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Heimkinder-Missbrauch aktueller denn je

Von Petra Tempfer

Politik
Zur Strafe musste ein Kind einer Wohngemeinschaft einen Tag im November im Freien ohne Essen und Jacke verbringen.
© Adobe Stock/mizina

Volksanwaltschaft berichtet über neue Missbrauchsfälle von Heimkindern.


Wien. Dass Kinder und Jugendliche in Heimen missbraucht werden, ist kein Phänomen einer lange zurückliegenden Zeit. Aktuell werden zwar immer mehr Fälle ehemaliger Heimkinder bekannt, gleichzeitig kommen aber gegenwärtige Fälle dazu.

Zuletzt startete das Burgenland ein Verwaltungsverfahren aufgrund eines Berichts der Volksanwaltschaft über mögliche Missstände in einem sozialpädagogischen Wohnheim. Bei den Vorwürfen handelte es sich um sexuellen Missbrauch. In einer Wohneinrichtung in Niederösterreich wiederum soll es zu Erniedrigungen und Gewaltanwendungen gekommen sein. Am Montag legte die Volksanwaltschaft einen ersten Sonderbericht über "Kinder und ihre Rechte in öffentlichen Einrichtungen" vor. Seit 2012 besuchen Kommissionen der Volksanwaltschaft zum präventiven Schutz der Menschenrechte Einrichtungen, in denen es zu Freiheitsentzug kommt oder kommen kann.

Kind musste zur Strafefast nackt im Regen stehen

Bei ihren Besuchen in Wohngemeinschaften für Kinder und Jugendliche stießen die Kommissionen "immer wieder auf eine Vielzahl problematischer Umgangsweisen im Bereich Sanktionen", heißt es im Bericht. So musste sich zum Beispiel ein Kind, das ins Bett gemacht und sich geweigert hatte, dieses neu zu beziehen, zur Strafe in der Nacht fast nackt in den Regen stellen. In einer anderen Wohngemeinschaft ließ man ein Kind, das seinem Bruder Duschgel ins Bett geschüttet hatte, die gesamte Nacht in dem mit Duschgel getränkten Bett liegen, "um ihm zu zeigen, wie sich das anfühlt".

Wieder woanders musste ein Jugendlicher zur Strafe einen ganzen Tag ohne Essen im Hof verbringen. Obwohl es November und kalt war, hat man ihm laut Volksanwaltschaft nicht erlaubt, eine Jacke zu holen. Und in einer Wohngemeinschaft in Niederösterreich wurden Jugendliche bis zu 72 Stunden lang in einer sechs Quadratmeter großen Holzhütte "separiert". "Das sind klare Menschenrechts-Verstöße", sagte Volksanwalt Günther Kräuter. Insgesamt lebten mehr als 8400 Kinder und Jugendliche in Heimen oder Wohngemeinschaften.

Kräuter forderte Konsequenzen. Konkret sprach er sich für bundeseinheitliche Standards (Gruppengrößen, Personalschlüssel), Vertrauenspersonen für die Kinder, Maßnahmen zur Gewaltprävention sowie sozialpädagogische Konzepte als Voraussetzung für die Bewilligung einer Einrichtung aus.

Was ehemalige Gewaltopfer betrifft, so haben diese seit 1. Juli nach dem Heimopferrentengesetz (HOG) Anspruch auf eine Zusatzpension von 300 Euro zwölf Mal jährlich, sofern sie bereits einmalig Entschädigungsleistungen erhalten haben. Alle anderen Betroffenen können dann eine Zusatzpension bekommen, wenn sie gegenüber der in der Volksanwaltschaft neu eingerichteten Rentenkommission darlegen können, dass sie Opfer von Gewalt wurden. Das Geld kommt vom Bund.

Bisher seien 2600 Einträge eingelangt, rund 1500 davon seien bewilligt und 300 abgewiesen worden, heißt es auf Nachfrage vom Sozialministerium. Der Rest sei noch offen. Der Volksanwaltschaft geht das HOG aber noch immer nicht weit genug. Opfer aus Spitälern und privaten Einrichtungen sowie junge Menschen mit Behinderung müssten miteinbezogen werden, so Kräuter.

Die Vorsitzende der Volksanwaltschaft, Gertrude Brinek, verwies darauf, dass die Zahl der Jugendlichen in Haft von 96 im Jahr 2014 auf heuer (mit 1. September) 143 gestiegen sei. Dass in der Haft wie in den Schulen im Sommer kein Unterricht ist, müsse geändert werden - man müsse die Haft "als zweite Chance begreifen".

Volksanwalt Peter Fichtenbauer forderte Verbesserungen für die mehr als 190.000 Kinder und Jugendlichen mit chronischen Erkrankungen wie Diabetes im Schulsystem. Seit dem Bildungsreformgesetz 2017 gilt eine Hilfeleistung der Lehrer als Amtshaftungsfall, diese haften somit nicht mit dem Privatvermögen - deren Angst, etwas falsch zu machen, sei aber noch immer groß, so Fichtenbauer. Der Bericht soll nun dem Nationalrat und den Landtagen übermittelt werden.