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"Ein Schelm ist der, der mehr gibt, als er hat"

Von Martina Madner

Politik
Christoph Leitl betont im Interview mit der "Wiener Zeitung", dass die Entlastung bei den Lohnnebenkosten Priorität habe.
© Christoph Liebentritt

Digitalisierungspartner statt Sozialpartner, das schlägt Wirtschaftskammer-Präsident Leitl für die Zukunft vor.


Der scheidende Wirtschaftskammerpräsident Christoph Leitl wünscht sich von einer künftigen ÖVP-FPÖ-Regierung Politik im Sinne des Standorts — und scheint sie zu bekommen. Die Sozialpartnerschaft sieht er als Wettbewerbsvorteil, den man nicht dem Ruin preisgeben dürfe. Das gilt es aber noch außer Streit zu stellen.

"Wiener Zeitung": Die Regierung wird nun die Arbeitszeiten flexibilisieren. Darauf konnten sich die Sozialpartner vor dem Sommer nicht einigen, braucht es sie nicht mehr?Christoph Leitl: Nein, das Gegenüber hat damals die Zeichen der Zeit bei der Arbeitszeit nicht erkannt. Da waren - insbesondere bei einigen Teilgewerkschaften - parteipolitische Überlegungen angesichts der sich nähernden Nationalratswahlen stärker als vernünftige Überlegungen. Die Sozialpartner hatten eine gute Lösung. Die ist verhindert worden. Das war ein schweres Foul von einigen Gewerkschaftern gegen ein lösungsorientiertes Miteinander. Dass man in unseren Betrieben mehr arbeiten muss beziehungsweise um den viel zitierten Lohnraub ist es auch nie gegangen, sondern um weniger Bürokratie, den einfacheren Zugang zu flexibleren Arbeitszeiten. Die moderne Wirtschaftswelt fordert von allen Akteuren mehr Flexibilität. Dem tragen die Regierungspläne Rechnung.

Jetzt kommt der Zwölf-Stunden-Tag, das bedeutet doch mehr Arbeit?

Das heißt, dass mehr Entscheidungen auf der Betriebsebene gemeinsam mit dem Betriebsrat getroffen werden können und auch eine Höchstgrenze der Arbeitszeit von zwölf Stunden möglich ist. Das ist im Übrigen schon Regel und Praxis im öffentlichen Dienst, in Krankenhäusern und in Sozialstaaten wie Schweden und Finnland. Mehr Freiräume wünschen sich übrigens nicht nur Betriebe, sondern auch Arbeitnehmer.

ÖVP und FPÖ wollen auch entbürokratisieren, die duale Ausbildung stärken und den Zugang zur Finanzierung für Unternehmen vereinfachen. Ist das alles, was Wirtschaft und Standort brauchen?

Wenn wir wieder zurück an die Spitze wollen, sind drei Dinge ganz entscheidend: Es braucht eine Ausgabenbremse auf der Basis der Inflationsrate. Allen, die jetzt die Sorge haben, da wird kaputt gespart, sag’ ich gleich, das ist kein Kahlschlag, sondern ein vernünftiger Umgang mit Steuermitteln. Damit kommen innerhalb von fünf Jahren 13 Milliarden Euro herein, weil die Steuereinnahmen höher sind als die Inflationsrate. Damit kommen wir, erstens, von der Schuldenpolitik weg und können, zweitens, Zukunftsmaßnahmen setzen. Die Digitalisierung ist in aller Munde. Wir wissen, das kostet eine Menge Geld, das aber in kürzester Zeit aufgebracht werden muss. Und der dritte Punkt ist die Entlastung über die Lohnnebenkosten. Andere europäische Länder haben geringere Arbeitskosten. Die Unternehmen dort aber sorgen mit modernen Anlagen schon für beste Qualität, sind gerade im automotiven Zuliefererbereich eine ernstzunehmende Konkurrenz für österreichische Unternehmungen. Wir müssen also entlasten, um unsere Wettbewerbsfähigkeit wieder zu stärken.

Die Körperschaftssteuer auf nicht entnommene Gewinne soll dem Vernehmen nach bleiben. Ein Anliegen, auf das Sie verzichten?

Es ist mir natürlich ein wichtiges Anliegen, aber ich bin es gewohnt, Prioritäten zu setzen. Wer eine ganze Wunschliste präsentiert, läuft Gefahr, sich ans Christkind wenden zu müssen. Das kommt aber nur einmal im Jahr und kann auch nicht alle Wünsche am Zettel abhaken. Andere Länder haben längst aufgeholt. Ungarn geht jetzt mit der Unternehmenssteuer auf neun Prozent hinunter, hat eine Lohnsteuer von 15 Prozent, dafür eine Mehrwertsteuer von 27 Prozent. Ein anderer Zugang, aber die Arbeitslosenrate ist im Vergleich zu unserer nur halb so hoch.

Sollen wir uns wirklich Ungarn zum Vorbild nehmen und in einen Steuerwettbewerb nach unten eintreten?

Wir befinden uns in einem Steuerwettbewerb, wir sollten auf europäischer Ebene so wie bei der Mehrwertsteuer eine Unter- und Obergrenze einführen. Niedrige Unternehmenssteuern sind die Bierkiste des Supermarktes. Damit macht man den Einstieg in ein Land attraktiv. Da sollten wir uns nicht nur mit Ungarn vergleichen, sondern allen unseren Nachbarländern. Da schneiden wir im Vergleich mit einigen gut ab, aber in den meisten Fällen weniger gut. Daher haben wir hier Aufholbedarf. Das Allerwichtigste ist aber die Lohnnebenkostensenkung.

ÖVP und FPÖ planen offenbar eine unternehmerfreundlichere Politik als die vergangene Koalition. Zugleich könnte es auch der Pflichtmitgliedschaft in den Kammern an den Kragen gehen, ein No-Go?

Die Sozialpartnerschaft hat diesem Land den sozialen Frieden und Stabilität gebracht. Sie steht für Solidarität. Wenn einige wenige Solidarität jetzt durch Egoismus ablösen wollen, dann entspricht das nicht der österreichischen Seele. Wir sollten mit dieser pfleglich umgehen, weil das eine Stärke dieses Landes und keine Schwäche ist. Wegen der Sozialpartnerschaft haben wir nur ein Drittel der Streiks von Deutschland. Da rede ich gar nicht von den Franzosen, wo es das Hundertfache an Streiktagen gibt. Gerade in der heutigen Zeit, in der Vertrauen und Verlässlichkeit Assets sind, die auch von internationalen Investoren geschätzt sind. Auch was die motiviertesten Mitarbeiter anbelangt, sind wir weltweit an zweiter Stelle. Wenn einige jetzt glauben, sie können sich durch die Abschaffung der Pflichtmitgliedschaft ein bisserl was sparen, sei ihnen gesagt: Sie werden es an anderer Stelle mehrfach bezahlen müssen. Deshalb sage ich, nicht ruinieren, wohl aber reformieren.

Konkretisieren wir das: Wäre ein Ende der selbstverwalteten Krankenkassen eine Reform oder der Ruin?

Wer die Selbstverwaltung nicht will, redet der Verstaatlichung das Wort. Selbstverwaltung heißt aber auch, dass diejenigen, die bezahlen, mitreden. Von den 64 Milliarden Euro pro Jahr zahlen die Arbeitgeber über ihre Beiträge 32 Milliarden in das System ein, die Arbeitnehmer 18 und die öffentliche Hand 14 Milliarden, also einen vergleichsweise kleinen Anteil. Dennoch - und da sollte man nicht kleinlich sein - beansprucht die Wirtschaft nicht 50 Prozent Mitsprache für sich, sondern wäre mit einer Drittelparität wie im AMS, wo das seit Jahren funktioniert, durchaus einverstanden.

Sie wollen ihre Mitglieder ab 2019 um 100 Millionen Euro pro Jahr entlasten. Werden diese noch die gleichen Leistungen erhalten?

Ja, sonst hätte ich das nicht gemacht. Ein Schelm ist der, der mehr gibt, als er hat. Wir machen das wie die Betriebe, können deshalb der öffentlichen Hand zeigen, wie das geht: In einer besseren Vernetzung durch IT ist viel für mehr Effizienz drinnen.

Trotzdem gibt es Druck . . .

Wir müssen damit leben, dass alle Institutionen in Frage gestellt werden. Wenn jetzt sogar Papst Franziskus wegen Häresie (Widersprüche gegen die Glaubenslehre, Anm.) vor die Glaubenskongregation gezerrt wird: Wer hätte vor 30 Jahren gedacht, dass das möglich ist? Da muss man auch als Sozialpartner sagen: Ja, wir haben tolle Vertrauenswerte, müssen uns aber in Richtung Standort- und Digitalisierungspartnerschaft entwickeln. Wenn wir Brüche durch die Technologie haben und Beschäftigung halten wollen, können wir das nur mit neuer Qualifikation bewerkstelligen.

Soll das ihr Nachfolger, Harald Mahrer, ähnlich halten?

Mein Nachfolger braucht keine Ratschläge von mir. Er ist einer, der sich in dieser neuen digitalen Welt besser auskennt als ich und perfekt in diese hineinpasst.

Was hoffen Sie, dass aus Ihrer Ära Bestand hat?

Ich würde mir wünschen, dass es auch in Zukunft gelingt, unterschiedliche Zugangsweisen im Konsens zu lösen, partnerschaftlich, auch mit der Regierung. Und ich würde mich freuen, wenn die europäische Idee, die übrigens nicht nur eine Friedensidee ist, weil sie eine Wohlstandssicherungsidee ist, als Überlebensfrage für uns Europäer erkannt wird.

Ist das das Ziel, das Sie sich als Präsident der Europäischen Handelskammern, der sie ab Jänner sind, gesetzt haben?

Wir müssen wieder Zukunftsoptimismus entwickeln. Die Amerikaner haben viele Probleme, auch viele verursacht, aber sie sind ungeheuer optimistisch. Die Asiaten haben ebenfalls viele Probleme, aber sie sind ungeheuer fleißig und erfolgshungrig. Und wir Europäer lassen die Flügel hängen. Wir sind satt geworden und leben in dieser Sattheit mit einem Anflug von Pessimismus. Wir müssen diesem Europa Wind in die Segeln geben, damit wir wieder flott unterwegs sind, damit wir mit diesem Schiff, auf dem nur mehr sieben Prozent der Weltbevölkerung sind, nicht untergehen, sondern die neuen Zielhäfen erreichen.