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Die Partei im Rücken

Von Jan Michael Marchart

Politik

SPÖ-Chef Kern steht vor der Aufgabe, seine Partei zu reformieren. Diese steht ihm dabei am meisten im Weg.


Wien. Christian Kern ist keiner, den man sich als Oppositionspolitiker vorstellt. Es gibt nicht wenige in der Partei, die ihn in dieser Rolle skeptisch betrachten. Viel zu lange hatte der Manager Führungspositionen inne, in staatsnahen Betrieben wie den Bundesbahnen oder in den vergangenen 17 Monaten, als er die Geschicke des Landes als Kanzler leitete.

Bis vor wenigen Wochen hatte sich nicht einmal Kern selbst ausgemalt, sich in der ungewohnten Rolle des Oppositionsführers wiederzufinden. Als Zuschauer von Schwarz und Blau, der auf Patzer hoffen muss, und darauf, dass seine Partei dann auch das Bein im richtigen Moment weit genug ausgestreckt hält, um die Koalition ins Stolpern zu bringen. Dafür wirkt die SPÖ aber noch zu instinktlos.

Es ist in der Partei unbestritten, dass sich die SPÖ neu aufstellen muss. Kern steht vor der Aufgabe, den roten Parteiapparat umzukrempeln. Dafür muss er die wenig flexiblen Strukturen der SPÖ überwinden. Kern versuchte es im Jänner mit frischem Wind in Form seines Plan A. Doch die Partei ist in weiten Teilen strukturkonservativ. Mit der Rasanz der gesellschaftlichen Entwicklungen wirkt die SPÖ immer altmodischer.

Den Wandel am Arbeitsmarkt hat die Sozialdemokratie im Wahlkampf selbst unterspielt. Die traditionelle Forderung nach Vermögenssteuern ist für rote Parteichefs längst keine Pflicht mehr und die Wertschöpfungsabgabe im Hinblick auf die Robotisierung ist aus Kerns Wortschatz gänzlich verschwunden. Jüngere Wähler erreicht die SPÖ kaum und die Mitgliederzahlen schrumpfen und schrumpfen. Die Jubelstimmung im Wahlkampfzelt in Wien zeigte aber, dass selbst beim Verlust der Kanzlerschaft und allem sonstigen Ungemach zumindest im eigenen Kreis Freude aufkommen kann. Hauptsache, das Wahlergebnis in der eigenen Umgebung passt. Dass die meisten westlichen Landesparteien demoliert oder längst im Auflösen begriffen sind, kümmerte damals niemanden sonderlich.

Die Suche nach sich selbst

Mitte, mitte-rechts, mitte-links oder einfach "nur" links - die SPÖ sucht nach sich selbst. Bis Dienstagmittag ist das SPÖ-Präsidium im Gartenhotel Altmannsdorf auf Klausur und bespricht ihre Strategie für die Opposition. Diese wird mit einer inhaltlichen und strukturellen Veränderung verbunden sein. In einem ersten Schritt stellte sich Kern an die Spitze aller Parteiteile: Klub, Partei und Renner-Institut, die rote Akademie, die er von Alfred Gusenbauer übernahm. Wohl auch, um mehr Einfluss zu bekommen. Zuletzt arbeiteten Kanzleramt, Klub und Partei mehr gegen- als füreinander.

Kern scheint eher einen linkeren Kurs einschlagen zu wollen. "Die ÖVP hat sich längst zu einer rechtspopulistischen Partei entwickelt", sagte er am Wochenende der "Tiroler Tageszeitung". Die SPÖ wolle eine progressive Partei sein und künftig das Mitte- und Mitte-Links-Spektrum abdecken. Soll heißen: Für die Grün-Wähler, die zuletzt SPÖ gewählt haben, ein dauerhaftes Angebot machen.

Geleitschutz bekommt Kern von Kärntens Landeshauptmann Peter Kaiser. "Wir müssen die Position ausfüllen, die frei ist: links der Mitte", sagte Kaiser zu "profil". "Die Grünen sind nicht mehr drinnen, die Liste Pilz ist angeschlagen - die SPÖ kann das mit ihrer Breite ausfüllen." So eine thematische Lücke wäre die grüne Umweltpolitik, ergänzte Kaiser im Ö1-"Mittagsjournal". Wiens Bürgermeister Michael Häupl fasste das Progressive als "Stadtpolitik" zusammen, denn da kämen die roten Stimmen her. Aber nicht alle Genossen arbeiteten in der Vergangenheit für ihren Chef. Manche werden es auch in Zukunft nicht tun. Zumindest werden sie es Kern nicht leicht machen. Einmal mehr steht Kern sein vielleicht größter Konkurrent in der SPÖ im Weg.

Noch-Verteidigungsminister Hans Peter Doskozil wird Ende des Jahres als Finanzlandesrat ins Burgenland wechseln und 2018 Landeshauptmann Hans Niessl beerben, der im Burgenland in einer Koalition mit der FPÖ längst eine eigene SPÖ etabliert und nicht nur einmal Kerns Kurs unterlaufen hat. Gemeinsam mit Doskozil.

Die Stadt ist nicht das Land

Die Partei solle sich nicht nur auf das grüne Potenzial konzentrieren, meint Doskozil. "Wenn wir Wahlen gewinnen wollen, müssen wir uns in Richtung Mitte orientieren." Die SPÖ werde jetzt schon als zu sehr links wahrgenommen, die Mehrheit sehe sich mittig. Doskozil plant sogar ein eigenes Parteiprogramm für die burgenländische SPÖ, um sich von Wien abzugrenzen. "Schluss mit den Flügelkämpfen", sagt er noch vor wenigen Wochen.

"Das Angebot in den Städten kann nicht das Gleiche sein wie in den ländlichen Gebieten", sagte Niessl zu Ö1. Nur auf die Grünen zu fokussieren, führe nicht dazu, "dass die SPÖ im Burgenland 42 Prozent bei den Landtagswahlen macht". Dafür seien die Ergebnisse der Grünen zuletzt zu schwach gewesen. Dass es eine Erneuerung brauche, darüber sind sich die Genossen einig. Einen Richtungsstreit will niemand sehen. "Nicht links, nicht rechts, sondern vorwärts", sagt der steirische Landesparteichef Michael Schickhofer, der seit Jänner mit der Reform der Partei betraut ist.

Noch etwas schwächt die Partei im Vergleich zu 2000. Sie stellt weniger als ein Drittel der Abgeordneten. Damit kann eine Zweidrittelmehrheit von ÖVP, FPÖ und Neos Verfassungsgesetze gegen den Willen der SPÖ beschließen. Deshalb sind die vier Landtagswahlen 2018 spannend. Im Bundesrat stellen SPÖ und Grüne mehr als ein Drittel der Abgeordneten, womit sie bei Verfassungsänderungen (bei Länderrechten etwa) eine Volksabstimmung erzwingen können. Bei den Wahlen steht auch dieses Vetorecht auf dem Spiel.