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Eine bedingungslose Falle

Von Jan Michael Marchart

Politik

Die Idee eines bedingungslosen Grundeinkommens hat Konjunktur. Die Utopie kann aber schnell im Gegenteil enden.


Wien. Wir leben in einer Ära vielschichtiger Unsicherheiten. Weltweit gibt es kaum Gesellschaften, in denen sich nicht eine Grundstimmung der Angst förmlich hineinfrisst. Das hat gute Gründe. Arbeits- und Wirtschaftsleben verändern sich in einer Rasanz, die vor wenigen Jahrzehnten noch unvorstellbar war. Automatisierung, Digitalisierung und Vernetzung lauten die vagen Begriffe, die aber für viele eine klare Botschaft beinhalten: Die Situation, dass immer mehr Menschen ohne spezielle Qualifikation nicht mehr gebraucht werden, dürfte sich verschärfen, während die Zahl der Jobs, die von immer klüger werdenden Maschinen durchgeführt wird, wahrscheinlich ansteigt.

Viele Mitarbeiter der Automobilbranche wissen, dass ihre Qualifikation ein zeitliches Limit hat, Busfahrer und Taxilenker lesen von fahrerlosen Autos, Reinigungskräfte von kleinen Roboterstaubsaugern und die Kassierin, die immer öfter neben einer Selbstbedienungskasse steht, wartet praktisch darauf, dass sie überflüssig wird. Hinzu kommt eine stetig wachsende Unzufriedenheit jener Menschen, die schon jetzt keinen Anschluss mehr am Arbeitsmarkt finden. All das birgt soziale Spannungen.

Wenn es um die Lösung dieser sozialpolitischen Probleme im Rahmen der Digitalisierung geht, wird es seltsam. Eine ungewohnte Troika aus linken Sozialromantikern, rechten Apologeten und milliardenschweren Silicon-Valley-Mozarts preist gleichermaßen das bedingungslose Grundeinkommen als pauschale Lösung für diese digitalen Umbrüche mit noch unbekanntem Ausmaß an. Genau das sollte stutzig machen.

Die Idee, dass jedes Mitglied einer Gesellschaft die gleichen finanziellen Zuwendungen erhält, unabhängig von Alter, Beruf, Vermögen, Wohnort und Familiengröße, stößt weltweit auf großes Echo. Obwohl die Idee bisher nur in nicht verallgemeinerbaren Modellversuchen getestet wurde und unüberschaubar viele Ansätze existieren, polarisiert sie wie kaum ein anderes Projekt. Es klingt ja wahrlich nicht schlecht, dass jeder Bürger vom Staat Geld bekommt, von dem er theoretisch leben kann.

Es würde den Zwang zur Arbeit abschaffen, der in einem kapitalistischen System immanent ist, träumen linke Befürworter. Menschen dürfen arbeiten, wenn sie wollen. Müssen aber nicht. Niemand müsste mehr eine prekäre Arbeitsstelle annehmen, um seine Familie zu ernähren. Firmen müssten ordentliche Löhne bezahlen, um Arbeitskräfte anzulocken. Es könnte Armut lindern und das mit der Soziahilfe verbundene Stigma der Almosen entkräften. Das wäre eine sozialpolitische Revolution.

Doch was auf den ersten Blick nach einem Schritt in eine gerechtere Gesellschaft aussieht, kann im Gegenteil enden und die sozialromantische Utopie schnell zu einem gesellschaftlichen Gezanke werden.

Private Minimalvorsorge

Markus Marterbauer, Ökonom der Arbeiterkammer Wien, stößt sich bereits an der plakativen Zahl. "Wenn man das oftgenannte Modell eines Grundeinkommens von 1000 Euro für jeden in Österreich durchrechnet, kommt man auf etwas mehr als 100 Milliarden Kosten im Jahr für den Staat." In etwa so viel kostet der gesamte Sozialstaat hierzulande inklusive Gesundheitssystem. Ein solches Modell würde, so Marterbauer, im Umkehrschluss bedeuten, dass der Sozialstaat abgeschafft werde, wenn man nicht im Gegenzug Steuern massiv erhöht. Das laufe auf eine Privatisierung bisheriger Leistungen hinaus. Arbeitslosengeld und Familienbeihilfe wären damit nicht mehr leistbar, die Gesundheitsvorsorge müsste teuer privat bezahlt werden. Wird die Gesellschaft individueller, muss jeder schauen, wo er bleibt.

Marterbauer nennt zwei ideologische Ecken, aus denen Rufe nach einem Grundeinkommen historisch kommen: die Neoliberalen und die katholische Soziallehre. "Erstere wollen den Sozialstaat abschaffen, die anderen ein zusätzliches Instrument für sozialen Fortschritt einführen", sagt er.

Der Charme des Abbaus

Die Idee eines Grundeinkommens als soziale Alternative hilft jenen, denen der Sozialstaat schon immer ein Dorn im Auge war. Würde man allen Bürgern einen Pauschalbetrag ausbezahlen, ohne den Einzelfall zu prüfen, könnte man den dazugehörigen Verwaltungsapparat für Transferleistungen drastisch herunterfahren. Der Staat und dessen Machtbasis würde auf ein Minimum schrumpfen.

"Das ist der Charme an dieser Idee", sagt Franz Schellhorn, Leiter des wirtschaftsnahen Thinktanks Agenda Austria. Linke sehen das als Vorwand, den Sozialstaat zurechtzustutzen. "Deshalb wird sich das bei uns nie durchsetzen, weil sie diese Institutionen erhalten möchten."

Aber es gibt generell viel Gegenwind aus allen Lagern für das Grundeinkommen. Lässt man die Finanzierbarkeit beiseite, fällt auf, dass die Kritiker sich darüber aufregen, worüber sie es sonst auch tun. Die Rechten fürchten Migrationsströme, für die Gewerkschaft wird die Arbeit entwertet, und Wirtschaftliberale sehen die Menschen in der sozialen Hängematte schaukeln, weil das "die Trägheit des Menschen wecken könnte", sagt Schellhorn. "Die Mindestsicherung als bedingtes Grundeinkommen war auch keine Brücke in den Arbeitsmarkt, sondern in die Landzeitarbeitslosigkeit, weil der Druck im österreichischen Sicherheitsnetz fehlt." Damit sei für Schellhorn der Charme für diese Utopie schon wieder passé. Man könnte es auch niemandem erklären, dass der Leistungsfähige genauso behandelt wird wie der, der zu Leistung nicht mehr fähig ist. "Das Risiko ist zu groß, dass das den Sozialstaat in die Luft sprengt."

"Es ist eine Illusion zu glauben, dass man mit einem Grundeinkommen von 1000 Euro nicht mehr arbeiten gehen muss", entgegnet Marterbauer. "Nicht nur, weil man sich privat versichern müsste." Sondern auch, weil Arbeit nach wie vor die Grundlage unseres Sozialsystems sei. Ein Grundeinkommen würde deshalb nur funktionieren, wenn viele Menschen einer Erwerbsarbeit nachgehen. Sie zahlen die Steuern, die das System erhält. Das Grundeinkommen ist also momentan von dem abhängig, aus dem es die Menschen eigentlich befreien wollte: der Lohnarbeit.

Bedingtes Ende?

Karin Heitzmann, Sozialwissenschafterin an der WU Wien, sieht das Grundeinkommen als ein Mosaikstein, sollte durch die Digitalisierung tatsächlich für manche Gesellschaftsgruppen die Arbeit ausgehen. Aber es sei keine pauschale Antwort auf die künftigen sozialpolitischen Probleme. Davon gibt es ja einige. Die Alterung der Gesellschaft setzt dem Sozialstaat ebenso zu wie die längeren Bildungswege und brüchigeren Erwerbskarrieren. Das Grundeinkommen alleine wird diese Problemfelder nicht lösen können.

"Die Liberalen wollen den Menschen Geld in die Hand geben, damit sie weiter konsumieren", sagt Heitzmann. Geld sei aber eben nur Geld. Im Krankheitsfall ohne Sozialstaat wird man von einem Grundeinkommen alleine weniger profitieren, als wenn man das Glück hat, gesund zu bleiben. "Wir müssen uns eher überlegen, welche Grundbedürfnisse der Sozialstaat künftig abdecken muss, unabhängig von dem, was es kostet. Ich plädiere eher für eine Grundsicherung", sagt die Sozialwissenschafterin. Etwa in Form von Rechtsansprüchen auf Pflege- und Kindergartenplätze.

Auch Schellhorn will jene Menschen, die durch den digitalen Wandel auf der Strecke bleiben, anders auffangen. "Mit der Mindestsicherung haben wir schon ein recht gutes Instrument dafür", sagt er. Prüfen will er aber auch härtere Bedingungen, an die die Sozialhilfe geknüpft ist. Er denkt zum Beispiel an verpflichtende Umschulungen. Man müsse dem Arbeitsmarkt zur Verfügung stehen.

Tatsächlich handelt es sich beim Grundeinkommen nach wie vor um eine Utopie. Wohl auch, da ein solches Grundeinkommen in einer Europäischen Union mit Personenfreizügigkeit ohnehin zum Scheitern verurteilt wäre; in einer Zeit, in der sich die Mitgliedsstaaten wegen des kontinuierlichen Zuzugs seit der Fluchtkrise bei der sozialen Solidarität wettbewerbsähnlich eher unterbieten. Steht das Grundeinkommen vor seinem bedingten Ende?