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Die Tücken der "schwarzen Null"

Von Jan Michael Marchart

Politik
"Nachhaltig" will Schwarz-Blau die Staatsschulden reduzieren. Ob es dafür ein Verfassungsgesetz braucht, ist seit Jahren höchst umstritten.

ÖVP und FPÖ wollen eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben. Wie sinnvoll ist das? Eine Betrachtung.


Wien. Ende Dezember 2011 wurde es knapp in Europa. Griechenland, Irland und Portugal mussten als Folge der Finanzkrise bereits aufgefangen werden, Spanien und Italien schienen Wackelkandidaten zu sein. Das hatte Auswirkungen auf die Finanzmärkte. Ratingagenturen drohte allen Euroländern, ihre Bonitätsnoten herabzustufen. Damit drohte die Kreditwürdigkeit Österreichs zu versanden und die Zinslast drastisch anzusteigen.

Der Druck der Finanzmärkte führte europaweit dazu, dass sich Politiker in den nationalen Parlamenten mit der Suada in den Ohren lagen, dass einzig und allein eine gesetzliche Schuldenbremse die Lösung sei. Deren Grundlage wurde auf einem EU-Gipfel am 9. Dezember 2011 geschaffen. Es war der Startschuss für den "Europäischen Stabilitätsmechanismus" (ESM). Die Schuldenbremse sollte das Vertrauen der Investoren wiederherstellen. Diesen Sparplänen ordneten sich die EU-Mitgliedsstaaten auch unter.

So auch Österreich, damals unter rot-schwarzer Regierung. Sie sollte möglichst schnell eine Schuldenbremse in die Verfassung schreiben. Es ging dabei vorrangig um die Beruhigung der Finanzmärkte, wo die Regierung eigentlich sparen und welche Reformen sie angehen wollte, spielte damals eine untergeordnete Rolle. Das vage Vorhaben scheiterte damals an der Opposition, der eine in die Verfassung gegossene Absichtserklärung zu wenig war. Das alleine würde den Schuldenstand um keinen Cent senken, hieß es. Es sei keine Antwort auf die Frage, wo das Geld herkommen soll. SPÖ und ÖVP beschlossen als Ausweg eine einfachgesetzliche Variante - und wurde von der Ratingagentur Standard & Poor’s herabgestuft.

Die Auslegungssache der Spielräume

Sechs Jahre später könnte die Schuldenbremse doch in die Verfassung gehoben werden. Die Regierung hat sich der alten Idee wieder angenommen, am Donnerstag und Freitag geht sie in Klausur und könnte dabei erste Parameter verhandeln. Wie genau diese ausgestaltet werden soll, war aus dem Finanzressort noch nicht zu erfahren. Für eine Zwei-Drittel-Mehrheit im Nationalrat werden ÖVP und FPÖ die Zustimmung der Neos benötigen, die dies schon länger fordern.

Neos-Chef Matthias Strolz ließ bereits im "Standard" anklingen: "Die Verfassung hat noch einmal eine andere Wertigkeit." In guten Zeiten solle man etwas zur Seite legen, um in schlechten investieren zu können. Allzu restriktiv sieht es Strolz nicht: Der Staat solle weiter Schulden machen dürfen. Die Neos warten aber noch auf Konkretes.

Markus Marterbauer, Ökonom der Arbeiterkammer, braucht es keine Schuldenbremse in der Verfassung. In Österreich gebe es eine einfachgesetzliche Variante, in der das Gleiche stehe wie in den Maastricht-Vorgaben der EU, die für Österreich verpflichtend gelten. "Ökonomisch habe ich meine Bedenken", sagt Marterbauer. "Eine Schuldenbremse raubt vor allem beschäftigungspolitisch enormen Spielraum, wenn man sie zu eng schnürt." Wenn Rezessionen eintreten, wie nach dem Aktiencrash 2008, steige die Arbeitslosigkeit und man brauche budgetären Spielraum, um zeitgerecht gegenzusteuern. "Denn Arbeitslosigkeit, die während einer Rezension entstanden ist, lässt sich erfahrungsgemäß im Nachhinein nur schwer bekämpfen."

Die Chance, dass eine Schuldenbremse negative Effekte mit sich bringe, sei laut Marterbauer "relativ groß". In Deutschland seien die öffentlichen Investitionen für die Verkehrsinfrastruktur zurückgegangen. Eklatant sei beispielsweise der Zustand mancher deutschen Straßen, auch bei der Bahn bestehe großer Nachholbedarf, ist in der deutschen Wochenzeitung "Zeit" zu lesen.

Maastricht hat bereits Verfassungscharakter

Für den Chef des IHS, Martin Kocher, wäre eine Schuldenbremse in der Verfassung ein "politisches Signal". Eine mögliche Folge: Die Opposition könnte bei budgetären Abweichungen künftig mehr Druck auf die Regierungsparteien ausüben. Allerdings müsse das nicht bedeuten, dass die Schuldenbremse auch eingehalten werde, sagt Kocher. Maastricht hätte bereits jetzt Verfassungscharakter, aber nicht alle EU-Länder würden die Konsequenzen daraus ziehen. Die Frage sei, was bei einem Verstoß passiere.

Dass eine Schuldenbremse in der Verfassung Spielraum nimmt, sieht Kocher nicht zwingend. "In den USA dürfen keine Ausgaben mehr gemacht werden, wenn die Grenze erreicht ist. Das will aber niemand in Österreich und wäre auch zu unflexibel in Krisenzeiten", sagt Kocher. Sowohl in Österreich mit der eingesetzlichen Variante als auch auf EU-Ebene sind Spielräume festgeschrieben. So werden außergewöhnliche Kosten, etwa für die Fluchtkrise, in der EU-Vorgabe ausgeklammert. Durch diesen Kniff konnte die Defizitvorgabe der EU annähernd eingehalten werden.

Politisches Erziehungsprogramm

Der Verfassungsrechtler Bernd-Christian Funk sieht in der Schuldenbremse "ein erzieherisches" Signal" in Richtung einer anderen Finanzpolitik. Das sei prinzipiell positiv, für die juristische Ausführung ortet Funk aber Probleme. Es sei zweifelhaft, warum neben den bestehenden Europabestimmungen eine zweite, nationale Ebene eingezogen werden soll. Österreich sei ohnehin zur Maastricht-Einhaltung verpflichtet.

Außerdem bleibe offen, wie eine solche Schuldenbremse durchgesetzt werden könne. Eine Option wäre ein Misstrauensvotum durch den Nationalrat oder eine Anklage beim Verfassungsgerichtshof. Dies ist laut Funk fraglich, da der VfGH nur beurteilen kann, ob das Budget formal gesetzmäßig zustande gekommen ist. Spürbare Sanktionen gebe es obendrein keine.

Ob eine solche Schuldenbremse einen Mehrwert für einen gesunden Staatshaushalt bringt, sei daher fraglich. Und wolle man wirklich im schlimmsten Fall eine Haushaltskrise herbeiführen? "Man schafft damit eine feste Grenze, bei der man in manchen Situationen froh wäre, wenn sie nicht bestünde", sagt Funk.

Eine Schuldenbremse in der Verfassung als "politisches Signal" könnte auch der Regierung dienen, wie Funk erklärt, wenn diese nämlich Sparvorhaben durchsetzen will. Als Beispiele nennt der Verfassungsrechtler etwa das vorläufige Aus von den Förderprogrammen "Aktion 20.000" für ältere Langzeitarbeitslose und den Jobbonus, die auf SPÖ-Initiativen zurückgehen und aus öffentlicher Hand finanziert sind. Eines kann eine Schuldenbremse im Verfassungsrang laut Funk aber sicher nicht: eine verantwortungsvolle und auf die nächste Generation Rücksicht nehmende Fiskalpolitik ersetzen.