Zum Hauptinhalt springen

"Kinder lassen sich nicht an einem Punkt vermessen"

Von Brigitte Pechar

Politik

Bildungsforscher Hopmann gegen Selektion: In jedem dritten Fall liegen Testergebnisse falsch.


Wien. Umfassende Kritik von SPÖ und Neos kam am Montag an der Ankündigung von Bildungsminister Heinz Faßmann in der "Presse", die Aufnahme in die AHS neu regeln zu wollen. Neben den Noten in der vierten Klasse Volksschule sollten auch die Bildungsstandard-Tests sowie die Informelle Kompetenzmessung (IKM) herangezogen werden. Die Bildungsstandards werden derzeit in der vierten Klasse überprüft und müssten, wie der Minister sagte, um ein Jahr vorverschoben werden. Konkrete Pläne zu diesem Aufnahmeprozess gebe es im Ministerium noch nicht. Allerdings ist im Koalitionspakt die Ermöglichung von "temporären Eingangsverfahren für höhere Schulen" festgeschrieben.

Kritik kam umgehend von der früheren Unterrichtsministerin Sonja Hammerschmid (SPÖ): "Ein einzelner Test mit acht oder neun Jahren kann und darf nicht für die Bildungsentscheidung der nächsten Jahre ausschlaggebend sein, denn das widerspricht allen pädagogischen und psychologischen Erkenntnissen." Damit setze man bereits Drittklässler unter einen enormen Leistungsdruck, an einem einzigen Tag "bestehen" zu müssen.

Neos-Chef und deren Bildungssprecher Matthias Strolz sagte: "Das ist Schwachsinn." Faßmann würde den Druck auf die Kinder weiter erhöhen. Der Minister sollte sich um die Entfaltung der Talente und um mehr Chancengerechtigkeit kümmern.

"Es gibt keine objektive Leistungsfeststellung"

Bildungsminister Faßmann präzisierte in einer Aussendung, dass es ihm nicht um Aufnahmetests an AHS gehe, sondern darum, "von der punktuellen Leistungsbeurteilung zu einem Prozess der Leistungsbeurteilung zu kommen, der die bestehenden Instrumente sinnvoll nutzt und weiterentwickelt".

Universitätsprofessor Stefan Hopmann reagierte auf Anfrage der "Wiener Zeitung" empört über das Ansinnen, ein standardisiertes Aufnahmeverfahren für die AHS festzulegen. Hinter diesen angestrebten Testungen stehe "das Ansinnen der Koalition, zu irgendeinem Zeitpunkt die Möglichkeit zu haben, objektiv feststellen zu können, was ein Kind taugt - und die gibt es nicht". Hopmann vermutet, dass es der ÖVP nicht um die Kinder gehe, sondern darum, Differenz zu erzeugen.

"Es gibt keine objektive, für alle gleich gerechte Leistungsfeststellung", betonte der Bildungsforscher. Am prognostisch tragfähigsten seien noch Noten, weil diese eigentlich keine Leistungsfeststellung seien, sondern die Beurteilung über die Bewährung im Unterricht. Unmöglich werde es, wenn es darum gehe, den weiteren Bildungsfortschritt von Kindern einzuschätzen. "Kinder lassen sich nicht an einem einzelnen Punkt vermessen. Es gibt keine lineare Entwicklung von Kindern." Und es gebe zahllose empirische Forschung darüber, dass es keine zuverlässige Testung dafür gibt. Die Trefferquote von prognostischen Testverfahren liege bei höchstens 60/70 Prozent. "Was ist mit den 30 Prozent, die herausfallen. Das bedeutet doch, dass jedes dritte Kind zu Unrecht um eine Chance gebracht wird." Und da seien wieder am meisten jene betroffen, die keine Möglichkeiten hätten, ihre Kinder gezielt darauf vorzubereiten. Die, die Ressourcen haben, könnten sich solchen Beurteilungen stellen, sie könnten ihren Kindern zusätzliches Training verordnen, um zu bestehen. "Solche Systeme erhöhen die ohnehin schon vorhandene Selektivität, sonst nichts."

Die Wahrheit sei, dass man nach Verfahren suche, um das Gymnasium vor dem Einbruch der komplexer, heterogener und schwieriger gewordenen Gesellschaft zu schützen. Und das müsse legitimiert werden.

"Wenn man sich das Koalitionsabkommen ansieht, dann ist das nur der Einstieg. Die Regierung will viel mehr Tests. Sie will denselben Weg gehen, den andere Länder vor 20 Jahren gegangen sind. Das Ganze hat nur ein Problem: Es hat noch nie irgendwo funktioniert." Zahlreiche Tests führten zu "teaching to the test", wo langfristiges Lernen auf der Strecke bleibe, warnt Hopmann.

Migranten an Schulen:Im OECD-Vergleich schwächer

Unterdessen hat die OECD mit einer Sonderauswertung der Pisa-Tests einen weiteren Schwachpunkt des österreichischen Schulsystems ausgemacht: Migrantenkinder sind im OECD-Vergleich eher leistungsschwach und weniger motiviert, fühlen sich aber sozial gut integriert. Für die Pisa-Studie 2015 wurden weltweit mehr als eine halbe Million 15- bis 16-jährige Schüler in 72 Ländern in den Disziplinen Lesen, Mathematik, Naturwissenschaften getestet, in Österreich waren es zirka 8000. Für die Sonderauswertung hat die OECD nun die Daten für Migranten extra verglichen.

Demnach liegt der Anteil jener Jugendlichen mit ausländischen Wurzeln, die in allen drei Testgebieten mindestens grundlegende Kenntnisse aufweisen (Level 2 von insgesamt 6), hierzulande bei 47 Prozent und damit signifikant unter dem OECD-Schnitt (54 Prozent) wie auch dem EU-Schnitt (55 Prozent).

OECD-Sonderauswertung der Pisa-Tests

Auswertung Österreich