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Land der Impfhindernisse

Von Petra Tempfer

Politik
© Fotolia/Africa Studio

Experten fordern Umsetzungsplan für Impfempfehlungen - elektronischer Impfpass ist demnach dringend notwendig.


Wien. Vergangenes Jahr sind in Österreich 95 Menschen an Masern und 1400 Menschen an Keuchhusten erkrankt. Und das, obwohl diese Krankheiten durch Impfungen verhinderbar wären und es einen umfassenden, offiziellen Impfplan gibt. Es mangelt offenbar an der Umsetzung. Um Impfhindernisse zu erkennen und diese aus dem Weg zu räumen, hat nun ein Expertenteam eine Denkschrift zu "Impfhindernissen in Österreich" und deren Überwindung erarbeitet.

Fachleute aus Wissenschaft, Ärzte- und Apothekerschaft, Vertreter des Pflegepersonals und der Hebammen waren daran beteiligt. Die Leiterin des Instituts für Spezifische Prophylaxe und Tropenmedizin der MedUni Wien, Ursula Wiedermann-Schmidt, leitete das Projekt. Im Fokus stand die Übersetzung von Theorie (Impfempfehlungen) in die tägliche Praxis der Gesundheitsversorgung und wie diese funktionieren könnte.

"Gleiche Kosten für jeden"

"Wir haben mit dem Impfplan Österreich einen jedes Jahr aktualisierten klaren Plan, wer geimpft werden soll. Es gibt aber keinen klaren und einheitlichen Umsetzungsplan, wie diese Impfungen die Menschen erreichen sollen", sagt Wiedermann-Schmidt, die auch Präsidentin der Österreichischen Gesellschaft für Vakzinologie ist. Um dieses Manko zu beheben, benötige Österreich in Zukunft entschlossene Maßnahmen, um überhaupt Personengruppen zu identifizieren, bei denen Impflücken vorhanden sind. "Mit einem elektronischen Impfpass könnte man erkennen, dass jemand nicht immunisiert ist, und eine Impfung empfehlen", sagte die Expertin laut APA.

Dieser stehe ohnehin im Regierungsprogramm, und man arbeite daran, heißt es dazu auf Nachfrage aus dem Gesundheitsministerium. Einen konkreten Zeitplan gebe es zwar noch nicht - das Thema habe jedoch Priorität.

Um die Impfempfehlungen effizient umzusetzen, sei auch die Vorbildwirkung unter Vertretern der Gesundheitsberufe wichtig, so die Experten weiter. Zudem müsste der Zugang zu Impfungen überall niederschwellig sein - so könnte man zum Beispiel mehr Impfungen am Arbeitsplatz anbieten, betont Wiedermann-Schmidt.

Und: "Impfungen müssen überall und für jeden gleich viel kosten", heißt es in dem der APA vorliegenden Papier zu den Impfhindernissen. Damit wird der Umstand angesprochen, dass es in Österreich oft von Krankenkasse zu Krankenkasse verschiedene Zuschüsse zu Impfungen gibt. Ein besonderes Anliegen für die Zukunft sollte auch die Impfung bei den Erwachsenen sein. Das Gratis-Kinderimpfprogramm ist laut Wiedermann-Schmidt gut etabliert, Erwachsene sind von den Zuschüssen oder Kostenübernahmen aber de facto ausgeschlossen.

Durchimpfungsrate sinkt

Um ein breites Bewusstsein für die Situation zu schaffen, wäre eine konzertierte Fort- und Weiterbildung auch für Ärzte, Angehörige des Krankenpflegepersonals, Hebammen und pädagogische Berufe (Lehrer, Kindergarten) sinnvoll. Derzeit mangle es an einheitlich strukturiertem Informationsmaterial und abgestimmten Aktivitäten, so Wiedermann-Schmidt.

Tatsache ist jedoch, dass die Durchimpfungsrate sinkt. Bei den Zwei- bis Fünfjährigen liegt diese laut Gesundheitsministerium nur noch bei 92 Prozent. Zehn Prozent von diesen seien nur einfach statt zweimal geimpft. Sechs Prozent, das sind etwas mehr als 20.000 Kinder dieser Altersklasse, sind überhaupt nicht geimpft.

Der sogenannte Herdenschutz ist allerdings erst bei 95 Prozent gegeben - dann tritt jener Effekt ein, dass die durch die Impfung erzeugte Immunität in einer Population so verbreitet ist, dass auch nicht-immune Individuen geschützt sind, weil der Erreger sich nicht ausbreiten kann. Nicht ausreichend geimpft sind auch all jene, die nur eine der zwei Impfungen erhalten haben. Gegen Masern-Mumps-Röteln (Masern wird in dieser Kombination mit Lebendimpfstoff geimpft) sollte zweimal im Abstand von vier Wochen ab dem vollendeten 9. Lebensmonat geimpft werden.

Warum diese Impfungen nicht mehr so konsequent wie früher durchgeführt werden, liege nicht nur an den Impfgegnern, sagt dazu Wiedermann-Schmidt. Es sei auch eine gewisse Ernsthaftigkeit verloren gegangen. "Früher stand das Wissen im Vordergrund, was alles passieren kann, wenn man nicht geimpft ist", sagt Wiedermann-Schmidt zur "Wiener Zeitung". Heute vergäßen viele auf die zweite Impfung. Diese Impflücke habe sich über die Jahre manifestiert. Ein Fall könne aufgrund der hohen Ansteckungsgefahr durch Tröpfchenübertragung zu einer schnellen Ausbreitung führen.

Sein Kind nicht impfen zu lassen in der Gewissheit, "dass eh alle anderen geimpft sind", sei daher ein "asozialer Zugang". Vielmehr sei es die Verpflichtung als Bürger, dafür zu sorgen, dass man andere nicht ansteckt. Ein Neugeborenes zum Beispiel, das noch nicht geimpft sein kann und mit seiner Mutter in die Kinderarztpraxis kommt, könnte dort von einem an Masern erkrankten Kind angesteckt werden, in der Folge an Gehirnentzündung erkranken und sterben.

Um das Risiko zu reduzieren, hätten viele Kinderärzte unterschiedliche Terminvereinbarungen eingeführt, sagt der niedergelassene Kinderfacharzt Rudolf Schmitzberger. Kinder, die zur Vorsorgeuntersuchung kommen, erhielten zeitlich andere Termine als Akutkranke. In der Praxis könne man das wegen der Akutkranken allerdings nicht immer einhalten.

Daher hätten bereits viele Kinderärzte ein Piktogramm mit einem kurzen Text vor dem Eingang hängen, der besagt, dass Eltern von Kindern mit Ausschlägen dreimal läuten sollen. Sie kämen dann in einen eigenen Warteraum. Das Problem dabei: "Bei vielen Infektionskrankheiten, und da gehört Masern dazu, sind Kinder schon vorher ansteckend." Zudem seien auch etliche Erwachsene ungeschützt, ohne es zu wissen, und könnten somit erkranken: Der Impfstoff Quinto-Virelon, der in den Jahren 1966 bis 1976 gegen Masern geimpft wurde, habe keine sehr gute Wirksamkeit gehabt, sagt Schmitzberger.

Impfpflicht in den USA

Volksanwalt Günther Kräuter hat bereits eine Impfpflicht gegen Masern in Kinderkrippen, -gärten und Schulen gefordert. In den USA etwa ist ein Besuch von Kindergärten oder Schulen ohne den Nachweis der Impfung nicht möglich.

Gegner dieser Auffassung finden sich in den eigenen Reihen. Friedrich Graf, praktischer Arzt in Schleswig-Holstein in Deutschland, ist einer von ihnen. "Dass aufgrund der Impfungen Krankheiten ausgerottet wurden, ist reines Wunschdenken", sagt er. Pro-Impf-Kampagnen dienten lediglich dazu, die Interessen zahlreicher Berufsgruppen wie von Ärzten oder Pharmazeuten zu befriedigen.