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Es ist Zeit für flexible Arbeitszeit

Von Martina Madner

Politik

Man kann an der Arbeitszeit drehen, und trotzdem sind alle zufrieden - Unternehmer, Gesellschaft und sogar die Mitarbeiter.


Wien. Es ist ein kleines Handelsunternehmen in Graz, das eigentlich im Sommer Hauptsaison hat: Makava Eistee. Trotzdem haben über die Weihnachtsfeiertage nicht alle der zehn Mitarbeiter frei, "es schaut auch jemand über die Feiertage in die Mails, ob Bestellungen von großen Einzelhandelszentralen reinkommen", sagt Agnes Fogt. Auch die Marketing-Mitarbeiterin selbst wird ein Imagevideo zu den neuen Flaschen schneiden.

"Bei uns kann man sich die Arbeitszeit sehr flexibel einteilen, mal länger während eines Projekts arbeiten, es dafür die Tage danach lockerer angehen", sagt Fogt. Die Mitarbeiter im Unternehmen haben Arbeitsverträge über 38,5 Stunden, müssen aber nur 30 Stunden einbringen, können Stunden darüber als Gleitzeit geblockt später abbauen, wie das manche Vertriebler nun zu Weihnachten machen. Man hat laut Fogt "vermutlich ein niedrigeres Lohnniveau" als Mitarbeiter mit vergleichbaren Tätigkeiten in anderen Unternehmen.

Trotz Arbeit zu Weihnachten und weniger Geld sind die Mitarbeiter zufrieden, die Eigentümer und Geschäftsführer auch, gemeinwohlorientiert wächst man dezent und erwirtschaftet kleine Gewinne - und für die Volkswirtschaft bringt Arbeit dieser Art ebenfalls einen Mehrwert.

Arbeitszeit neu erfinden

Stefanie Gerold, heute Ökonomin und Sozialwissenschafterin an der Wirtschaftsuniversität Wien, hat solche innovativen Arbeitszeitmodelle gemeinsam mit Michael Soder und Michael Schwendinger analysiert. Sie kommt zum Schluss: "Wenn Mitarbeiter dabei Mitbestimmungsrecht haben und neue Arbeitszeitmodelle vorsichtig ausprobiert werden, sind später alle begeistert, auch wenn das bedeutet, zumindest teilweise auf Lohn zu verzichten."

Das sei nicht nur in kleinen Start-ups wie Makava so, sondern auch in großen Industriebetrieben. So zum Beispiel bei Borealis, dem Linzer Chemieunternehmen mit derzeit rund 1200 Mitarbeitern. Dort war die hohe Arbeitsbelastung durch Schichtarbeit über sieben Tage rund um die Uhr Ursache dafür, ein neues Modell zu wählen. Das brachte für 90 Prozent der Mitarbeiter längere Freizeitblöcke und die Arbeitszeit wurde von 38 auf 34,4 Stunden reduziert, bei halbem Lohnausgleich.

Trotzdem funktionierte es bei Borealis: "Der Konzern findet viel leichter qualifiziertes Fachpersonal als andere. Die anderen Unternehmen im Chemiepark in Linz mussten sogar trotz höherer Löhne nachziehen und das Modell übernehmen, um kein Personal zu verlieren", sagt Gerold. Und bei den Mitarbeitern? "Die Arbeitszufriedenheit ist gestiegen, man muss die längeren Freizeitblöcke nicht nur fürs Schlafen nutzen, sondern für das soziale Leben", sagt Gerold: "Das senkt auch die Scheidungsraten, die bei Schichtarbeit sehr hoch sind."

Aber nicht nur das: Man ist weniger krank, es gibt weniger Arbeitsunfälle und Fehler, auch die Produktivität steigt bei weniger Arbeitsstunden. Das funktioniert auch in sozialen Betrieben. 2014 beschloss zum Beispiel der Göteborger Stadtrat eine Arbeitszeitverkürzung auf sechs Stunden zu analysieren, und setzte das in einem Seniorenheim bis Ende 2016 um. Und Gerold und Kollegen schreiben nun: "Erste Auswertungen zeigen, dass Beschäftigte gesünder und zufriedener sind und sich dies auch positiv auf die Qualität der Pflege auswirkt."

Das war auch bei Makava so: Zu Start-up-Zeiten seien Arbeits- und Freizeit ineinander verschwommen, manchmal auch weit über 38,5 Stunden hinaus, wie bei Start-ups oft üblich, erzählt Fogt: "Wir haben am Anfang quasi vom Wohnzimmer eines Geschäftsführers aus gearbeitet, waren ja alle befreundet, sind dann alle gemeinsam abends weggegangen und haben weiter über Berufliches gesprochen." Dann wünschten sich Geschäftsführer und Mitarbeiter eine Professionalisierung. Heute arbeite man in den 30 Stunden konzentrierter, "es gibt kaum tote Zeiten". Man arbeite sehr selbständig, habe mehr von seiner Lebenszeit: "Die Arbeitszeit ist echt ein Motivator", stellt Fogt fest.

Flexibles Ungleichgewicht

Auch die neue ÖVP-FPÖ-Regierung sagt in ihrem Programm: "Flexible Arbeitszeitmodelle sind unter Bedachtnahme auf Arbeitnehmer- und Arbeitgeberinteressen im Sinne einer Win-win-Situation auszubauen." Und: "Hinzu kommt, dass Unternehmen und Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer gemeinsam und partnerschaftlich vielfach viel flexibler agieren wollen, als sie es aufgrund starrer gesetzlicher Regelungen derzeit können."

Kernpunkt der geplanten Flexibilisierung ist die Anhebung der täglichen Höchstgrenze der Arbeitszeit von derzeit zehn auf zwölf Stunden sowie der wöchentlichen Höchstgrenze der Arbeitszeit auf 60 Stunden. Im Durchschnitt darf die Höchstarbeitszeit aber wie bisher 48 Stunden nicht überschreiten. Was von Arbeitnehmervertretung als "ausbeuterisch" und von Arbeitgebervertretung als "Modernisierung" bezeichnet wird, schätzt Jörg Flecker, Soziologe an der Universität Wien und Vorstandsmitglied der Forschungs- und Beratungsstelle Arbeitswelt, kurz Forba, als "Ungleichgewicht" ein - und zwar im mehrfachen Sinne. Betriebswirtschaftlich gesehen bringt mehr Flexibilität einigen Unternehmen einen Wettbewerbsvorteil. Aber: "Flexibilisierung vernichtet auch Arbeitsplätze, weil man aus Kostengründen Personal spart", sagt Flecker. Damit könne man Auftragsschwankungen, aber auch schlechte Personalplanung ausgleichen. Der Erklärung der Regierung, dass flexible Arbeitszeiten weniger Arbeitslosigkeit bedeutet, schenkt er deshalb nur bedingt Glauben.

Außerdem: "Arbeitszeitgesetze sind nicht nur für die Wirtschaft da, sondern in erster Linie Schutzbestimmungen für Arbeitnehmer." Auch um das Machtgefälle zwischen Arbeitgeber und Arbeitnehmer auszugleichen. Dem European Working Conditions Survey zufolge werden 53 Prozent der variablen Arbeitszeiten in Österreich ausschließlich von Betrieben vorgegeben. In 16 Prozent der Fälle bestimmen sie die Mitarbeiter. Flecker: "Aber auch da richtet sich ein Teil nach den Anforderungen im Betrieb." Durchschnittlich arbeiten Österreicher inklusive Überstunden 43 Stunden - und sind damit hinter Griechenland Europavizemeister. Die meisten Überstunden fallen mit 16,2 Millionen pro Jahr übrigens in Krankenhäusern an. In der Privatwirtschaft ist die Gastronomie mit 7,2 Millionen jährlich Österreichmeister. Dem Regierungsplan, die täglichen Ruhezeiten im Tourismus von derzeit elf auf acht Stunden verkürzen zu wollen, kann Flecker folglich wenig abgewinnen: "Der Tourismus leidet unter Fachkräftemangel, ich kann mir nicht vorstellen, dass die Arbeit dadurch attraktiver wird."

Im Durchschnitt sind die Österreicher jedenfalls mit 33 Stunden Arbeit pro Woche am zufriedensten. Jene mit zwölf Arbeitsstunden wöchentlich würden gerne fünf Stunden mehr arbeiten, jene mit 58 Stunden gerne um zwölf weniger. 7,4 Prozent der Beschäftigten wollen übrigens explizit eine Ausweitung der Arbeitszeit, 92,6 Prozent allerdings keine. Umverteilen wäre also nötig, einfach ist es aber nicht: Eine Büroangestellte kann zum Beispiel schwerlich mit Stunden einer Krankenpflegerin aufstocken.

Gute Arbeitszeiten

Rudolf Karazman, Arbeitsmediziner und Psychotherapeut, weiß aus der Beratung seines Unternehmens "Innovatives Betriebliches Gesundheitsmanagement" außerdem: "Unsere Arbeitszeit orientiert sich an 20- bis 40-Jährigen ohne Betreuungspflichten." Da sind 43 Stunden "psychobiologisch am verkraftbarsten".

Die gute Arbeitszeit ist also auch eine Frage des Alters: "Wir werden mit dem Alter zwar klüger, aber unsere Konzentrationsfähigkeit und Muskelkraft lässt nach, die Erholungszeit steigt." Das zeige sich besonders bei Nachtarbeit. Für Arbeiter mittleren Alters sei eine Nachtschicht so anstrengend wie 13 Stunden Tagarbeit, für jene ab 45 Jahren aber wie 16 Stunden. "Nachtarbeit auf zwölf Stunden auszuweiten, wäre eine unchristliche Todsünde."

Karazman schlägt eine Änderung der Lebensarbeitszeit vor. Für Menschen ab 50 Jahren wären 30 Wochenstunden optimal. Genauso wie beim Berufseinstieg übrigens: "Einsteiger erleben eine Hochstressphase, die Arbeit ist in den ersten beiden Jahren um bis zu 25 Prozent anstrengender als danach." Bei den jüngeren würde es wenig Widerstand geben, jene im Alter 50-plus aber befürchten Lohneinbusen. Ihnen sagt Karazman: "Wollt ihr mit 70 wie Robert Redford oder wie Fritz Eckhardt aussehen?" Kürzere Arbeitszeiten wirken sich positiv auf die Gesundheit aus, längere schaden. Und der Regierung: "Eine Verkürzung wäre nicht nur Win-win, sondern Win-win-win: für Volkswirtschaft, Arbeitgeber und Arbeitnehmer."