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Und die Küche bleibt leer

Von Simon Rosner

Politik

Gibt es einen Mangel an Köchen in Österreich oder sind es nur Wachstumsschmerzen?


Wien. Ist Koch ein Mangelberuf? Einfache Antwort: Nein. Im Vorjahr kamen auf eine offene Stelle durchschnittlich fünf Arbeitssuchende, ein Mangelberuf besteht aber erst ab einem Verhältnis von 1:1,5. Daher eben: Nein. Die einfache Antwort ist aber auch eine vereinfachende Antwort.

Erstens ist die Berechnung von Mangelberufen nur eine politische Definition. Vor einigen Jahren hatten sich SPÖ und ÖVP auf die oben erwähnte Formel geeinigt, das heißt aber nicht, dass es da und dort, dann und wann, nicht auch in anderen Berufen einen Mangel geben kann.

Denn, zweitens, gibt es in der Gastronomie und in der Beherbergung enorme regionale Unterschiede. In Wien kamen im Vorjahr auf eine Stelle als Koch mehr als zwölf Arbeitslose, in Tirol dagegen nur drei. Es gibt also eine Dysbalance, und im Westen kommt man der Mangelberufs-Definition schon recht nahe. Man erreicht sie jedoch nicht. Dennoch klagen vor allem in Westösterreich Tourismusbetriebe, dass sie kein Personal finden, keine Köche, keine Servicekräfte.

Das hat mit einem weiteren Spezifikum der Branche zu tun, und das ist ein weiterer Punkt: In keinem anderen Segment spielen saisonale Unterschiede eine so große Rolle. In Wien ist dieser Effekt gering ausgeprägt, die Touristen kommen hier das ganze Jahr über, in hochalpinen Regionen ist das nicht der Fall.

Ein aktuelles Beispiel aus dem Jänner: Beim Arbeitsmarktservice wurden im vergangenen Monat in Tirol 713 Köche gesucht, arbeitslos gemeldet waren aber nur 905 Köche. Drei Monate davor, im Oktober, gab es in Tirol wiederum bei 472 freien Stelle gleich 3236 Arbeitslose allein in dieser Berufsgruppe. In der kurzen Zeit ist natürlich kein Wunder passiert. Es ist nur Winter geworden.

Dass es regional und saisonal zu einem Mangel kommt, ist aber kein neues Phänomen. Es ist sogar logisch. "Es gibt einen naturgegebenen Arbeitskräftemangel", sagt Oliver Fritz vom Wirtschaftsforschungsinstitut. Ein Beispiel: Ischgl hat rund 1500 Einwohner aber fast 400 Unterkunftsgeber, dazu noch viele Skihütten, Bars und Restaurants. Das kann sich also gar nicht ausgehen. Und so wie in Ischgl ist es in den meisten Wintersportorten. Die Antwort darauf war stets: Saisonarbeit.

Als der Wintersporttourismus in den 60er und 70er Jahren eine immer größer werdende Rolle zu spielen begann, konnte der saisonale Mangel durch Gastarbeiter aus anderen Bundesländern gedeckt werden. Steirer, Burgenländer oder Kärntner verbrachten die Wintermonate in den Skigebieten, im Sommer arbeiteten sie beispielsweise am elterlichen Hof in der Landwirtschaft. Doch das ist passé. Einerseits ist der Bedarf im Tourismus gewachsen, andererseits, so Fritz, habe sich die Zahl der Personen in der Landwirtschaft reduziert. "Das Arbeitskräftepotenzial ist zurückgegangen."

Ausweitung des Angebots

Auf "Saison zu gehen" blieb aber lange attraktiv. Thomas Geiger war einer von ihnen, heute ist er Vize-Spartengeschäftsführer in der Tiroler Wirtschaftskammer. "Ich habe das einige Jahre selbst gemacht, man hat gutes Geld verdient", erzählt er. Ein paar Monate in einem Wintersportort zu arbeiten war oft auch ein Abenteuer, eine wilde Zeit. Die Attraktivität habe aber abgenommen, sagt Berend Tusch von der Tourismus-Gewerkschaft Vida. "Es ist nicht mehr das Geld zu verdienen wie früher und die Arbeitsverdichtung war früher nicht so groß", so Tusch. Man habe zwar in Stunden nicht weniger gearbeitet, aber die Arbeit sei auf mehr Personen aufgeteilt gewesen, sagt Tusch.

Ab 1993 hat die Tourismusbranche dann saisonale Kontingente für Arbeitnehmer aus dem Ausland erhalten, sie werden seither jährlich von den Arbeitsministern festgelegt. Auch Kriegsflüchtlinge aus Bosnien kamen zu jener Zeit in dieser Branche unter, saisonal wie ganzjährig. So konnten die Betriebe das Angebot zunehmend ausweiten, der EU-Beitritt beförderte das Wachstum dann noch einmal deutlich - zunächst aber noch nicht im Gleichschritt mit dem Arbeitskräftepotenzial. Das passierte so richtig in den Jahren 2011 und 2014 nach den EU-Erweiterungen gen Osten.

Das Kontingent für Saisoniers aus Nicht-EU-Ländern, das unter Schwarz-Blau verdreifacht wurde, ist nach der Arbeitsmarktöffnung wieder zurückgeschraubt worden. Für diesen Winter wurden nur mehr 1100 Saisoniers aus Drittstaaten genehmigt. Viel zu wenig, sagt die Wirtschaftskammer. Aber auch das ist wohl eine vereinfachende Antwort.

Es ist ein Fakt, dass es zuletzt wieder schwieriger geworden ist, die freien Stellen im Tourismus im Westen zu besetzen, gleichzeitig steigen aber die Arbeitslosenzahlen in der Branche im Osten. Warum? Zum einen gibt es hier einen statistischen Effekt. Ungarn beispielsweise, die in dieser Branche mittlerweile die größte Gruppe nach inländischen Arbeitnehmern stellen, mussten bis 2011 um Saisonier-Bewilligungen ansuchen. Nach dem Ende des Winters erloschen diese, sie tauchten in keiner Arbeitslosenstatistik auf. Das ist nun anders, sie sind Österreichern gleichgestellt.

Zunehmende Konkurrenz

Zweitens gibt es eine zunehmende Konkurrenz innerhalb der Tourismusbranche. Im Osten des Landes hat eine deutliche Ausweitung des Angebots stattgefunden, vor allem Wien boomt, die Zahl der Nächtigungen ist rasant gestiegen. "Wir haben einen Interessenskonflikt von Ganzjahres- und Saisonbetrieben", sagt der Touristiker Thomas Geiger.

Die Tendenz geht zwar vielerorts in Richtung vier statt nur ein bis zwei Jahreszeiten der touristischen Nutzung, überall wird das aber nicht gehen. Nun sind ganzjährige Arbeitsverhältnisse generell attraktiver als temporäre, dazu kommt aber noch, dass Ostösterreich, wo es anteilsmäßig mehr Dauerstellen gibt, auch mit der Nähe zu den Herkunftsländern für viele Arbeitskräfte punkten kann. Auch das setzt den westlichen Bundesländern zu.

Dass die klassische Saisonarbeit im Tourismus heute finanziell nicht mehr so attraktiv wie früher ist, lässt sich aus Daten allein schwer herauslesen. Dies auch deshalb, da es in der Branche lange Usus war, dass über den tatsächlichen Lohn nur der Chef und der Beschäftigte Bescheid wussten. Auch das hat sich geändert. Was für spätere Pensionsansprüche und aktuelle Steuereinnahmen positiv ist, reduziert das Nettoeinkommen im Hier und Heute und ist wohl ein Faktor von vielen, warum es in manchen Orten schwerfällt, qualifiziertes Personal für temporäre Arbeit zu erhalten.

Die Frage ist aber, wie man darauf antworten soll? Die Regierung will die Mobilität von Arbeitslosen erhöhen, unter anderem durch eine Reform der Zumutbarkeit. Warum sollen arbeitslose Köche aus dem Burgenland nicht in Tirol arbeiten? Manfred Dag vom AMS Kitzbühel hält das grundsätzlich für sinnvoll, wenn keine Betreuungspflichten vorliegen. Er weiß: Je länger jemand ohne Arbeit ist, desto schwieriger wird es, wieder einzusteigen. Daher sei auch ein Saisonjob besser als gar keiner. Andererseits ist da die Gefahr, langfristig im prekären Saisonsegment zu verbleiben.

Und es gibt ein weiteres Problem: Die Daten weisen auf einen demografischen Effekt hin. Jeder dritte arbeitslose österreichische Koch ist über 50 Jahre alt, und das ist in der gesamten Branche so. Der Anteil älterer Arbeitsloser aus dem EU-Ausland liegt dagegen bei etwa sieben Prozent. Bei diesen Disparitäten ist es schwierig, treffsichere Maßnahmen zu finden, die keine unerwünschten Nebenwirkungen haben. 52-jährige Köche, die gesundheitlich angeschlagen sind, mit Sanktionen zu bedrohen, wenn sie nicht für zwei Monate nach Tirol gehen, wäre eine solche Nebenwirkung.

Dass es trotz Überzahlungen des Kollektivvertrages, trotz Öffnung des Arbeitsmarktes, trotz Saisonier-Regelungen da und dort, dann und wann, einen Mangel an Personal gibt, wirft aber jedenfalls die Frage auf, wohin die Reise gehen soll, nachdem der letzte große Wachstumsschub der Branche dank Ost-Öffnung kaum nachhaltig aufrechterhalten werden kann. Thomas Geiger sagt: "Ich sehe die Kapazitäten eher erschöpft und den weiteren Ausbau im qualitativen Bereich." Dazu braucht es dann aber noch mehr Qualifikation, was die Suche nicht einfacher macht.