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Die Reform der Reform

Von Simon Rosner

Politik

Vor zwei Jahren ist das Strafrecht grundlegend reformiert worden, um der Politik der permanenten Mini-Novellen ein Ende zu bereiten. Die neue Regierung will nun aber bereits erneut an den Schrauben des Gesetzes drehen.


Wien. Gut Ding braucht Weile, und manchmal braucht es mehr als eine Legislaturperiode. Es war Justizministerin Beatrix Karl, die im Februar 2013 eine sehr umfassende Reform des Strafgesetzbuches (StGB) auf den Weg schickte, indem sie eine Arbeitsgruppe dazu installierte. In ihr saß auch die heutige Staatssekretärin im Innenministerium, die Strafrechtlerin Karoline Edtstadler.

Aus dem Vorhaben, das darauf abzielte, geänderten gesellschaftlichen Werthaltungen Rechnung zu tragen und das aus den 70ern stammende Strafrecht zu modernisieren, ist drei Jahre später und mittlerweile unter Justizminister Wolfgang Brandstetter eine Reform geworden, die im Großen und Ganzen auf breite Unterstützung traf. Zwar stimmte die Opposition damals nicht in den großkoalitionären Jubelchor ein, doch die Kritik zielte eher auf Details ab. In Kraft trat die Novelle vor fast genau zwei Jahren - und dennoch soll es demnächst eine erneute Novelle geben. Die im Innenministerium ressortierende Edtstadler hat die Agenden von Justizminister Josef Moser übernommen. Erste Amtshandlung: Eine Arbeitsgruppe mit Experten soll eingesetzt werden.

Der Fokus der Reform soll dabei derselbe sein wie 2016, nämlich eine andere Gewichtung der Strafdrohungen von Vermögens- und Gewaltdelikten. "Da hat es ganz wesentliche Angleichungen gegeben", erzählt der Strafrechtler Alois Birklbauer von der Johannes-Kepler-Universität in Linz. "Bei vorsätzlichen Gewaltdelikten ist man bei den Höchststrafen teilweise um 50 Prozent nach oben und bei Vermögensdelikten nach unten gegangen", sagt Birklbauer.

Dass hier die Balance nicht mehr zeitgemäß war, war relativ unstrittig. Die Gesellschaft blickt heute anders auf die unterschiedlichen Delikte, die körperliche Unversehrtheit hat an Bedeutung gewonnen. Ein Beispiel: Das Züchtigungsrecht wurde erst mit der StGB-Reform 1975 abgeschafft. Bis dahin war es Eltern unter gewissen Umständen erlaubt, ihr Kind zu ohrfeigen. Erst 1989 aber wurde das gänzliche Gewaltverbot in der Erziehung eingeführt.

Neue Delikte sollenaufgenommen werden

Auch die Toleranz bei Schlägereien sei geringer geworden, erzählt Birklbauer. "Früher ist das oft gar nicht angezeigt worden." Im Regierungsprogramm heißt es daher: "Straftatbestände und Strafdrohungen müssen dem gesellschaftlichen Wandel Rechnung tragen." Deshalb sollen auch neue Delikte aufgenommen werden, darunter der Tatbestand der Behinderung der Hilfeleistung, also wenn Gaffer und Smartphone-Filmer Rettungskräfte behindern. Auch hier steht die körperliche Unversehrtheit im Vordergrund.

Kleinere Änderungen und Ergänzungen, eine Verschärfung hier, eine Reduktion dort, hat es immer wieder gegeben. Genau diese Praxis ortete man jedoch auch als grundlegendes Problem. Ein erklärtes und im Vorblatt zur Reform von 2016 festgehaltenes Ziel: eine "Verlangsamung des Änderungsprozesses im Bereich des materiellen Strafrechts". Durch die geplante Reform der Reform scheint diese Idee nun obsolet.

Was Strafrechtsexperten wie Birklbauer, aber auch Richter und Anwälte irritiert, ist die nicht nur die kurzer Dauer zwischen den Reformen, sondern auch das Fehlen einer echten Evaluierung. Diese sollte eigentlich im Jahr 2021 erfolgen. "Wenn überhaupt, lassen sich Entwicklungen im Bereich des Strafrechts nur nach einem längeren Beobachtungszeitraum nachvollziehen", hieß es damals im Begleittext zum Gesetz.

Für Birklbauer von der Uni Linz wäre eine erneute Novelle ohne vorheriger Evaluierung daher "nicht seriös", wie er sagt. Im "Morgenjournal" auf Ö1 sprach Edtstadler zwar sehr wohl von einer Evaluierung der vergangenen StGB-Änderungen, für die es sogar noch vor dem Sommer erste Zwischenergebnisse geben soll, der Prüfungszeitraum ist aber sehr knapp. Schon vor zwei Jahren hatte man daher bewusst die Evaluierung auf 2021 gelegt.

"Fünf Jahre wären gut, drei Jahre wäre das absolute Minimum", sagt Birklbauer. Da Ermittlungs- und Gerichtsverfahren häufig Monate, manchmal sogar Jahre dauern, aber immer jene Rechtsnormen angewandt werden müssen, die zum Zeitpunkt der Tat gültig waren, ergibt sich schon allein daraus eine Verzögerung. "Das erste Jahr ist immer ein Übergangsjahr", sagt der Linzer Strafrechtsexperte.

Niemand soll "zwei Malzum Täter werden"

Edtstadler argumentiert das rasche Vorgehen mit "Handlungsbedarf", da Taten und Strafen nicht im richtigen Verhältnis stünden. Aber auch Abschreckung und Prävention sind laut der Staatssekretärin Motive der erneuten Reform. Birklbauer ist hier skeptisch. "Aus der empirischen Forschung wissen wir, dass Generalprävention nicht wirkt. Keiner der Straftäter überlegt, wie hoch ein Strafrahmen ist. Wenn etwas wirkt, dann ist es die Entdeckungswahrscheinlichkeit." Für Edtstadler ist ein Ziel, dass niemand "zwei Mal zum Täter werden" solle.

Aktuell liegt der Anteil der Wiederverurteilungen bei genau einem Drittel. Auf null bringen wird man dies naturgemäß nie, aber vielleicht reduzieren. "Diese Frage erscheint mir auch die wichtigere", sagt Walter Hammerschick, der Leiter des Instituts für Rechts- und Kriminalsoziologie. Auch wenn die Täter Gewalt- und Sexualstrafrechtsdelikten künftig länger inhaftiert bleiben sollten, kommen sie in der Regel irgendwann frei.

Im Regierungsprogramm steht, dass sich ÖVP und FPÖ den "Zielen der Resozialisierung verpflichtet" sieht. Viel mehr steht im Koalitionsübereinkommen nicht. Edtstadler will sich aber auch diesen Fragen widmen, wie eine Sprecherin erklärt. In der Arbeitsgruppe, die mit Experten des Hauses, aber auch mit externen Fachleuten besetzt sein wird, soll das Strafrecht nur eines von drei Themen sein. "Es geht außerdem um Opferschutz und um Täterarbeit", sagt die Sprecherin. Dazu heißt es aber vorerst: abwarten.