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Flüchtlinge als "Hoffnungsschimmer"

Von Ina Weber

Politik

Ein Projekt in Hamburg zeigt, wie die Wirtschaft durch die Integration von Flüchtlingen am Arbeitsmarkt profitiert.


Wien/Hamburg. Beate Spyrou freut sich über ihren ersten Wien-Besuch, und sie hat einiges im Gepäck: Das Hamburger Integrationskonzept, den Bericht zum Anerkennungsgesetz 2017 und vor allem ihren Vortrag über ein Netzwerk, das vor zwölf Jahren entwickelt wurde und Flüchtlinge fit für den Arbeitsmarkt machen soll.

Eingeladen wurde Spyrou, Projektleiterin des "IQ Netzwerk Hamburg - Nobi", von "Core - Integration im Zentrum", Letzteres ein EU-gefördertes Gemeinschaftsprojekt von MA17, Fonds Soziales Wien, Wiener ArbeitnehmerInnenförderungsfonds (WAFF), Wirtschaftsagentur Wien und Wiener Stadtschulrat. Spyrou berichtet von ihren Erfahrungen und die anwesenden Vertreter von Flüchtlingsorganisationen sind sichtbar beeindruckt. Offen und eloquent spricht sie die Probleme an. Der Wind, der ihr politisch entgegenwehen könnte, nämlich, dass viele nichts mit Flüchtlingen zu tun haben wollen, halte sich in Hamburg in Grenzen. "Es sind eigentlich alle von der Sinnhaftigkeit überzeugt", sagt sie selbstbewusst. Dabei spiele auch die Weltoffenheit der Stadt eine Rolle.

Im Jahr 2016 lebten rund 50.000 Geflüchtete in Hamburg. 2017 kamen weitere 5000 hinzu. Etwa die Hälfte hat einen beruflichen Abschluss oder formal erworbene Kompetenzen aus dem Herkunftsland. Rund 3000 Menschen mit einem ausländischen Abschluss kommen zur Anerkennungsberatung, "unser Nadelöhr, die erste Anlaufstelle für Ratsuchende", so Spyrou. Einen Antrag auf Anerkennung der im Ausland erworbenen Qualifikationen stellten 2015 in Hamburg mehr als 800 Menschen. "Oft fehlen nur ein paar Qualifikationen, um bei uns diesen Beruf ausüben zu können. Etwa musste eine Zahntechnikerin aus Syrien das Verarbeiten von zahnfarbenen Werkstoffen nachlernen, da es diese in ihrer Heimat nicht gab." Das Netzwerk IQ (Integration durch Qualifikation) stellte im Vorjahr 300 Qualifizierungsplätze zur Verfügung, unter anderen 40 Plätze im Handwerk, 60 im Ingenieurwesen oder 40 im Bereich Wirtschaftswissenschaften. "Dabei schauen wir, dass die Qualifizierung nicht länger als sechs bis neun Monate dauert", so Spyrou, "sonst kostet das zu viel." Von den 300 haben nach der Förderung 280 geflüchtete Menschen "einen guten Job".

Dies sei allerdings nur möglich, weil der Bund großzügig finanziert und die Handwerkskammer in Hamburg (vergleichbar mit der Wirtschaftskammer in Österreich) voll und ganz hinter dem Förderprogramm stehe und "für Politik und Wirtschaft ein sehr guter und verlässlicher Kooperationspartner ist". "Bei uns herrscht die Devise: Kein Lehrling heißt keine Fachkraft."

"Sonst kostet das dem Staat zu viel"

Jährlich fließen rund vier Millionen Euro in das Hamburger Netzwerk. "Die Bundesregierung finanziert diese Netzwerke in jedem Bundesland und stattet sie finanziell gut aus. Sie überlässt es aber auch jedem Landesnetzwerk, seine regionale Besonderheit zu etablieren, denn der Bedarf ist ja unterschiedlich", erzählt Spyrou.

Da in Hamburg das Thema Gesundheit ein großes ist, wird mit dem Universitätsklinikum zusammengearbeitet. "Die Akteure vor Ort, die müssen das ja auch wollen, damit es auch gut funktioniert", sagt sie. Krankenpfleger etwa werden von einem Ausbildner im Spital für eine gewisse Zeit begleitet. Der Ausbildner entscheidet, ob und wann die Berufsanwärterin fertig ausgebildet ist. Es gibt laut Spyrou keine abschließende Prüfung mehr.

Nicht alle Berufe würden sich jedoch für Nachqualifizierungen eignen. "Trotz Fachkräftemangel ist es etwa mit Hebammen aus dem Ausland schwierig", sagt die Projektleiterin, "das funktioniert in der Praxis nicht so gut". Dagegen sei das Projekt "Schweißen lernen - Deutsch lernen" sehr gut angekommen. "Die bekommen vom Stand weg einen guten Job."

Die Hamburgerin geht sogar so weit zu sagen, dass Migranten als "Hoffnungsschimmer" zu sehen sind. Der Fachkräftemangel sei enorm. Dazu komme, dass die meisten Deutschen nach einem Abitur streben und danach studieren wollen. "Bei uns will kaum ein junger Mensch Plastikfenster in ein Haus einbauen, sondern als Tischler lieber Möbel tischlern."

Neben den Qualifizierungsplätzen bietet das IQ Netzwerk Hamburg weitere Förderungen an wie Praktika, begleitende Lern- und Sprachcoachings oder die Beratungsstelle "Faire Integration", die Flüchtlinge über prekäre Beschäftigungsverhältnisse aufklärt.

"Es ist eine lange Reise, die man geht", sagt Spyrou, "aber es lohnt sich." Sieben Jahre nach der Gründung des Netzwerkes wurde im Jahr 2012 das Anerkennungsgesetz vom Bund beschlossen. Damit konnten immer mehr Unternehmen Mitarbeiter mit ausländischen Berufsabschlüssen beschäftigen. "Natürlich haben nicht alle Abschlüsse, die man anerkennen oder nachbessern kann. Daher können wir auch nie alle erreichen. Wir versuchen aber, unser Augenmerk auch auf Berufserfahrungen ohne formale Abschlüsse zu legen, und wollen sehen, was man da noch machen könnte."

Im Jahr 2016 kam eine weitere Unterstützung für Spyrous Arbeit hinzu. Mit dem Inkrafttreten des Integrationsgesetzes wurde das Aufenthaltsgesetz neu gefasst. Damit wurde es ermöglicht, dass Flüchtlinge, die sich in einer Ausbildung befinden, nicht abgeschoben werden können. Auch nicht nach einer zweijährigen Beschäftigungszeit danach. Die "3-plus-2-
Regelung" schafft Sicherheit für den Betroffenen und den Arbeitgeber. Wenn sich der Betroffene nach fünf Jahren nichts zuschulden hat kommen lassen und bewährt hat, kann er einen Antrag auf Bleiberecht stellen.

Damit Integration aber allgemein gut gelingt, wäre für Spyrou ein flächendeckendes Ganztagsschulkonzept und vor allem eine integrative Wohnbaupolitik wichtig. "Es wäre wünschenswert, wenn in allen Stadtteilen sozialer Wohnbau betrieben würde, das ist aber leider nicht möglich, weil die Grundstücke in den besten Lagen unendlich viel Geld kosten."

Auf dem Wochenmarkt in manchen Stadtteilen in Hamburg glaube man, man befinde sich in einem anderen Land. Dann gibt es laut Spyrou Stadtteile, dort gibt es wiederum kaum Migranten. "Wenn es nicht zur Durchmischung kommt, wird nie Normalität eintreten", sagt die Projektleiterin.

"Jeder Geflüchtete, der arbeiten will, muss arbeiten können"

"Jeder Geflüchtete, der arbeiten will, muss arbeiten können. Wenn wir ihnen das verwehren, dann werden das unsere Probleme von morgen. Die werden vielleicht nur noch von ihren religiösen Vereinen erreicht", so Spyrou. Und sie ist überzeugt: "Jeder Mensch, der aus unserem Programm in eine Beschäftigung geht, ist einer, der große Chancen hat, sein Ghetto zu durchbrechen."

"Wiener Zeitung": Wien, konkret der Fonds Soziales Wien, bemüht sich die Wartezeit von geflüchteten Menschen mit der Initiative "Integration ab Tag eins" sinnvoll zu gestalten. Was sagen Sie zu Hamburg, wo Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit, die sich in einer Ausbildung wie etwa einer Lehre befinden, nicht abgeschoben werden dürfen. Wie ist das in Wien beziehungsweise in Österreich?

Renate Schober: Eine solche Regelung gibt es in Österreich leider nicht. Wir haben zwar Asylwerber, die eine Lehre in Mangelberufen absolvieren. Aber das verhindert die Abschiebung nicht, falls das Asylverfahren negativ ausgehen sollte. In Österreich gilt das Ausländerbeschäftigungsgesetz, wonach Asylwerber bis auf wenige Ausnahmen keinen Zugang zum Arbeitsmarkt haben. Anders als in Deutschland unterscheiden wir nicht, ob es sich um Asylwerber mit hoher Bleibewahrscheinlichkeit handelt oder nicht. Daher sind die Beschäftigungsmöglichkeiten enden wollend.

Das heißt, ein Asylwerber in Österreich kann, auch wenn er eine Lehrstelle gefunden hat und der Arbeitgeber ihn braucht und ausbildet, jederzeit abgeschoben werden?

Ja, allerdings regt sich vermehrt Widerstand dagegen. In Oberösterreich wurde eine Initiative gestartet, die fordert, dass Asylwerber, die eine Lehre machen, nicht abgeschoben werden dürfen. Dort gab es ja diesen Fall, wo ein Lehrling, der in einem Wirtshaus ausgebildet und dort sehr geschätzt wurde, einfach vor aller Augen abgeschoben wurde. In Deutschland gibt es die sogenannte 3+2-Regelung, durch die Asylwerber während einer Ausbildung nicht abgeschoben werden. Wenn sie dann noch zwei Jahre arbeiten und sich nichts zuschulden kommen lassen, erhalten sie das endgültige Bleiberecht. Das gibt es bei uns leider nicht.

Wie ist die Situation in Wien?

Wir versuchen, Alternativen zum Beschäftigungsverbot anzubieten. Im Zuge des Programms "Integration ab Tag eins" erhalten Asylwerber Bildungsmaßnahmen wie Alphabetisierungskurse, Basisbildung oder besuchen das Jugendcollege, wo 1000 Jugendliche auf eine Matura, Studium oder eine Lehre vorbereitet werden. Was Lehrstellen betrifft, unterscheidet sich die Situation in Wien von jener in den restlichen Bundesländern. Auf eine Lehrstelle kommen im Durchschnitt sechs Bewerber, weshalb Asylwerber schwerer zum Zug kommen. Grundsätzlich gibt es diese Möglichkeit ja ohnehin nur bei Mangelberufen.

Ein wesentlicher Faktor der Integration ist die Anerkennung von Berufsabschlüssen. In Hamburg dürfte das sehr unkompliziert ablaufen. Wie ist das in Wien?

Das Nostrifizierungsverfahren dauert länger und hängt von mehreren Behörden ab. In Deutschland geht man nur zu einer Stelle, erhält einen Bescheid, ob man nachstudieren muss oder nicht, und kann dann relativ rasch - etwa in einem Spital - fertig lernen und zu arbeiten beginnen. In Österreich geht das nicht so einfach - und das ist doppelt schade, weil wir ja ohnehin einen Fachärztemangel haben. Die Anerkennung dauert bis zu vier Jahre. Eine Ärztin aus Syrien darf in dieser Zeit nicht arbeiten. Dazu kommt, dass sie zu Beginn des Nostrifizierungsverfahrens einen Stichprobentest bestehen muss, für den sie im Grunde perfekt Deutsch können muss.

Das heißt, die Zeit der Betreuung von Asylwerbern kann sehr lange sein. Wo leben die Menschen in dieser Zeit?

Zwei Drittel der Menschen mit Fluchterfahrung in Wien leben in privaten Wohnungen. Ein Drittel ist in organisierten Unterkünften, die von NGOs betrieben werden, untergebracht. Glücklicherweise ist die große Unterstützung der Wiener seit 2015 nicht abgerissen. Es gibt nach wie vor sehr viele Freiwillige, die sich engagieren.

Was würden Sie sich für Ihre Arbeit mit Asylwerbern wünschen?

Viele Asylverfahren dauern drei bis vier Jahre. Man könnte diese Zeit sinnvoll nutzen, wie das Hamburger Beispiel zeigt. Sehr toll ist dort, dass die Integrationsmaßnahmen von der Wirtschaftsseite ausgehen. Darin sehe ich einen Unterschied zu Österreich, wo Integration in erster Linie von der sozialen Seite ausgeht. In Deutschland wird die Wirtschaft stärker in die Pflicht genommen. Das würde ich mir auch für uns wünschen, denn die Betriebe haben ja auch etwas davon, wenn sie auf besser qualifizierte Mitarbeiter zurückgreifen können.

"3-plus-2-Regelung"

Die "3-plus-2-Regelung" wurde 2016 im neuen Integrationsgesetz in Deutschland verankert. Sie umfasst die aufenthaltsrechtlich geregelte duale Ausbildung mit anschließender Beschäftigung. Das bedeutet: Befindet sich ein geflüchteter Mensch in Ausbildung, zum Beispiel in einer Lehre, darf er nicht abgeschoben werden. Wenn er nach drei Jahren Lehre erfolgreich war, darf er weitere zwei Jahre in dem Unternehmen arbeiten, ohne dass er abgeschoben werden darf. Wenn er sich in diesen fünf Jahren nichts zuschulden kommen hat lassen, darf er in Deutschland einen Antrag auf Aufenthalt stellen.

Grundversorgung

Insgesamt sind derzeit 19.289 Menschen in der Wiener Grundversorgung. 9141 davon sind Asylwerber, der Rest subsidiär Schutzberechtigte, Menschen in einer Übergangsfrist, mit geduldetem Aufenthalt oder rechtskräftig negativ Beschiedene, die auf ihre Abschiebung warten. Ein Asylverfahren kann mehrere Jahre dauern. Flüchtlinge in organisierten Quartieren erhalten Essen bzw. Verpflegungsgeld, Kleidung sowie ein Taschengeld von 40 Euro im Monat. Privat Wohnende haben Anspruch auf 150 Euro Mietzuschuss sowie 215 Euro Verpflegungsgeld pro Monat. Zwei Drittel der Menschen mit Fluchterfahrung sind privat untergebracht. Ein Drittel lebt in organisierten Unterkünften der Caritas oder Diakonie. Endet das Asylverfahren mit einem positiven Bescheid, werden sie zu Asylberechtigten und sind Österreichern auf dem Arbeitsmarkt gleichgestellt. Sie müssen sich beim AMS melden und haben Anspruch auf Mindestsicherung.