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Zeugnisse des Hasses

Von Werner Reisinger

Politik

Die Sammlung Rehse des DÖW bietet Einblick in die politische Aggressivität unserer Vergangenheit und soll mittels Crowdfunding digitalisiert werden.


© DÖW

Wien. Archive haben es an sich, immer wieder verloren geglaubte oder noch unbekannte historische Schätze zu Tage zu fördern. Ein solcher ist zweifelsohne die sogenannte Sammlung Rehse, von der ein nicht unbedeutender Teil heute im Besitz des Dokumentationsarchivs des österreichischen Widerstandes (DÖW) ist - was den dortigen Archivaren und Forschern erst seit kurzer Zeit bewusst ist.

Mit Beginn des Ersten Weltkrieges begann der Münchner Fotograf Friedrich Rehse politische Plakate, Hand- und Flugzettel und andere Objekte des politischen Alltags zu sammeln. Zu Beginn der 1920er Jahre konzentrierte er sich immer stärker auf die in München aufkommende Nationalsozialistische Bewegung bzw. die NSDAP, bald machten die Propaganda-Plakate der Nazis den Großteil seiner stetig wachsenden Sammlung aus, die er als "Archiv zur Zeitgeschichte und Publizistik München" bezeichnete. Weil seine Privatwohnung vor Objekten bald überquoll, suchte er einen Käufer für seine Sammlung - und fand ihn 1929 in der NSDAP selbst. Rehse selbst blieb Kurator und sammelte weiter, nach Ende des Krieges beschlagnahmten die Alliierten die inzwischen riesigen Plakatbestände, restituierten jene Teile, die die Nazis aus anderen Sammlungen geraubt hatten, und brachten den Rest nach Washington. Anfang der 1960er Jahre fand der Großteil der Sammlung nach Deutschland und wurde auf verschiedene Archive aufgeteilt.

Das DÖW erhielt 1970 die für Österreich relevanten Teile - fünf Kisten mit insgesamt über 270 Kilogramm gingen in die Plakatsammlung des Archivs über. Über die Jahre geriet diese Tatsache in Vergessenheit. Für die Fachwelt galt dieser Teil der Sammlung Rehse, zweifelsohne die bedeutendste zeithistorische Plakatsammlung im deutschsprachigen Raum, als verloren. Bis eben vor wenigen Jahren.

Exponate in schlechtem Zustand

© DÖW

Eine strukturierte und gezielte Aufarbeitung der insgesamt 3500 Exemplare umfassenden Plakatsammlung des DÖW begann erst vor rund drei Jahren. Aufgrund bisher wenig beachteter Signaturen und Stempel wurde den Archivaren nach und nach bewusst, dass ein Kernstück ihrer Sammlung, insgesamt 650 Plakate, aus der Sammlung Rehse stammt.

Erst vor kurzem startete das DÖW deshalb ein groß angelegtes Projekt mit dem Ziel, die teils in sehr schlechtem Zustand befindlichen Plakate einerseits fachgerecht zu restaurieren und zu erhalten sowie diese in einem zweiten Schritt zu digitalisieren und der Öffentlichkeit zugänglich zu machen. "In einem ersten Schritt führten Teilnehmer des Universitätslehrganges Library and Information Studies eine Bestandsaufnahme der Objekte durch", sagt Stephan Roth, Archivar am DÖW und mit dem Projekt betraut. "Die Plakate wurden beschrieben und fotografiert, aktuell sind wir dabei, die Ergebnisse in eine Datenbank einzupflegen." Diese Datenbank soll die Basis für das folgende Digitalisierungs- und Aufbereitungsprojekt sein.

© DÖW

Für die Originale werden spezielle, säurefreie Mappen und entsprechende Aktenschränke, die für die zahlreichen Sonderformate teils extra angefertigt werden müssen, zur dauerhaften und fachgerechten Lagerung benötigt.

"Wenn es keine Plattform gibt, die Auskunft über die vorhandenen Bestände gibt, gibt es auch keine Kenntnis darüber", sagt Roth. Ausstellungsmachern sei oft nicht bewusst, welche Materialien im DÖW potenziell für Ausstellungen zur Verfügung stehen würden. "Es ist eine Spirale nach unten, mit dem Projekt wollen wir sie umdrehen". Dass es Bedarf gibt, würde eine Zunahme von Anfragen für politische Plakate aus dem Bereich politische Zeitgeschichte verdeutlichen.

Die ungeliebte Demokratie

© DÖW

Viele Plakate sind Dokumente des stetig aggressiver werdenden politischen Klimas der Zwischenkriegszeit. Besonders die Plakate der frühen NSDAP illustrieren den Weg in die Gewalt: der politische Gegner, Sozialdemokraten, Kommunisten und Konservative, später die Vertreter des faschistischen Ständestaates, werden verächtlich gemacht und mit Häme überzogen. "Die Plakate sind oftmals Zeugnisse des Hasses auf die gegnerischen politischen Parteien, zudem illustrieren sie die Disfunktionalität des noch jungen und für viele Österreicher unwillkommenen neuen Systems, der parlamentarischen Demokratie", sagt Archivar Roth.

Spätere Exemplare, aus der Zeit nach dem sogenannten "Anschluss", dienten vor allem der Einschüchterung und Abschreckung. "Vollstreckte Todesurteile, beispielsweise gegen Widerstandskämpfer, wurden auf roten Plakaten in der direkten Umgebung des Wohnortes der Verurteilten affichiert, um Nachbarn abzuschrecken", erklärt Roth. Besondere Fundstücke sind auch Versammlungs-Aufrufe der frühen NSDAP oder antisemitische Hetzschriften der völkischen Bewegung, die tief in die von Verschwörungstheorien geprägte Vorstellungswelt der extremen Rechten blicken lässt. Auch im Kontext der aktuellen Konjunktur von Verschwörungstheorien, Fake News und gezielter Desinformation ist die Sammlung reich an Erkenntnis.

Um das Erhaltungs- und Digitalisierungsprojekt finalisieren zu können, benötig das DÖW rund 25.000 Euro an externen Mitteln. Das Geld wird nun mittels Crowdfunding organisiert, Unterstützung bekamen die Archivare dafür von einer Klasse der Wiener HTL Rennweg. Über 10.000 Euro sind es bereits - noch aber zu wenig, um die einzigartigen Dokumente der blutigen politischen Vergangenheit Österreichs für die Nachwelt zu sichern.

Informationen zum Konservierungs- und Digitalisierungsprojekt "Politik im Plakat" des DÖW finden Sie unter:

www.politikimplakat.wordpress.com

Beiträge zur Crowdfundig-Aktion werden unter folgender Adresse entgegengenommen:

www.wemakeit.com/projects/retten-sie-unsere-plakate