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Brüder im Geiste

Von Werner Reisinger

Politik

Die Extremismus-Forscherin Julia Ebner erklärt, wieso sich Islamisten und Rechtsextreme brauchen - und sich ähneln.


Wien. Sie recherchierte undercover in islamistischen Organisationen und in der rechtsextremen "Identitären Bewegung", in Großbritannien, den USA, Deutschland und Österreich. Islamismus und Rechtsextremismus: Phänomene, die schon lange nicht mehr nur am Rand der Gesellschaft zu finden sind. Die "Wiener Zeitung" hat mit der renommierten Extremismus-Forscherin und Autorin Julia Ebner über Netzwerke, Rekrutierungsstrategien, das Innenleben sowie die gesellschaftspolitischen Auswirkungen von Islamismus und Rechtsextremismus gesprochen.

"Wiener Zeitung": Frau Ebner, wie genau ist die Recherche zu Ihrem Buch abgelaufen?

Julia Ebner: Begonnen hat meine Recherche mit Datenanalysen und Feldstudien, um die Zusammenhänge zwischen Islamismus und Rechtsextremismus zu analysieren. Dabei zeigte sich, dass ein starker Zusammenhang zwischen islamistischen und rechtsextremen Anschlägen besteht: Nach islamistischen Attentaten häufen sich bei den Rechtsextremen ebenfalls Anschläge oder auch Racheaktionen, und vice versa. Es stellte sich die Frage, ob dies ein zufälliger Zusammenhang ist. Weil die Auskunftsbereitschaft gegenüber Wissenschaftern in extremistischen Milieus endenwollend ist, habe ich begonnen, undercover zu recherchieren - in islamistischen Organisationen wie der Hizb ut-Tahrir oder auch in der rechtsextremen "Identitären Bewegung".

Welche Zusammenhänge haben Sie herausgefunden?

Sehr spannend ist: Es gibt einen geografischen Zusammenhang. In Regionen, wo sich Zentren von islamistischen Strukturen entwickeln, bilden sich häufig auch rechtsextreme Strukturen heraus. Häufig sind es ehemalige Industriestädte, und sehr häufig werden Menschen mit ähnlichen Motivationen in die extremistischen Netzwerke getrieben. Zudem gibt es auffällig viele Parallelen in den Biografien von Rechtsextremen und Islamisten, die ganz gezielt ausgenutzt werden.

Die schon sprichwörtlichen "Abgehängten" und Frustrierten: Kann man sich die Sozialstruktur der Extremisten wirklich so vorstellen?

Gerade bei Rechtsextremen gibt es unterschiedliche ideologische Ausprägungen und auch unterschiedliche soziale Hintergründe. In beiden Bereichen gibt es aber den Typus des charismatischen Anführers, die auch an vorderster Front bei der Propaganda stehen. Sie spielen auch bei den Rekrutierungsbemühungen eine zentrale Rolle, denn sie sind es, die die jeweiligen Propaganda-Versatzstücke an die jeweiligen unterschiedlichen Zielgruppen anpassen. Diese Genauigkeit und wachsende Professionalität bei Propaganda und Anwerbung ist es auch, was uns in letzter Zeit immer mehr Sorgen macht.

In wiefern?

Die Anwerber kennen ihre Subkulturen immer besser. Der "Islamische Staat" (IS) hat hier sicher eine Pionierrolle eingenommen. Aber auch "Identitäre" und die amerikanische "Alt Right"-Bewegung nutzt die Informationen, die ihnen zur Verfügung stehen, immer effektiver. Sie nutzten den digitalen Raum nicht nur als Rekrutierungsplattform, sondern gewinnen auch Daten, die sie strategisch interpretieren.

In Österreichs Twitter-Blase werden "Identitäre" aber rasch bemerkt - und ausgeschlossen.

Mag sein. Viel interessanter sind aber die Strategien der "Identitären", Themen und Propaganda immer stark an den lokalen Kontext anzupassen. Das heißt, sie sprechen gezielt jene Themen an, die in einem bestimmten geografischen Raum aktuell die Diskussion dominieren. Die "Identitären" versuchen ja gerade, im Vereinigten Königreich eine Zweigstelle aufzubauen. Bei der Rekrutierung waren sie dort direkt nach den Londoner Terroranschlägen besonders erfolgreich, als sie voll auf das Thema islamistische Bedrohung gesetzt haben. In Irland, wo es auch Aufbauversuche gibt, müssen sie wiederum auf ganz andere Themenbereiche setzen - beispielsweise auf sozialen Themen.

Von Rechtsextremismus-Experten wissen wir, dass in klassischen Organisationsformen vor allem des Neonazismus in den Biografien von neuen Szenegängern sehr häufig massive Demütigungserfahrungen zu finden sind. Wie ist das bei Islamisten?

Ich spreche von einem "Radikalisierungscocktail": Was sich fast immer zeigt, ist eine Kombination auf Frustration und Ängsten. Soziale und ökonomische Ausgrenzungserfahrungen stoßen auf Identitätskrisen, beispielsweise was das eigene Bild von Männlichkeit betrifft. Motive von Stärke und Männlichkeit finden sich sehr häufig beispielsweise in der IS-Propaganda. Dazu kommen dann eben noch extra zugeschnittene Erzählungen, die auf die Frustrationserfahrungen abzielen. Der Überbau, die Ideologie, kommt erst ganz zum Schluss.

Wer sich viel mit den "Identitären" beschäftigt, weiß: Ihre Kader kommen meist aus bürgerlichem Hause, viele studieren oder sind Akademiker, häufig sind sie in schlagenden, deutschnationalen Verbindungen aktiv. "Abgehängte" sehen anders aus.

Wir dürfen nicht vergessen: Die "Identitären" sind eine Aktionsform. Sie sehen sich selbst ja als Elite, als Kader-Gruppierung und Vordenker. Auch die "Alt Right" setzt auf dieses Image. Es hat mich aber zugegebenermaßen erstaunt, dass sich auf beiden Seiten der Extreme sehr wohl auch gebildete Menschen anschließen. Vor allem die "Identitären" legen sehr viel Wert auf ihr Erscheinungsbild: Hip und jung wollen sie wirken, aber dennoch auch gediegen und bürgerlich. Menschen mit nierigerem Bildungsstand sind auch dabei, werden aber bewusst in der Minderheit gehalten.

Aber auch Islamisten wollen "hip" erscheinen. Vor allem junge Frauen, die nach Syrien in den Dschihad gezogen sind, dienten dem IS als propagandistisches Mittel. Nicht nur, um Männer anzuziehen, sondern auch, um sich jugendlich zu geben.

Was für die einen ein "Rechtsruck" ist, sehen die anderen als Reaktion der Politik auf "besorgte Bürger" und die Enttäuschung der Wähler. Sie aber schreiben, die Mitte auch in Österreich sei "klinisch tot". Warum?

Der rechte Rand hat es sehr wohl geschafft, die konservative Mitte zu benutzen, um so ihre Themen und auch ihr Wording in den Mainstream zu tragen.

Wird das wiederum in den extremistischen Kreisen reflektiert?

Ja. Das ist Strategie, und Erfolge werden gesehen und gefeiert. Die "Unite the Right" ("Vereinigt die Rechte")-Kampagne der "Alt Right" ist dafür paradigmatisch.

In Deutschland gibt es diese Bemühung mit der "Erklärung 2018", mit der auch ein Brückenschlag zwischen Konservativen und der sogenannten Neuen Rechten und den "Identitären" nahestehenden Personen versucht wird. Online versuchen Islamisten wie auch Rechtsextreme massiv, sich in den Mainstream einzuschalten.

Zur Person

Julia Ebner (26) ist gebürtige Wienerin und forscht am renommierten Institute for Strategic Dialogue (ISD) in London. Sie koordinierte dort unter anderem das europaweite Netzwerk "Families Against Terrorism and Extremism". Sie schreibt regelmäßig für "Guardian" und "Independent".

Für ihr Buch Wut. Was Islamisten und Rechtsextreme mit uns machen (Theiss, 2017) recherchierte Julia Ebner undercover in islamistischen und rechtsextremen Szene in England, Deutschland und Österreich.