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Von Wölfen umzingelt

Von Petra Tempfer

Politik
© Fotolia/Xaver Klaussner

Während der Bär zum zweiten Mal ausgerottet wurde, ist der Wolf zurückgekehrt. Gleichzeitig wächst die Unsicherheit.


Wien. Sie kommen aus der Schweiz, Italien, Slowenien, Ost- und Nordeuropa. Und das immer öfter und in immer größerer Zahl. Österreich ist von Wölfen umzingelt. Dass sich diese hier wieder großräumig ausbreiten, scheint nur noch eine Frage der Zeit zu sein. Nachdem 1882 der letzte Wolf, der in Österreich geboren worden war, erschossen wurde, durchstreiften 130 Jahre lang nur noch ein paar einzelne Tiere das Land. Wolfsichtungen galten als etwas Besonderes, Seltenes. Im Vorjahr hat sich die Situation gedreht. Seit damals gibt es das erste heimische Rudel in Allentsteig in Niederösterreich. Insgesamt leben damit rund 15 Wölfe in Österreich. Zwei der Jungtiere sind bereits losgezogen, um neue Rudel zu bilden. Ein Rudel benötigt etwa 25.000 Hektar Lebensraum.

Die Rückkehr des Wolfes scheint sogar ohne Zutun der Umweltschützer zu funktionieren -ganz im Gegensatz zum Braunbären, der Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls ausgerottet und zwischen 1989 und 1991 aktiv wieder angesiedelt wurde. Der WWF zum Beispiel ließ drei Tiere frei, beim Ötscher bildete sich eine kleine Population von 31 Tieren. Seit 2011 sind sämtliche Braunbären in dieser Region verschwunden. Zum Teil aufgrund illegaler Abschüsse, wie Christian Pichler vom WWF vermutet. Nur einzelne, männliche Bären, die aus Slowenien und Italien kommen, streifen noch Kärnten. Der Bär wurde somit ein zweites Mal in Österreich ausgerottet.

Ganzjährig geschont

Das mag unter anderem auch daran liegen, dass der Bär ein Kulturflüchter ist. Menschensiedlungen, Motorsägengeräusche und Traktorengebrumm sind ihm zuwider. Richtete er auf der Suche nach Futter Schaden an, so waren mit ein paar wenigen Ausnahmen höchstens die Imker betroffen. Nicht so beim Wolf - er ist ein Kulturfolger. Das absolute Lieblingsfressen des Wolfes sind Rehe, Hirsche und Wildschweine, auf der "Fast-Food"-Speisekarte stehen jedoch Ziege und Schafe, weil diese leichter zu erbeuten sind. Aus Furcht vor Nahrungsknappheit tötet der Wolf mehr Tiere, als er fressen kann. Er selbst ist ganzjährig geschont und darf nicht geschossen werden.

Das schürt freilich die Unsicherheit und die Ängste unter den Landwirten und Jägern. Denn wer für gerissenes Weidetier aufkommt, ist weitgehend ungeklärt und wird sogar mit wachsender Wolfspopulation zunehmend unklarer. Grundsätzlich haftet zum Beispiel für einen Hund, der ein Schaf reißt, der Hundebesitzer. "Der Wolf ist Wild", sagt Martin Längauer von der Landwirtschaftskammer (LK) Österreich, "und dadurch würde für jeden Schaden, den er verursacht, die Jägerschaft haften." In einigen Bundesländern hat die Jägerschaft dafür auch eine Versicherung - diese wird jedoch immer häufiger abgeschafft. So zum Beispiel in Niederösterreich und Oberösterreich. In Wien und dem Burgenland gab es nie eine Regelung.

"Bis vor einem Jahr gab es hier eine Versicherung, die man freiwillig abschließen konnte", sagt Christopher Böck vom oberösterreichischen Landesjagdverband zur "Wiener Zeitung". Diese sei unter der Jägerschaft jedoch auf immer mehr Unverständnis gestoßen. "Viele haben gesagt, wenn die öffentliche Hand möchte, dass der Wolf da ist, warum sollen dann die Jäger den Schaden bezahlen", sagt Böck. Um einen Kompromiss zu finden, habe man bereits die Gespräche mit Vertretern des Naturschutzes, der Land- und Forstwirtschaft und der Umweltanwaltschaft gestartet.

DNA-Proben als Beweis

Andere Bundesländer haben andere Lösungen wie zum Beispiel einen Fonds, der mit Landesmitteln finanziert wird. Das eigentliche Problem ist aber laut Längauer, dass jeder Landwirt beweisen muss, dass es tatsächlich ein Wolf war, der sein Schaf gerissen hat -und das sei nicht unbedingt einfach. "Jemand von der Veterinärmedizin muss kommen und das gerissene Tier genau untersuchen", sagt Längauer. DNA-Proben bei der Bissstelle könnten mitunter den Beweis für den Wolf als Beutegreifer liefern. Längauer zufolge müsste jedoch in Anbetracht der Ausbreitung des Wolfes die Beweislast umgekehrt werden. Das Land müsste bei gerissenen Weidetieren beweisen, dass es nicht der Wolf war.

Die LK stehe der Rückkehr des Wolfes daher äußerst kritisch gegenüber, sagt Längauer. Und auch innerhalb der Jägerschaft regen sich Bedenken. Vor allem Fütterungsstellen könnten zu einer Falle für Rotwild werden und Wölfen ein Festessen bescheren, sagt Böck. Zerstreut sich das flüchtende Tier im Wald und richtet dort durch Verbiss Schaden an, sei es wieder der Jäger, der für den Schaden aufkommen müsse.

Schon vor 15 Jahren, als es in Österreich noch kein Rudel gab und nur einzelne Wölfe das Land durchstreiften, richteten Vertreter der Bundesländer, der Jägerschaft, Interessengruppen und das Umweltministerium eine länderübergreifende Koordinierungsstelle für große Beutegreifer ein. Diese arbeitete vor zehn Jahren einen Managementplan aus, der nun überarbeitet werden soll.

Darin geht es im Wesentlichen darum, dass Schäden durch den Wolf erst gar nicht entstehen - und zwar durch Herdenschutzmaßnahmen wie Zäune, Hirten und Hütehunde. In der Nähe des Großglockners läuft bereits ein Projekt nach Schweizer Vorbild. Landwirte und Jäger haben aber auch hier ihre Bedenken. "In Österreich gibt es 8000 Almen mit Rindern, Schafen, Ziegen und Pferden", sagt Längauer. "Diese Almen alle einzuzäunen, ist illusorisch."

Der stellvertretende Landesjägermeister von Niederösterreich, Werner Spinka, ergänzt: "Eine Herde braucht circa zehn Hunde, und ein fertig ausgebildeter Hund kostet 5000 Euro. Ein Schaf kostet 200 Euro. Werden die Wölfe mehr, werden viele Schafzüchter aufhören", sagt er. In Frankreich sei die Schafzucht bereits massiv zurückgegangen. Kommen mehr Wölfe, sei man nämlich mit einem neuen Problem konfrontiert: Mit Kreuzungen aus Wolf und Hund, die die Wildheit des Wolfes und die Furchtlosigkeit des Hundes in sich vereinen und vor Menschen keine Scheu mehr haben.

Bejagung in der Slowakei

Im Vergleich zu anderen Ländern "ist Österreich aber auch so ziemlich das letzte Land, das noch nicht von Wölfen besiedelt ist", sagt dazu Pichler vom WWF. In Frankreich, der Schweiz, Deutschland und Italien vermehre sich der Wolf seit 20 Jahren erfolgreich. In Deutschland etwa gebe es rund 600, in Italien bis zu 2000 Wölfe. Mit den rund 15 in Österreich lebenden Wölfen habe man "die gesetzliche Verpflichtung sicherlich noch nicht erfüllt". Der Flora-Fauna-Habitat-Richtlinie der EU zufolge ist der Wolf nämlich EU-weit geschützt, und in jedem Land muss eine gewisse Anzahl leben. Für Österreich liegt diese bei 36 Rudel zu je zehn Stück - also bei 360 Wölfen. In einzelnen Ländern wie etwa der Slowakei ist jedoch eine gezielte Bejagung möglich.

Was diese Zahl für Österreich und die Ängste der Landwirte und Jäger bedeutet? "Der Wolf frisst zu 99 Prozent Wildtiere und nur zu einem Prozent Nutztiere", sagt Pichler. Österreichs Wölfe reißen durchschnittlich 50 bis 60 Schafe pro Jahr, im Vorjahr waren es sogar weniger als 20. Bei einer Anzahl von 450.000 Schafen, die hier leben, sei das nur ein Bruchteil. Tausende seien durch Blitzschlag oder Wurmbefall ums Leben gekommen. Und was die gefressenen Rehe und Hirsche betrifft, so könnte der Wolf auch zum Partner der Jäger werden, indem er diesen hilft, das Wild zu reduzieren und die verpflichtenden Abschusszahlen zu erfüllen. Mit dem Vorteil, "dass der Wolf krankes Wild erkennt und dieses frisst".

Das tat er schon bis 1882, bevor man ihn aus Österreich vertrieb. Die Wilddichte, die heute höher ist als damals, ist laut Pichler eine gute Basis, dass der Wolf längerfristig zurückkehrt.