Zum Hauptinhalt springen

"Wir werden zu Fachidioten ausgebildet"

Von Matthias Punz

Politik
© Fotolia/photolars

Die "Generation Krise" versucht seit Jahren, die Wirtschaftswissenschaften inhaltlich vielfältiger zu machen.


Wien. Es gibt da einen Witz: Eine Gruppe von Wanderern ist unterwegs in den Bergen und verläuft sich. Der Ökonom unter ihnen studiert die mitgenommene Karte, dreht sie rauf und runter, sucht nach Landmarken und kommt nach einiger Zeit zum Fazit: "Seht ihr den großen Berg dort drüben? Laut unserer Karte stehen wir exakt auf seinem Gipfel." Studierende der Volkswirtschaftslehre weltweit sehen ihre Fachdisziplin in einer solchen Phase der Orientierungslosigkeit. Der Vorwurf: Die gelehrten Theorien passen seit der bald schon zehn Jahre andauernden Finanz- und Wirtschaftskrise nicht mehr mit der Realität überein. Man habe die Krise weder kommen sehen, noch sei man seither gewillt gewesen neue Ideen zuzulassen.

Therese, Vero, und Steffen gehören zu dieser Gruppe der Wirtschaftsstudierenden. Sie sitzen in einem Wiener Kaffeehaus und äußern ihren Unmut. "Die Ökonomie ist zu einer unkritischen Einheitslehre verkommen. Wir werden zu Fachidioten ausgebildet", sind sich die drei einig. Therese und Steffen sind Gründungsmitglieder der "Gesellschaft für Plurale Ökonomik", welche im Jahr 2014 ins Leben gerufen wurde. Auf der Uni sind Studierende der Initiative seither als "Pluralos" bekannt. Eingebettet ist diese Vereinigung in ein weltweites Studierenden-Netzwerk, das sich über 19 Länder weltweit erstreckt. Ziel war und ist es, eine größere inhaltliche Vielfalt in das Volkswirtschaftsstudium zu bekommen und sich wieder mehr mit realen Problemen zu beschäftigen.

"Es geht um Menschen,nicht um Zahlen"

"Viele junge Menschen auf der ganzen Welt haben damals aufgrund der Krise begonnen, Volkswirtschaftslehre zu studieren. Im Studium musste man dann aber schnell feststellen, dass die Wirtschaftskrise oder das Thema Ungleichheit im Studium gar nicht wirklich vorkommen", so Therese, die ihren Bachelor und Master in Volkswirtschaftslehre an der Uni Wien absolviert hat. Vero ist noch mitten in ihrem Master, sie belegt den Studiengang "Socio-Ecological Economics and Policy" (SEEP) an der Wirtschaftsuniversität (WU) Wien. In ihrem Master kommen viele Sozial- und Umweltthemen vor, Kritik äußert aber auch sie: "Die Wirtschaftswissenschaft hat sich inhaltlich und methodisch eingebunkert." Der Vorwurf lautet, dass Ökonomen sämtliche Fragen mit mathematischen Modellen beantworten wollen. "Letztendlich geht es in der Ökonomie aber um Menschen, nicht um Zahlen", pflichtet Therese bei. Steffen, aktuell Doktorand in Budapest, war ebenfalls an der WU und hatte zuvor Volkswirtschaftslehre in Deutschland studiert. "Ökonomen sollten einen kritischen Beitrag für die Gesellschaft liefern und sich auch ihrer Verantwortung bewusst sein. Wenn Ökonomen eine bestimmte Politik empfehlen, hat das schließlich oft auch Konsequenzen für viele Menschen", so Steffen. Darauf werde man aber im Studium überhaupt nicht vorbereitet. Vor allem Studienanfänger im Bachelor würden fast nie mit kritischen Inhalten in Berührung kommen.

Kurzerhand wurden daher Vorträge und Veranstaltungen organisiert. Einer der Höhepunkte war eine wissenschaftliche Konferenz mit rund 200 Teilnehmern im Jahr 2015. Dort konnten Themen diskutiert werden, die man im Studium vermisst - wie etwa die Rolle der Arbeit im 21. Jahrhundert oder die Verteilung von Macht und Vermögen.

Rückzug in denElfenbeinturm

Katharina Mader von der WU forscht und lehrt zu feministischer Ökonomie - ein Randthema. Wissenschafterinnen wie sie seien die Ausnahme in der Wirtschaftswissenschaft. Die Volkswirtschaftslehre müsse sich anderen Disziplinen gegenüber öffnen und das Selbstbild des Ökonomen als unabhängigen und ideologiefreien Experten aufgeben - das entspreche nicht der Realität.

Auf der WU gibt es im Gegensatz zur Universität Wien ein sogenanntes Heterodoxes Institut. Unter Heterodoxie wird alles zusammengefasst, was nicht der vorherrschenden Lehre entspricht. Auf diesem inhaltlich ausscherenden Institut arbeiten drei Forschungs- und Lehrkräfte, Mader ist eine davon. Demgegenüber stünden ungefähr 70 Anstellungen für Forschende und Lehrende am volkswirtschaftlichen Institut der WU insgesamt, erzählt die Wirtschaftsforscherin. Sie versteht daher die Kritik der Studierenden. Weltweit gebe es ganz wenige Universitäten und volkswirtschaftliche Institute, die sich mit Armut, Ungleichheit, dem Klimawandel oder eben auch der Rolle der Frau in der Wirtschaft beschäftigen.

"Die Wirtschaftswissenschaft hat sich in einen Elfenbeinturm zurückgezogen und kann viele wesentliche Fragen nicht mehr erklären. Brennende Themen wie die Digitalisierung wurden beispielsweise verschlafen", kritisiert sie. Auch wenn es auf der WU zwei alternative Master und seit ein paar Jahren auch ein Institut für Ungleichheitsforschung gebe, ändere das nichts daran, dass im klassischen Volkswirtschafts-Master so gut wie keine alternativen Denkansätze vorkommen würden.

"Studenten sind voreingenommen"

Viele Wirtschaftsprofessoren können die Einwände der Studierenden und einiger Kollegen nicht nachvollziehen. "Die Kritik ist mir vertraut und ich kenne sie auch aus dem Hörsaal. Auf der Universität Wien gab es schon viele Diskussionen. Wir kamen aber immer zum Schluss, dass wir beim sogenannten Mainstream bleiben und dass Studierende mit dem jetzigen Lehrplan besser für ihre Zukunft gerüstet sind", erklärt etwa Monika Gehrig-Merz vom volkswirtschaftlichen Institut der Uni Wien. Sie unterrichtet unter anderem Makroökonomie - eines der zentralen Fächer im Studium. "Bei uns und vielen anderen Unis auf der Welt hat die Krise nicht dazu geführt, alle Theorien über Bord zu werfen." Inhaltliche Lücken seien jedoch befüllt worden: Die Rolle von Finanzmärkten und von Wirtschaftspolitik sei stärker in das Zentrum gerückt. Auf der Uni Wien gebe es auch viele Wahlfächer, die sich mit Wirtschaftsgeschichte oder anderen Themen, die sonst nicht im Studium vorkommen, beschäftigen würden. Gehrig-Merz nennt außerdem die unter den Studenten äußerst beliebte "SOLV", was für selbstorganisierte Lehrveranstaltung steht. Diese in jedem Semester stattfindende Vorlesungsreihe wurde einst gegen den Willen des Instituts von Studierenden durchgesetzt. Inhalte und Vortragende werden von Studierenden bestimmt. Die Themen der vergangenen Jahre: Migration und Ökonomie, die Rolle von Macht in der Wirtschaft, die Eurokrise - oder aktuell Big Data.

"Was mich an der Diskussion stört, sind Studierende, die glauben zu wissen, wie die Welt funktioniert, statt sich zuerst einmal mit Inhalten auseinanderzusetzen", geht Gehrig-Merz zum Gegenangriff über. "Ich betreibe mein Fach seit 25 Jahren. Ich wäre nicht hier, wo ich jetzt bin, wenn ich nicht auch kritisch denken würde." Studenten seien voreingenommen und nicht offen für neue Ideen. Zumindest in der Kritik an der Gegenseite ist man sich also anscheinend einig.

Wie die Ökonomen der Zukunft ausgebildet werden, ist offen. Die weltweit versuchte Revolution ist - vorerst - jedenfalls ausgeblieben.