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Die Freiheit des "Kammerzwangs"

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Mahrer folgt auf Leitl: Der Wechsel an der Wirtschaftsbund-Spitze steht auch für eine programmatische Trendwende.


Wien. Christoph Leitl hat seinen Wunschkandidaten bekommen. Nach 17 Jahren an der Spitze des Wirtschaftsbundes präsentierte der Oberösterreicher am Donnerstag seinen Nachfolger: Harald Mahrer, Unternehmer, in der scheidenden Koalition als Staatssekretär ÖVP-Regierungskoordinator und zuletzt Wirtschaftsminister - vor allem aber enger Vertrauter von ÖVP-Chef Sebastian Kurz. Das Präsidium des Wirtschaftsbundes wählte Leitls Wunschnachfolger zuvor einstimmig zum neuen Präsidenten, offiziell wird die Generalversammlung des Wirtschaftsbundes Mahrer im Dezember bestellen. Ob Mahrer auch, sowie zuvor Leitl, Chef der Wirtschaftskammer werden wird, blieb am Donnerstag offen. Mit Leitl tritt ein eingefleischter Sozialpartner von der Spitze der Wirtschaftskammer ab - wie aber tickt sein Nachfolger?

Harald Mahrer blickt neben seiner politischen Laufbahn, die ihn 2015 auch als Vizepräsidenten in die ÖVP-Parteiakademie führte, auf eine Karriere im PR-Bereich zurück. Der 44-jährige fungiert als Ideengeber, nach dem Abgang von Reinhold Mitterlehner an der ÖVP-Spitze deckte Mahrer parteiintern den wirtschaftlichen Bereich ab, wo Sebastian Kurz sich auf das Zuwanderungs- und Integrationsthema fokussierte. Mahrer selbst sieht sich gerne als Vordenker, vor allem, wenn es um die Digitalisierung geht, für ihn "die große gesellschaftspolitische Herausforderung unserer Zeit". Seinen Mitarbeitern aber gilt der philosophisch bewanderte Unternehmer im Umgang dem Vernehmen nach als eher hantiger Chef. Gut zwei Dutzend Kabinettsmitarbeiter sollen unter Mahrer - freiwillig oder unfreiwillig - das Handtuch geworfen haben, schreibt der "Standard".

Eng verbunden ist Mahrer mit dem Kremser Wirtschaftswissenschafter Gottfried Haber, der aktuell in ÖVP-Kreisen als Kandidat für den Wirtschaftsminister gehandelt wird. Wie aus den von Mahrer verfassten, programmatischen Büchern unschwer herauszulesen ist, ist der designierte neue Wirtschaftsbund-Obmann alles andere als ein Anhänger der alten, sozialpartnerschaftlichen Schule. "Staat", das bedeutet in Mahrers Augen vor allem "Zwang", der in Österreich geradezu zu einem "Fetischismus" geführt habe und dem er die Freiheit des "verantwortungsvollen" Einzelnen gegenüberstellt. Und Freiheit, das funktioniere nur mit Eigentum, da dieses unabhängig mache, so Mahrer jüngst in einem Interview mit der "Wiener Zeitung".

Mahrer: "Schieflage" in Sozialpartnerschaft

Ganz anders klang der Kämpfer gegen die Zwänge des Staates am Donnerstag vor den Journalisten. Ob er für ein Ende des "Kammerzwangs" stehe? Er wolle den politischen Entscheidungen nicht vorgreifen, aber er sei ganz klar für das Beibehalten der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern. In einem fast schon akademisch anmutenden historischen Abriss stellte Mahrer die - seit 1848 - institutionalisierte Selbstverwaltung der Wirtschaft als "zutiefst liberale Idee" dar. Man werde für die Pflichtmitgliedschaft sogar "kämpfen", schließlich bedeute diese doch für die Unternehmer "Freiheit vom staatlichen Zwang".

Gefragt, wie er es denn mit der Sozialpartnerschaft halte, schlug Mahrer dann doch andere Töne an: diese sei, wie man an den Werbespots der Arbeiterkammer sehen könne, "in einer Schieflage", die korrigiert werden müsse. Die Sozialpartnerschaft habe zwar "zweifelsfrei Enormes geleistet", jetzt aber gehe es um Herausforderungen, die "weit über die Partikularinteressen bestimmter Gruppen hinausgehe". Er bekenne sich zur Sozialpartnerschaft, "wenn sie den gesamtgesellschaftlichen Zielen entspricht", ja zur "Zukunftspartnerschaft" werde. "Wenn das nicht gelingt, ist die Institution in Frage zu stellen", so Mahrers Ansage in Richtung Arbeiterkammer und Gewerkschaftsbund.

Dessen Präsident Erich Foglar nimmt es gelassen. Man werde abwarten, welche konkreten Aktionen den Ankündigungen, für "Veränderung" sorgen zu wollen, folgen - oder eben nicht. Derweil liege noch nichts Konkretes am Tisch, wohin denn die Veränderung gehen solle. Gegenüber der "Wiener Zeitung" weist der ÖGB-Chef aber darauf hin, dass es für eine Partnerschaft eben zwei Partner brauche: "Wenn einer der beiden sagt, das ist das Programm, und wenn ihr nicht willig seid, dann stell‘ ich die Institution in Frage - das wäre keine Partnerschaft." Und: "Wer bei allem Gerede von Veränderung glaubt, dass in diesem Land künftig keine Interessen mehr vertreten werden, der irrt." Über seine eigene Nachfolge habe er sich noch keine Gedanken gemacht, all das werde frühestens im Vorfeld des ÖGB-Bundeskongresses im Juni nächsten Jahres besprochen.

Andere hochrangige Funktionäre äußerten sich unter Zusicherung der Anonymität zu Mahrer sehr unterschiedlich. Mahrer sei "oberflächlich" und "unverbindlich", heißt es aus der Gewerkschaft. Das politische Standing des scheidenden Ministers sei "vage". Es bleibt also abzuwarten, wie sich die Arbeitnehmerseite auf einen etwaigen Kurswechsel des Vis-à- vis in der Wirtschaft personell und inhaltlich aufstellen wird.

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