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Warum sich Leistung oft nicht lohnt

Von Martina Madner

Politik
© Fotolia/Visions-AD

Leistung soll nun endlich entlastet werden. Aber wirklich Leistung - oder doch nur ein ganz kleiner Teil davon? Ein Essay.


Wien. "Der Weltrekord liegt bei 10,76 Sekunden", sagte der US-Sportreporter. Sie hatte ein großartiges Jahr, dann der Startschuss. 10,49 Sekunden später ruft er: "Wow, es sind 10,49! Das kann nicht sein, niemand kann so schnell laufen! Es ist einfach unglaublich!"

Und doch war es so: Florence Griffith Joyner stellte bei den US-Ausscheidungen für die Olympischen Spiele 1988 in Seoul mit Startnummer fünf auf ihrem trendy lila Trikot einen Weltrekord im 100-Meter-Lauf auf. Sie lief mit einer Durchschnittsgeschwindigkeit von 34,31 Kilometern pro Stunde. Das wurde bis heute nicht unterboten, genauso wenig wie ihr Rekord auf der 200-Meter-Strecke. Was für eine Leistung!

Sind 100 Millionen Euro für eine Leistung angemessen?

Dabei ist es selbst im Sport selten so klar, dass eine Hochleistung erbracht wurde. Zum Beispiel der Teamsport Fußball: Für den Erfolg einer Mannschaft ist selten nur deren Star allein verantwortlich. Wie das Champions-League-Spiel Inter Mailand gegen FC Barcelona im April 2010 zeigte, kann ein starkes Kollektiv ohne Stars wie in diesem Fall durchaus mit einem 1:0 gegen eine Mannschaft mit Lionel Messi siegen - und eine bessere Leistung erzielen als jene in der Favoritenrolle.

Trotzdem lohnt sich die Leistung einer Mannschaft mit Stars mehr: Sie erzielt mehr Umsatz, die Stadien sind voller, die Barcelona-Trikots, insbesondere von Starspielern wie Lionel Messi & Co gehen weltweit millionenfach über den Ladentisch. Was macht der Verein damit? Richtig: Er kauft weitere Stars und generiert damit noch mehr Einnahmen.

Genau das Beispiel Messis zeigt aber auch, dass Bezahlung als eine Form der Bewertung von Leistung zwar nicht unabhängig, aber gerade im Sport ganz sicher nicht immer entsprechend erfolgt. Oder ist seine Leistung, der laut Football Leaks 100 Millionen Euro verdienen soll, tatsächlich eine 100 Mal größere als jene der österreichischen Top-Fußballspieler? Auch sein Tag hat nur 24 Stunden, sein Match dauert 90 Minuten. Und 100 Mal so viele Tore schießt er auch nicht.

Männliche Top-Fußballer wie ein David Alaba verdienen übrigens 33 Mal so viel wie der durchschnittliche männliche Profifußball-Spieler in den österreichischen Ligen. Warum aber verdienen sie auch 33 Mal so viel wie ihre weiblichen Top-Kolleginnen? Dabei haben die Österreicherinnen bei den Europameisterschaften das Halbfinale erreicht, damit eine deutlich bessere Leistung erzielt als ihre Kollegen ein Jahr davor. "Unsere" Männer schieden bereits in der Vorrunde aus.

Nun könnte man argumentieren, dass das Interesse am Fußball der Männer ein größeres ist als an jenem der Frauen, obwohl sich genau das bei den vergangenen Europameisterschaften massiv zu ändern begann. Man könnte noch behaupten, deren Leistung ist für die Allgemeinheit und damit für Sponsoren weniger relevant - sie wird folglich weniger honoriert.

Schließlich kann man mit Bestleistung im Kirschkernweitspucken überhaupt nicht seinen Lebensunterhalt verdienen. Dabei gibt es auch da seit 1974 Weltmeisterschaften - und der Weltrekord von 22,52 Metern bei den Herren beziehungsweise 16,01 Metern bei den Frauen sind durchaus beachtenswerte Leistungen. Das Honorar ist also kein Spiegel des Könnens, des Erfolgs oder von dem, was man dafür tun musste.

Im Vergleich zum Spitzensport ist es in anderen Berufgruppen ohnehin nicht so einfach möglich, ein Einkommen in Millionenhöhe zu erzielen. Aber auch hier kann sich so mancher beim Blick auf den Gehaltszettel die mittlerweile berühmt-berüchtigte Frage - "Was war meine Leistung?" - stellen.

Wie Arbeit bewertet ist, ist nicht immer nachvollziehbar

Dass das durchschnittliche Einkommen eines Facharztes mit rund 120.000 Euro im Jahr fast fünf Mal so hoch wie jenes von Durchschnittsverdienenden ist, lässt sich noch damit argumentieren, dass seine Leistung - insbesondere nicht erbrachte oder fehlerhafte - nicht nur über wirtschaftlichen Erfolg oder Misserfolg, sondern durchaus auch mal über Leben oder Tod entscheiden kann. Wobei man dieses Argument bei Zahnärzten, deren Einkommen von durchschnittlich 100.000 Euro jährlich auch ein ansehnliches ist, schon etwas in Frage stellen kann. Und Facharzt ist nicht gleich Facharzt: Radiologen erzielen ein deutlich höheres Einkommen als Kinderärzte.

Fachärzte verdienen übrigens fast vier Mal so viel wie durchschnittliche Krankenpflegefachkräfte. Erbringen diese alleine in einer Nachtschicht ihre Leistung nicht voll, kann auch das für Patienten in einem Krankenhaus böse ausgehen. Die Auswirkungen, die die Arbeit auf das Leben anderer hat, fließt also nicht gänzlich in die Honorierung ein. Und auch wenn das Auto manchen Mannes bester Freund ist, scheint es nicht nachvollziehbar, warum Mechaniker, die "ihre" Maschinen durchaus liebevoll warten und pflegen, in etwa genauso viel verdienen wie Krankenpflegefachkräfte.

Man könnte natürlich auch mit dem Studium der Mediziner argumentieren, das sich später beim Einkommen lohnen muss. Bei Lehrkräften und Erziehenden zeigt sich allerdings, dass das nicht zwingend so ist. So verdienen Lehrkräfte an einer berufs- oder allgemeinbildenden höheren Schule mit durchschnittlich 50.000 Euro jährlich nicht einmal halb so viel wie Ärzte, übrigens auch um 10.000 Euro weniger als Steuerberater.

Dabei würde kaum jemand behaupten, dass Lehrkräfte mit ihrer erbrachten Leistung nicht für die Zukunft eines Menschen sowohl positiv als auch negativ entscheidend sein können. Und warum die Leistung von Lehrkräften und Erziehenden im Vorschulbereich nur halb so hoch honoriert wird wie jene an höheren Schulen, ist schlichtweg fragwürdig. Schließlich stellen sie oft die Weichen für die Zukunft des Nachwuchses, und auch volkswirtschaftlich lohnt sich jeder Euro mehr in diesem Bereich ungemein mehr als erst später im Ausbildungsbereich eingesetzt. Bonmot am Rande: Die gute Leistung wird nicht besser bezahlt als die schlechte.

Ein politischer Handlungsauftrag also? Durchaus, hieß es doch in letzter Zeit von allen Seiten, Leistung müsse sich wieder lohnen, von einigen auch, Leistungsträger müssten deshalb steuerlich entlastet werden.

Kann man Leistungmit Steuern steuern?

Tatsächlich wird Mehrleistung in Österreich bei vielen in Form von Überstunden bereits doppelt honoriert, mittels Zuschlägen und Steuerbegünstigung. Haben jene, die solche Mehrleistung erbringen, aber All-in-Verträge, die auch bei "normalen" Angestellten und nicht nur Führungskräften üblicher werden, ist davon allerdings keine Rede mehr.

Wobei die Entlastung von Leistung über Steuern systemgemäß ihre Grenze hat: jene, unter der man keine Lohn- und Einkommensteuer bezahlt. Der Staat belohnt also die Leistung des Reinigungspersonals einer Firma weniger als jene im Verkauf. Steuerentlastungen stützen deshalb nicht automatisch jene, die mehr leisten, sondern jene, deren Leistung besser honoriert wird.

Wer mehr Geld erhält, leistet nicht unbedingt mehr. Dabei geht es gar nicht nur um die besser Entlohnten, die am Arbeitsplatz nebenan eine vergleichsweise ruhige Kugel schieben. Es geht auch nicht nur um jene, die für das gleiche Ergebnis persönlich weit mehr leisten müssen, weil sie zu den mehrfach Belasteten, Älteren oder Menschen mit Behinderung zählen. Es geht auch um die zusätzlichen Tätigkeiten, die sich im Laufe der vergangenen Jahre in die Arbeit vieler "eingeschlichen" haben. Sie beschleunigen und verdichten die Arbeit, heute müssen viele mehr Leistung in derselben Zeit erbringen. Mehr Einkommen gibt es für diese dichtere Arbeit oft nicht, da das oft nicht im selben Ausmaß angestiegen ist.

Dazu kommt, dass Leistung am Beginn des Berufslebens, etwa der Generation Praktikum, lange Zeit geringer entlohnt wird, als sie es wert wäre. Genauso wie jene von Menschen, die kurz vor dem Ende ihres Arbeitslebens nach einem Jobverlust keine adäquat bezahlte Arbeit mehr finden. Und es betrifft auch die Leistung vieler Einpersonenunternehmen oder Beschäftigten in NGOs, die zwar oft viel Leistung erbringen, aber trotz alledem kein großes Geld erwirtschaften. Grüße an die Kreativbranche und soziale Dienstleistungen.

Muss sich private Leistung nur in der Familie lohnen?

Gerade Letztere, jene, die Flüchtlinge, Ärmere, Frauen, Ältere oder Menschen mit einer Behinderung unterstützen, erhalten als zusätzliches Honorar für ihre Leistung oft nicht einmal ein Dankeschön. Im Gegenteil - über die meistens nicht üppigen Einkommen von Profis in diesem Bereich rümpfen manche die Nase. Warum? Weil sie solches Engagement als Freizeitvergnügen sehen, das kostenlos wie jenes in der Musikkapelle oder im Dorfverschönerungsverein erbracht werden solle.

Natürlich können diese eine Gemeinschaft stärken, weshalb es vor kurzem ein ministerielles Dankeschön dafür gab. Anders ergeht es den "Aufmüpfigen", die sich in Vereinen nicht nur sozial, sondern auch politisch für ihre Klientel starkmachen. Hier wird erfolgreiche Leistung solchen Politikmachens nicht belohnt. Im Gegenteil, da steht die Kürzung der Leistungen im Raum - und zwar der finanziellen; ganz egal, ob damit (Dienst-)Leistungen zerstört werden, die dann teurer ersetzt werden oder eben nicht mehr da sind, was sich in vielen Fällen später volkswirtschaftlich rächen kann.

Anders in der Familie: Hier werden die erbrachten Leistungen zunehmend mehr anerkannt, wenn auch vor allem ideell. Für die finanzielle Anerkennung derselben spielen sie allerdings keine große Rolle, vom Gebären des Kindes einmal abgesehen, was eine enorme Leistung ist - Mütter sind da glaubwürdige Zeuginnen. Honoriert, oder etwas entschädigt, wird die bloße Tatsache, Kinder zu haben. Skurrilerweise mehr, wenn man mehr Zeit im Job und nicht bei der Familie verbringt, sofern sich das beim Einkommen auswirkt. Ob sich Eltern ausgesprochen gut oder eben nicht so gut um Kinder kümmern, spielt keine Rolle. Wobei: Wer kann das wirklich bewerten?

Da ist es deutlich einfacher, die Zeit einer Athletin wie Griffith Joyner zu messen. Und doch wurde gerade diese Leistung, weil sie sich plötzlich steigerte und ihr Rücktritt mit der Ankündigung verschärfter Dopingkontrollen zusammenfiel, bis zu ihrem Tod und darüber hinaus bezweifelt. Auch weil sie durch einen Schlaganfall mit nur 38 Jahren starb, zehn Jahre später nach dem "Fabelrekord". Bewiesen wurde ihr Doping allerdings nie. Man merke: Auch unbewiesene Gerüchte schmälern eine Leistung.