Zum Hauptinhalt springen

Gezerre um Kostenstellen und Kapazitäten

Von Petra Tempfer

Politik
Am Universitätsklinikum St. Pölten versorgen rund 3000 Mitarbeiter mehr als 46.000 Patienten pro Jahr. Dazu kommen etwa 432.000 ambulante Kontakte.
© NÖ Landeskliniken-Holding

Patienten sollen von den Spitalsambulanzen in die Ordinationen gebracht werden - der Konflikt zwischen Land und Sozialversicherung ist vorprogrammiert. So auch in Niederösterreich.


St. Pölten. Eigentlich ist Niederösterreich stark verschuldet. Rechnet man alle öffentlichen Schulden dazu, also auch jene, die nicht im Budget abgebildet sind, sind es rund acht Milliarden Euro. Und dennoch hat vor allem Niederösterreich massiv in den Spitalsausbau investiert. Von 2006 bis 2016 flossen laut dem niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds rund 18 Milliarden Euro in den Spitalsbereich. Insgesamt gibt es 27 Klinikstandorte mit bereits rund 21.500 Mitarbeitern.

Die Gründe dafür sind nicht nur der laufende Renovierungs- und Modernisierungsbedarf, sondern vor allem die wachsende Patientenzahl. Die Anzahl der Ambulanzpatienten ist laut Krankenanstaltenstatistik seit 2006 um 35 Prozent auf rund 1,36 Millionen gestiegen. Bis 2050 ist für Niederösterreich ein Bevölkerungszuwachs auf 1,9 Millionen Menschen prognostiziert. Diese werden immer älter - und potenziell chronisch Kranke.

Um den als teuer geltenden Spitalsbereich in Zukunft mehr zu entlasten, ist das Gesundheitswesen österreichweit von dem Credo geprägt, dass man mehr Patienten in den billigeren niedergelassenen Bereich bringen muss. So weit, so logisch. Blickt man ins Detail, ist die Sache jedoch komplizierter.

Es ist ein Gezerre um Kostenstellen, Kompetenzen und Kapazitäten - obwohl es ja eigentlich um den Patienten geht. Jan Pazourek, Generaldirektor der Niederösterreichischen Gebietskrankenkasse (NÖGKK), sieht die Problematik der überfüllten Spitalsambulanzen in Niederösterreich jedenfalls nicht mehr ganz so deutlich.

13 Prozent Selbstzuweiser unter den Ambulanzpatienten

Die Anzahl der Patienten sei zwar gestiegen, die Ambulanzfrequenz sei jedoch gesunken, betont dieser. Konkret ist diese von 2010 bis 2016 um 15,2 Prozent und die Anzahl der Spitalstage um zehn Prozent zurückgegangen. Das bedeutet, dass derselbe Patient weniger oft die Ambulanz aufgesucht hat.

Die bereits gesetzten Maßnahmen wie die Gesundheitshotline 1450, bei der geschultes medizinisches Personal den Patienten am Telefon an die richtige Stelle im Gesundheitssystem lotst, hätten gut gegriffen, so Pazourek zur "Wiener Zeitung". Unter anderem dadurch sei die Anzahl der Spitalsaufnahmen um 7,6 Prozent gesunken, während die Frequenz im niedergelassenen Bereich um rund acht Prozent stieg.

Einer gemeinsamen Erhebung von NÖGKK und Land zufolge seien nur rund 13 Prozent aller Ambulanzpatienten Selbstzuweiser, die auch ein niedergelassener Arzt behandeln könnte. Der Rest seien wiederbestellte oder von niedergelassenen Ärzten zugewiesene Patienten.

Das Ziel, den Spitalsbereich zu entlasten, bedeutet laut Pazourek daher nicht, die Patienten einfach vom Spital in die Ordinationen zu "verschieben". Vielmehr müssten die Patienten kompetent beraten und effizient gesteuert werden. Bei manchen Symptomen sei es mitunter das beste, gar keinen Arzt aufzusuchen, sondern einfach nur abzuwarten.

Dass Pazourek die Anzahl der Patienten im niedergelassenen Bereich nicht zwingend erhöhen möchte, liegt laut Gesundheitsökonom Thomas Czypionka vom Institut für Höhere Studien (IHS) klar auf der Hand. "Die niedergelassenen Ärzte werden von der Sozialversicherung bezahlt und die Spitalsärzte vom Landesgesundheitsfonds, also von Land und Gemeinden (stellen rund die Hälfte des Budgets, Anm.), Sozialversicherung (Pauschalbetrag) und vom Bund. Wenn die Sozialversicherung beide Bereiche zahlen würde, würde sie darauf achten, welcher günstiger ist. In diesem Fall ist es aber finanziell nicht so unpraktisch, wenn die Patienten ins Spital gehen."

2016 flossen 1,9 Milliarden Euro in den Spitalsbereich

Letzteres gilt aber grundsätzlich als teurer. Aufgrund der wachsenden Bevölkerungszahl steigt das benötigte Budget laut dem niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds immer weiter. Zum Vergleich: Während 2006 Gesundheitsleistungen in der Höhe von rund 1,3 Milliarden Euro finanziert wurden, lag diese Summe 2016 bereits bei 1,9 Milliarden Euro. Denn die Spitäler werden nach ihrer erbrachten Leistung bezahlt. Der Bereich der niedergelassenen Vertragsärzte kostet die NÖGKK laut Pazourek etwa 300 Millionen Euro pro Jahr.

Wie viel ein im Spital behandelter Patient im Unterschied zum niedergelassenen Bereich kostet, lässt sich nicht konkret sagen. Letztendlich hängt das immer von der erbrachten Leistung ab. Im Spital tendiere man aber schon grundsätzlich dazu, möglichst viele Untersuchungen durchzuführen, um sich abzusichern meint Czypionka, was teuer sei. Zudem zahle man allein die Verfügbarkeit der medizinischen Geräte und die gesamte Infrastruktur auch dann mit, wenn man nur mit geringen Beschwerden in die Ambulanz kommt.

Das Land, das die Versorgung in den niederösterreichischen Kliniken verantwortet, tritt angesichts dessen freilich dafür ein, Patienten in den niedergelassenen Bereich zu verlagern. Um den unterschiedlichen Interessen bestmöglich zu begegnen, haben sich Land und NÖGKK vor kurzem auf ein Zielsteuerungsübereinkommen geeinigt, das bis 2021 gilt. Damit wurde der Maßnahmenkatalog, den Gesundheitsministerium, Länder und Sozialversicherung im Zuge der Gesundheitsreform im Vorjahr beschlossen haben, auf Länderebene heruntergebrochen.

Im Mittelpunkt stehe der Patient, sagt Ludwig Schleritzko (ÖVP), Finanzlandesrat und Vorsitzender des niederösterreichischen Gesundheits- und Sozialfonds. Dieser solle "am ,Best Point of Service‘ behandelt werden, am richtigen Ort, zur richtigen Zeit, kosteneffizient und mit höchster Qualität". Das werde mit einer abgestuften Gesundheitsversorgung zwischen dem stationären Bereich in den Kliniken und dem Bereich der niedergelassenen Haus- und Fachärzte erreicht.

In der Praxis bedeutet das also, die Anzahl der Gruppenpraxen zu erhöhen und die im Rahmen der Gesundheitsreform geplanten 14 Primärversorgungseinheiten bis 2021 zu schaffen - österreichweit sollen es dann 75 sein. Mit diesen sollen multiprofessionelle Versorgungszentren mit patientenfreundlichen Öffnungszeiten entstehen, in denen Ärzte, Krankenschwestern, Therapeuten und weitere Gesundheitsberufe wie Hebammen oder Sozialarbeiter im Team arbeiten. Ziel ist, die Patienten ohne Umweg der richtigen Behandlung zuzuführen.

Der Fachbereich soll vermehrt gebündelt werden

Der Fachbereich soll indessen vermehrt gebündelt werden. Schon jetzt spezialisieren sich Spitäler zunehmend. Das Landesklinikum Zwettl zum Beispiel ist für seine Schwerpunktabteilung für Orthopädie und orthopädische Chirurgie bekannt. Auf diese Weise könnte man laut Gesundheitsökonom Czypionka auch verhindern, dass ein Krankenhaus spezielle Operationen so selten durchführt, dass die Routine verloren geht und es für den Patienten kritisch werden könnte. Andere Bereiche wie zum Beispiel Zahnbehandlungen in Narkose wandern zunehmend in den niedergelassenen Bereich.

Dem niederösterreichischen Patientenanwalt Gerald Bachinger schwebt eine weitere mögliche Lösung vor. "Qualitativ am besten und ökonomisch am günstigsten wäre es, wenn zum Beispiel Gebietskrankenkasse und Land für eine gewisse Region ein Budget zur Verfügung stellen, über das die öffentlich rechtliche Körperschaft verfügt und Verträge mit den Ärzten abschließt", sagt er zur "Wiener Zeitung". Modelle wie dieses seien etwa in Amerika gang und gäbe.

"Hauptsache, es bleibtin ärztlicher Hand"

Die niederösterreichische Ärztekammer scheint sich allerdings nicht das Ruder aus der Hand nehmen lassen zu wollen. "Man kann nicht Teilbereiche aus einem anderen Land herausnehmen und mit unserem vergleichen", sagt Christoph Reisner, Präsident der niederösterreichischen Ärztekammer. Ob die Ärzte künftig vermehrt in Gruppenpraxen oder Primärversorgungseinheiten im Team arbeiten, sei grundsätzlich egal. "Hauptsache, es bleibt in ärztlicher Hand."

Die Zahl der Ärzte soll in Niederösterreich vorerst nicht erhöht werden, so Reisner weiter. Aktuell gebe es rund 1350 Ärzte mit Kassenvertrag und 2000 Wahlärzte. Sieben Kassenstellen für Allgemeinmediziner und sieben Facharzt-Kassenstellen sind der Ausschreibung der Ärztekammer zufolge seit längerem unbesetzt. Darunter Stellen in kleineren Gemeinden mit etwas mehr als 2000 Einwohnern wie Großdietmanns und Litschau im Bezirk Gmünd, aber auch in größeren Städten wie Mödling. "Ich glaube nicht, dass wir mehr Stellen brauchen", sagt Reisner.

In Anbetracht der Tatsache, dass in den nächsten zehn Jahren österreichweit rund 60 Prozent der Ärzte in Pension gehen werden, wird vermutlich die Besetzung der bereits bestehenden Stellen herausfordernd genug sein.