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Faßmann will mehr Geld in Problemschulen stecken

Von Walter Hämmerle

Politik
"Ich habe große Sympathie für die Idee des sozialen Aufstiegs durch Bildung."
© WZ/mozi

Bildungsminister über Türkis-Blau als Gegenbewegung zu "1968", Burschenschafter als Uniräte und Meritokratie.


Wien. Bildung hat seit der Moderne einen besonderen Klang: Wissen, so gilt seitdem, verheißt ein selbstbestimmtes Leben und öffnet die Tür zum sozialen Aufstieg für jedermann. Aus diesem Versprechen leitet sich auch der politische Stellenwert des Themas ab.

Seit 8. Jänner steht Heinz Faßmann (62) an der Spitze des Bildungsministeriums. Der Düsseldorfer - österreichischer Staatsbürger ist er seit 1994 - war zuvor Vizerektor der Universität Wien. Bekannt geworden ist er aber vor allem als Experte für Migrationsfragen, auf den Kanzler Sebastian Kurz hört. Ach ja, und 2,07 Meter ist er auch noch groß.

"Wiener Zeitung": Herr Bundesminister, Innenminister Herbert Kickl von der FPÖ ist der Ansicht, dass diese Koalition für den Kampf gegen die Ideen von "1968" stehe. Sehen Sie das auch so?

Heinz Faßmann: Hier fällt mir eine Antwort schwer, deshalb eine Gegenfrage: Können Sie bestimmen, was genau die Ideale dieser Revolution waren?

Der Kampf gegen traditionelle Institutionen, gegen Hierarchien, von der Familie über die Schule und Universitäten bis hin zu Kirchen, Gewerkschaften und Parteien. Die Betonung des Individuums, ein neues Verständnis von Sexualität, das Aufweichen der Geschlechterrollen und noch etliches mehr.

Ja, und auch der Antiimperialismus gehört dazu, Kritik an den Großmächten, insbesondere an den USA. Bei all diesen Zielen und Werten kann ich allerdings nicht erkennen, inwiefern diese Bundesregierung nun einen Gegenentwurf darstellen sollte. Ich sehe nirgendwo ein Wiederaufleben alter Autoritäten. Und die Pläne der Regierung für die Universitäten sollen diese leistungsfähiger machen und die Studiennachfrage mit dem Angebot in Einklang bringen. Von einem Revival der Ordinarien-Universität alten Stils kann da keine Rede sein. Dem Bild von dieser Koalition als Gegenentwurf zu "1968" kann ich also keine Substanz
abgewinnen.

Wenn man will, kann man die geplanten Neuerungen bei Verstößen gegen die Schulpflicht als Rückkehr zu einer Kultur des Strafens verstehen.

Hier muss ich schmunzeln, weil ich die gültige Verwaltungsstrafe bewusst unverändert gelassen habe; dies nicht zuletzt, weil ich testen wollte, wie die Medien reagieren. Es ist bezeichnend, wenn jetzt alle von einer "Verschärfung" sprechen. Mir geht es um eine praktikablere Handhabung der Beurteilung, wann eine Schulpflichtverletzung auftritt.

Indem Sie das Feststellungsverfahren vereinfachen, werden Strafen künftig leichter möglich.

Ja, aber nicht wegen dem Strafen, sondern weil ich glaube, dass wir eine Vereinfachung der Bürokratieabläufe benötigen. Wir brauchen faire Strukturen, die auch demokratisch abgesichert sind, das ist eben das Gegenteil einer Rückkehr starrer und ungebundener Autoritäten.

Zu den Idealen der "68er" gehört auch der freie Hochschulzugang. Soeben haben Sie die Zugangshürden auf weitere Studienfächer ausgeweitet.

Ich habe große Sympathie für die Idee des sozialen Aufstiegs durch Bildung. Und dieser Aufstieg soll nach fairen, nachvollziehbaren Kriterien erfolgen können. Doch auch in einer solchen Meritokratie ist es unerlässlich, pragmatisch zu denken. Universitäten benötigen Steuerungsmöglichkeiten, nicht zuletzt, um Investitionen und Ressourcen dorthin zu lenken, wo sie den größten Nutzen versprechen.

Löst unsere Gesellschaft das Versprechen einer Meritokratie ein?

Nicht perfekt, aber im Wesentlichen ja.

In Großbritannien wird darüber debattiert, dass dieses Versprechen im Lebensalltag vieler Menschen gescheitert ist. Eben weil die Eliten sich eigene, bessere Bedingungen bei der Bildung, bei der Verpartnerung verschaffen.

Für Großbritannien würde ich das meritokratische Versprechen tatsächlich in Zweifel ziehen, weil hier ein geschichtetes System von Gesellschaft besteht; die Institutionen passen sich dieser Schichtung an und verstärken sie weiter. Für Cambridge und Oxford müssen Studenten enorme Summen zahlen, dafür erhalten die, die sich das leisten können, im Gegenzug ihren sozialen Status. Aber von britischen Verhältnissen ist Österreich, ist Mitteleuropa, weit entfernt, hier existiert zu weiten Teilen das, was Kreisky unter Chancengleichheit postuliert hat. Und das ist gut so.

Trotzdem gibt es in Österreichs Ballungszentren Klagen, dass nicht alle gleiche Chancen haben; dass es Brennpunktschulen gibt, die sich als Sackgasse erweisen. Hat hier die Politik die Betroffenen, Schüler wie Lehrer, im Stich gelassen?

Ich würde eher sagen: Die Idee der meritokratischen Gesellschaft ist nicht bei allen Eltern angekommen. Und nicht alle Eltern sagen ihren Kindern: "Pass auf, du kannst etwas werden, aber du musst dich auch anstrengen!" Ich sehe hier nicht nur die Lehrer in der Pflicht, die Arbeit mit den Eltern ist unersetzlich, wenn es um das Einlösen dieses Versprechens geht. Hier müssen wir ansetzen, aber das Problem lässt sich mit Bildungspolitik allein nicht lösen, dazu braucht es auch sozialpolitische und wohnungspolitische Initiativen, damit Stadtviertel nicht zu Ghettos werden.

War das jetzt ein verklausuliertes Plädoyer für die Ganztagsschule?

Nein, das war ein Plädoyer dafür, dass man soziale Durchmischung als Wert und Schule als Teil von Stadtentwicklungspolitik betrachten muss. Schule ist immer nur ein Teil einer größeren sozialen Gemengelage.

Stadtentwicklung ist ein langfristiges Projekt. Was kann, was soll kurzfristig getan werden?

Die Attraktivität solcher Brennpunktschulen muss erhöht werden, sei es durch mehr Lehrer oder auch durch bauliche Maßnahmen und Investitionen in die Ausstattung. Ein Sozial- oder Chancenindex könnte helfen, die Verteilung der finanziellen und personellen Mittel des Bundes besser zu steuern. Das würde ich jedenfalls gerne so machen.

Der ehemalige Rektor der Wiener Boku, Manfried Welan, hat einmal gemeint, dass die Unterdotierung der Universitäten in Österreich Ausdruck einer Verachtung des Geistes sei. Sehen Sie das auch so?

Ich glaube nicht, dass eine solche "Verachtung" verantwortlich für die Unterdotierung der Universitäten war. Ich sehe hier eher einen Zusammenhang mit dem Selbstverständnis Österreichs: Wir sehen uns als Kultur- und Tourismusland und eben nicht als Land, wo Wissenschaft und Forschung die Lokomotiven der Entwicklung sind. Diese Haltung beginnt sich erst jetzt zu ändern.

Eine Pflichtfrage für jeden Bildungsminister: Ist zehn Jahre das richtige Alter für Schüler, um eine Entscheidung über den weiteren Bildungsweg zu treffen? Oder akzeptieren Sie, dass diese Schlacht derzeit nicht zu entscheiden ist?

Ich glaube tatsächlich, dass sich diese Streitfrage jetzt nicht lösen lässt. Meine Überzeugung ist es, dass keine Entscheidung im Bildungssystem später nicht mehr revidierbar sein darf. Wir müssen Durchlässigkeit sicherstellen. Wenn das gelingt, ist es nicht mehr so wichtig, wann eine Entscheidung getroffen wird.

Ist diese Durchlässigkeit in Österreich gegeben?

Sie ist auf jeden Fall verbesserungsfähig. Wenn ich mich etwa mit 15 Jahren für eine Lehre entscheide, wechseln mit 18 nur mehr ganz wenige zurück in die Schule für einen weiterführenden Abschluss, obwohl dieser Weg formal möglich wäre.

Etliche Universitäten haben die Sorge, dass die FPÖ schlagende Burschenschafter von zweifelhafter demokratischer Gesinnung in die Universitätsräte entsendet.

Es gibt einen Besetzungsvorgang, der beiden Regierungsparteien die Möglichkeit gibt, ihnen nahestehende Personen in diese Gremien zu entsenden. Am Ende bedarf es eines einstimmigen Ministerratsbeschlusses, an den ich gebunden bin.

Sie könnten diesen Beschluss durch ein Veto im Ministerrat verhindern.

Ja, diese Verhandlungsmacht habe ich. Und die setze ich in meinem Streben, einen vernünftigen Kompromiss zu finden, auch ein. Am Ende wird das auch gelingen.