallführenden Sozialarbeiter das Engagement der Kindesmutter in der Staatsverweigerer-Szene bekannt sei, wie A. betont, sieht die Behörde "keine akute Kindeswohlgefährdung". Man spielt den Ball zurück an den Landesschulrat. "Und das, obwohl meine Ex-Partnerin auch meine Tochter bei den Staatsverweigerern vom ‚Staatenbund Österreich‘ eingetragen hat", sagt A."Die Behörden lassen mich im Stich." Ihm gehe es allein um das Wohl seiner Tochter, betont der Steirer.

Landesschulräte lenken ein

Gegenüber der "Wiener Zeitung" war niemand von den Verantwortlichen im steirischen Landesschulrat zu einer Stellungnahme bereit. Auch das Bildungsministerium schweigt. Andernorts hält man den - aufgehobenen - Bescheid jedoch für richtig: Es handle sich um eine "sehr sorgfältige Prüfung", schreibt Rudolf Altersberger, Chef des Kärntner Landesschulrats, der aufgrund der Lais-"Zentrale" in Klagenfurt ebenfalls vom Phänomen betroffen ist. Bei Anträgen auf häuslichen Unterricht würde mittlerweile "sehr genau hingesehen", sagt Altersberger. Die Externistenprüfung könne man nicht mehr ablegen, wo man möchte, zudem sei die Schulaufsicht bei der Prüfung anwesend. Auch in Salzburg wurde der "Prüfungstourismus" der Lais-"Schulen" beendet.

Und Herr A.? Mit seinem Anwalt will er weiter alles versuchen, seiner kleinen Tochter eine normale Schullaufbahn zu ermöglichen. Weitere rechtliche Schritte stehen im Raum. "Ich habe eigentlich nichts mehr zu verlieren", sagt der Steirer. "Aber ich werde weiterkämpfen."

Bisher zum Thema "Lais" erschienen:

"Meinem Kind wird Bildung verwehrt!"

"Ein pädagogisches Konzept fehlt völlig"

"Seid doch alle ein wenig natürlicher!"