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Jahrelanges Warten auf die Staatsbürgerschaft

Von Petra Tempfer

Politik

In Österreich dauern die Verfahren zu lang, so die Kritik.


Wien. Fünfeinhalb Jahre: So lange wartete eine heute 43-Jährige mit ursprünglich serbischer und bulgarischer Staatsbürgerschaft, die seit 13 Jahren in Österreich lebt, bis sie schließlich im Februar dieses Jahres die österreichische Staatsbürgerschaft erhielt. In dieser Zeit machte sie Karriere als Zahnärztin, schuf Arbeitsplätze in ihrer Ordination in Wien, zahlte Steuern. In dieser Zeit reichte sie die erforderlichen Unterlagen ein, absolvierte die Staatsbürgerschaftsprüfung und reichte einen Teil der Unterlagen erneut ein, weil sie ein zweites Mal gefordert wurden. Ging zum Verwaltungsgerichtshof und bekam recht. Nach fünfeinhalb Jahren Verfahren ist sie nun Teil der Republik. Gesetzlich vorgeschrieben sind dafür sechs Monate.

Österreich wies 2016 laut den jüngsten Daten von Eurostat mit 0,68 Einbürgerungen pro 100 ansässigen Ausländern gemeinsam mit Lettland die niedrigste Einbürgerungsquote innerhalb der EU auf. Schon 2015 hatte der Stadtrechnungshof Wien der für Einwanderung und Staatsbürgerschaften zuständigen Magistratsabteilung (MA) 35 ein schlechtes Zeugnis ausgestellt: Nur etwa die Hälfte der mehr als 16.000 Staatsbürgerschaftsverfahren waren im Untersuchungszeitraum 2008 bis 2013 innerhalb der sechsmonatigen Frist erledigt worden.

"Fehlende Mitarbeit der Kunden"

Knapp 18 Prozent dauerten ein bis zwei Jahre, weitere 13 Prozent rund fünf Jahre. Als Gründe nannte die MA 35 damals "fehlende Mitarbeit der Kunden" und mangelnde Deutschkenntnisse.

Die Zahl der Beschwerden über die MA 35 bei der Volksanwaltschaft nehme bis heute kontinuierlich zu, sagt dazu Martina Cerny, Geschäftsbereichsleiterin zum Thema Innenministerium in der Volksanwaltschaft, zur "Wiener Zeitung". Den Berichten der Volksanwaltschaft zufolge waren es 2014 insgesamt 83, ein Jahr später 118 und in den zwei darauffolgenden Jahren je 182 Beschwerden. Fast alle bezogen sich auf die Dauer der Verleihungsverfahren. "Die sechs Monate wurden in den meisten Fällen bei Weitem nicht eingehalten", sagt Cerny. Warum dem so ist, sei oft nicht nachvollziehbar. "Die Akten bleiben über mehrere Monate einfach liegen."

Der Fachbereich Staatsbürgerschaften in der MA 35 sei in den vergangenen Jahren mit drei großen Herausforderungen konfrontiert gewesen, heißt es dazu von dieser auf Nachfrage. Zum einen seien die Personalressourcen erheblich aufgestockt worden - was allerdings nicht zu einer Verfahrensverkürzung beitrug. Vielmehr mache "die komplexe Rechtsmaterie eine intensive und langwierige Einschulung des Personals notwendig, die mit einer starken Bindung der bestehenden Personalressourcen einhergeht", heißt es.

Zum Zweiten gab es 2013 eine große Novelle des Staatsbürgerschaftsgesetzes, dessen Auswirkungen laut MA 35 erst 2014 zum Tragen kamen - Antragsteller können seitdem bereits nach sechs statt wie bisher zehn Jahren die Staatsbürgerschaft erhalten, wenn sie in dieser Zeit einer Arbeit nachgehen, Steuern und Abgaben zahlen und über die erforderlichen Deutschkenntnisse verfügen. Und schließlich, zum Dritten, bedeute die Einführung der Verwaltungsgerichtsbarkeit 2014 "einen großen Mehraufwand für die Behörde", so die MA 35.

Dennoch sei es gelungen, die Verfahrensdauer sukzessive zu reduzieren, heißt es weiter. Konkrete Zahlen dazu oder einen Vergleich mit jenen des Stadtrechnungshofs könne man allerdings nicht liefern, da dessen Berechnungsmethode nicht bekannt sei, so die knappe Antwort.

Wesentlich für die Verfahrensdauer sei jedenfalls die Komplexität der Rechtslage. "Jeder Antrag ist individuell zu betrachten. Der Verwaltungsaufwand in einem Verfahren ist sehr hoch", heißt es. Zudem müsse die MA 35 in jedem Verfahren zahlreiche Anfragen an externe Behörden stellen, auf dessen Beantwortung die MA 35 keinen Einfluss habe - zum Beispiel die Aberkennung der ursprünglichen Staatsbürgerschaft, was ebenfalls Jahre dauern kann.

Zeit für mögliche Berufung

Zeitraubend sei hier auch, dass man Zeit für eine mögliche Berufung einkalkulieren müsse, ergänzt Jeremias Stadlmair vom Institut für Politikwissenschaften an der Universität Wien. Grundsätzlich gebe es "viele mögliche Gründe", warum ein Verfahren länger als die gesetzlich vorgeschriebenen sechs Monate dauert. In jedem Fall habe man wenig Handhabe, es zu verkürzen.

Im Vergleich zu den anderen EU-Ländern habe Österreich jedenfalls ein deutlich restriktiveres Staatsbürgerschaftsrecht. "Das beginnt schon damit, dass man hier nicht durch die Geburt, sondern durch die Abstammung die entsprechende Staatsbürgerschaft erhält", sagt Stadlmair. In Österreich sei das Einbürgerungsverfahren für hier Geborene nur leicht begünstigt, aber bei Weitem nicht so großzügig wie etwa in Irland oder Frankreich. In Frankreich erhalten Kinder mit Migrationshintergrund, deren Eltern bereits im Land geboren sind, automatisch die französische Staatsbürgerschaft.

Auch die Einkommenskriterien sind in Österreich laut Stadlmair streng wie in kaum einem anderen EU-Land. Erforderlich ist ein Einkommen von circa 900 Euro pro Monat, zuzüglich regelmäßiger Aufwendungen wie etwa Miete oder Kredite (exakt für 2018: 909,42 Euro).

Restriktive Rechtslage

Österreichs vergleichsweise restriktive Rechtslage in Sachen Einbürgerungen sei historisch gewachsen. " Erfahrungen mit Diversität können erklären, dass historische Regelungen zu Staatsbürgerschaft relativ restriktiv waren. Dass sie so geblieben sind beziehungsweise in den letzten zwei Jahrzehnten verschärft wurden, ist der Stärke rechtspopulistischer Parteien zuzuschreiben, konkret der FPÖ", so Stadlmair. Jede Lockerung der Staatsbürgerschaftspolitik sei für Regierungen schwierig, weil man den nicht den Eindruck erwecken möchte, man sei ein "Einwanderungsland", meint Stadlmair.

Insgesamt wurden in Österreich 2016 laut Statistik Austria 8530 Personen eingebürgert, im Vorjahr waren es den aktuellsten Zahlen zufolge bereits 9125, fast die Hälfte von diesen (3899) in Wien. Der Anteil der anerkannten Flüchtlinge lag hier der MA 35 zufolge bei 14,3 Prozent, 2016 waren es 12,6 Prozent. Österreichs Einbürgerungszahlen steigen seit 2010 wieder leicht an, davor waren sie stark rückläufig. Der Höchststand der vergangenen Jahrzehnte wurde 2003 mit 44.694 Einbürgerungen erreicht. Die Einbürgerungsquote (Einbürgerungen pro 100 ansässigen Ausländern) pendelt sich seit 2010 konstant auf rund 0,7 ein. 2003 lag sie bei 6,0.

Von all jenen, die Jahre lang auf die österreichische Staatsbürgerschaft warten, wenden sich wie auch die 43-jährige Zahnärztin jährlich mehrere Betroffene an den Verwaltungsgerichtshof. Laut diesem gebe es in Bezug auf die Entscheidung von Staatsbürgerschaftsangelegenheiten sowohl bei den Erledigungen als auch beim Anfall eine steigende Tendenz. Im Vorjahr seien etwa 20 Entscheidungen in Staatsbürgerschaftsangelegenheiten getroffen worden (inklusive Zurückweisungen, nicht aber Verfahrenseinstellungen). Grob geschätzt 25 Fälle seien neu anhängig geworden - etwa doppelt so viele wie im Jahr davor.

Voraussetzungen für die Einbürgerung

Zur Verleihung der österreichischen Staatsbürgerschaft müssen die allgemeinen Einbürgerungsvoraussetzungen erfüllt sein: ununterbrochen rechtmäßiger Aufenthalt (grundsätzlich zehn Jahre), kein bestehendes Aufenthaltsverbot sowie kein anhängiges Verfahren zur Aufenthaltsbeendigung im Inland und einem anderen EWR-Staat, Unbescholtenheit, hinreichend gesicherter Lebensunterhalt, bejahende Einstellung zur Republik Österreich, Verzicht auf die bisherige Staatsangehörigkeit, Nachweis von Deutschkenntnissen auf dem B1-Niveau nach dem Europäischen Referenzrahmen sowie Kenntnisse der demokratischen Ordnung und Geschichte Österreichs und Wiens. Letztere werden bei Antragstellung nach Vollendung des 14. Lebensjahres im Zuge einer Staatsbürgerschaftsprüfung nachgewiesen.

Liegt ein Rechtsanspruch vor, kann eine negative Entscheidung nur bei einem gesetzlichen Einbürgerungshindernis erfolgen. Beispiele für einen Rechtsanspruch sind: sechsjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt, sofern eine fünfjährige Ehe/eingetragene Partnerschaft mit einem österreichischen Staatsbürger besteht, sechsjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt und Status als Asylberechtigter oder sechsjähriger rechtmäßiger und ununterbrochener Aufenthalt und Geburt in Österreich.

Für die Verleihung der Staatsbürgerschaft fallen einheitliche Bundesgebühren und eine differierende Landesverwaltungsabgabe an. In Wien belaufen sich die Kosten für eine Einzelperson somit insgesamt auf 1.126,80 Euro, mit Rechtsanspruch auf 835,70 Euro. Die Gesetzgebung ist Bundes- und die Vollziehung Landessache.