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Geplante "Grauslichkeiten"

Von Martina Madner und Petra Tempfer

Politik

Die Regierung stellt den Sozialstaat auf den Prüfstand. Weniger Geld für Arbeitslose ist möglich.


Wien. "Mich betrifft es ja gar nicht mehr, aber die Jungen, die brauchen doch auch eine Chance auf eine Arbeit, mit der man sich was erwirtschaften kann", sagt Karl Frank. Er ist seit einigen Monaten in der Korridorpension, war früher im Export und Einkauf großer Stahlkonzerne beschäftigt, wurde einmal als Nachwuchsführungskraft ausgezeichnet.

Dann aber kam eine "chronische Erkrankung psychischer Natur": "Das kommt ja schleichend, dann konnte ich nicht mehr mithalten", sagt Frank. Zehn Jahre war er vor seiner Pensionierung arbeitslos. "Wir sparen nicht beim Menschen, sondern im System", wiederholen Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP) und Heinz-Christian Strache (FPÖ) seit der Präsentation ihrer Vorhaben mantraartig.

Ungläubig schüttelt Frank den Kopf und fragt: "Wer geht denn zum AMS wenn nicht Menschen? Diese Empathielosigkeit gegenüber Menschen, die ja nichts dafür können, wenn sie ihre Arbeit verlieren." Und: "Mich betrifft es ja gar nicht mehr, aber die Jungen, die brauchen doch auch eine Chance auf eine Arbeit, wo man sich was erwirtschaften kann."

Deshalb ist Frank bei der Aktion "Soziales Netz in Not" der Armutskonferenz, einer Plattform, die sich gegen Armut einsetzt, dabei. Ein gutes Dutzend kam zum Minoritenplatz hinter dem Bundeskanzleramt, um gegen geplante Kürzungen im Sozialstaat aufzutreten. Sie zeichneten ein soziales Netz, bauten mit Kisten "Kürzungen, Willkür, Sparpolitik, Ignoranz, prekäre Jobs" eine Mauer. Protestierten damit gegen die Punkte im Regierungsprogramm, die den Sozialstaat beschneiden - so wie zum Beispiel der "Arbeitslosenversicherung neu".

Martin Schenk, stellvertretender Direktor der Diakonie Österreich und Mitbegründer der Armutskonferenz, sieht darin "Elemente in Richtung Hartz IV kommen. Das war in Deutschland schon kein Sprungbrett in den Job, sondern in die Armutsfalle." Doch was ist überhaupt geplant?

Heute erhält man 20 bis 30 Wochen lang rund 55 Prozent des früheren Einkommens als Arbeitslosengeld, danach unbefristet Notstandshilfe, die 92 Prozent des Arbeitslosengeldes ausmacht. Etwas mehr als 150.000 Personen bezogen 2016 Arbeitslosengeld, weitere 163.040 Personen Notstandshilfe, sie erhielten in Summe rund 3,5 Milliarden Euro. Dem Sozialministerium zufolge haben 307.533 Personen einige Zeit lang Mindestsicherung bezogen. Insgesamt bezahlte der Staat 874,4 Millionen Euro an sie aus.

Arbeitslosengeld neu

Im Regierungsprogramm ist der Punkt "Arbeitslosengeld neu" zu finden mit der Erläuterung "Degressive Gestaltung der Leistungshöhe mit klarem zeitlichen Verlauf und Integration der Notstandshilfe". Wie sich das auf die Anzahl der Beziehenden von Arbeitslosengeld, Notstandshilfe und Mindestsicherung konkret auswirkt, lässt sich laut Beate Sprenger, Sprecherin des AMS, mangels Details noch nicht sagen. Da das Arbeitslosengeld länger ausbezahlt werden soll, sei der Bezug dann ja auch höher als die Notstandshilfe. Wobei: Weil degressiv meint, das Arbeitslosengeld wird im Laufe des Bezuges zunehmend geringer, befürchtet Arbeitsrechtler Martin Risak aber eher eine "Grauslichkeit".

Zwar sollen jene, die sehr lange gearbeitet haben, bevor sie arbeitslos wurden, auch länger Arbeitslosengeld erhalten. Aber: Dauert die Arbeitslosigkeit zu lange an, könnte die Leistung auslaufen - und man wandert ins Mindestsicherungssystem.

Weitere für Punkte, die sich negativ auf Arbeitslose auswirken, verbergen sich laut Risak in der Überprüfung von "Berufsschutz und Entgeltschutz". Heute muss man zum Beispiel 100 Tage keinen Job annehmen, der nicht vergleichbar bezahlt wird. Das könnte sich ändern. Auch die zumutbare Wegzeit zur Arbeit soll ausgeweitet werden. Krankenstände verlängern nur nach Operationen die Bezugszeit. Außerdem sollen Dienstnehmer überprüft werden, ob sie Leistungen rechtmäßig beziehen.

"Wir gehen damit weg von der Versicherungsleistung hin zu einer Fürsorgeleistung", so Schenk. "Wir zwingen Leute, die ihr Leben lang gearbeitet haben, dazu um Almosen betteln zu müssen", sagt Frank. "Man erhöht den Druck auf alle Arbeitslosen. Vielleicht suchen sich fünf Prozent dadurch früher eine Arbeit, aber man bestraft 95 Prozent ungerechterweise mit", sagt Gernot Mitter, stellvertretender Leiter der Abteilung Arbeitsmarkt der Arbeiterkammer.

Unter den fünf Prozent Langzeitarbeitslosen gebe es zahlreiche Ältere: "Die können überhaupt nichts dafür, dass sie spät arbeitslos geworden sind", sagt Risak. Und: "Mit solchen negativen Anreizen treibt man die Leute in schlechtere, unsichere Arbeit, da landen dann Akademiker bei Arbeitskräfteüberlassern, als Taxler oder in der Reinigungsbranche."

Was ist daran Hartz IV?

Steigt der Druck auf Arbeitslose, sind sie bereit auf Lohn zu verzichten. Tatsächlich ist der Niedriglohnsektor in Deutschland seit Einführung von Hartz IV auf 22,5 Prozent angewachsen, in Österreich liegt er bei 14,8 Prozent.

Rasch in die Mindestsicherung zu wandern, geht in Richtung Hartz-IV-Modell. Denn wie in Deutschland muss man "m Mindestsicherung zu erhalten, sein Vermögen auflösen", sagt Mitter. "Also seine Eigentumswohnung, sein Auto verkaufen und seine Lebensversicherung auflösen." Und bis auf 4300 Euro das gesamte Geld verbrauchen, erst dann gibt es Mindestsicherung.

Die Regierung plant für Einkommensbezieher bis 1948 Euro, die Arbeitslosenbeiträge zu reduzieren. Rund 620.000 sollen um 300 Euro jährlich weniger bezahlen. Dadurch könnte die Arbeitslosenversicherung laut Mitter Einnahmen von 180 bis 200 Millionen Euro verlieren, "und es ist mit weniger Leistung zu rechnen."

Die Armutskonferenz hat berechnet, dass bei Hartz IV in Österreich 160.000 Menschen zusätzlich armutsgefährdet wären. In Deutschland sind nun nicht mehr 23 Prozent vor Hartz IV, sondern 52 Prozent. "Dazu kommen Kollateralschäden, ganz viele Haushalte mit Kindern, die ihren bescheidenen Wohlstand, den sie angespart hatten oder das Haus, dass sie gebaut haben, verloren haben."