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Angekratztes Monopol

Von Michael Ortner

Politik

Das umstrittene Afghanistan-Gutachten von Karl Mahringer wird trotz Verfahren immer noch verwendet.


Wien. Kann man es verantworten, afghanische Asylwerber zurück in ihre Heimat zu schicken? Karl Mahringer sagt Ja. Es würden sich "keine Gründe ergeben (sic!) welche die Rückkehr nach Afghanistan von männlichen Einzelpersonen unmöglich machen", schreibt der steirische Geschäftsmann in seinem Afghanistan-Gutachten.

Mahringers Worte haben Gewicht. Richter vertrauen auf seine Expertise. Mahringers Gutachten ist die Grundlage für zahlreiche Abschiebungen. Was er schreibt, hat für viele Flüchtlinge folgenschwere Konsequenzen. Das trockene Dokument verändert Leben.

Seit 2017 wird es in Asylverfahren herangezogen. Bis heute. Und das, obwohl gravierende Zweifel an der Wissenschaftlichkeit des Schriftstücks bestehen. Gegen Mahringer selbst läuft ein Überprüfungsverfahren. Kritiker werfen ihm vor, ein romantisiertes Bild Afghanistans zu zeichnen. Wieso wird Mahringers Gutachten also noch immer als Beweismittel vor dem Bundesverwaltungsgericht (BVwG) verwendet? Beginnen wir von vorne.

Einziger zertifizierter Gutachter für Afghanistan

Der steirische Geschäftsmann Karl Mahringer erstellte 2017 im Auftrag des BVwG ein Gutachten zur Sicherheits- und Versorgungslage in Afghanistan. In Asylverfahren entscheidet das BVwG als zweite Instanz über Beschwerden gegen Asylbescheide. Die Richter greifen dabei oft auf das Gutachten von Karl Mahringer zurück. Fehlt ihnen die Sachkenntnis, bestellen sie einen Sachverständigen. Sie vertrauen auf Richtigkeit und Wahrheitsgehalt des Sachverständigen-Gutachtens. Mahringer ist in Österreich der einzig gerichtlich zertifizierte Gutachter zu Afghanistan.

Nicht bei allen hat das Gutachten einen guten Ruf. Erste Kratzer bekam das Gutachten in einzelnen Medienberichten – auch die "Wiener Zeitung" berichtete im Juni 2017 darüber. Im Februar 2018 platzte dann die Bombe: Der Salzburger Plagiatsjäger Stefan Weber untersuchte im Auftrag der Wiener Deserteurs- und Flüchtlingsberatung das Gutachten. Sein Urteil fiel vernichtend aus: Das Gutachten sei ein "Reisebericht", angereichert mit "Fakten und Zahlen unklarer Herkunft". Es sei "komplett untauglich" als Entscheidungshilfe.

Dramatische Sicherheitslage

Flüchtlingshelfer, NGO’s und Asylanwälte protestieren gegen das Gutachten. Mahringers Beschreibung von der Sicherheitslage in Afghanistan halten sie zahlreiche Berichte von internationalen Organisationen entgegen, die vor der dramatischen Sicherheitslage im Bürgerkriegsland warnen. Laut Aurvasi Patel, Vizechefin des UNHCR in Afghanistan, gab es im vergangenen Jahr mehr als 3400 Tote und über 7000 Verletzte. Aufgrund der verschlechterten Sicherheitslage arbeitet das UN-Flüchtlingshilfswerk gerade an neuen Richtlinien zum Schutzbedarf afghanischer Asylwerber. Ungeachtet dessen verweisen Richter in Asylverfahren häufig auf das Gutachten. Das Rechtsinformationssystem des Bundes (RIS), eine Online-Datenbank der Justiz, spuckt den Namen Karl Mahringer in mehr als 270 Fällen aus.

Vergangenes Jahr wurden 117 Afghanen abgeschoben. "Mahringer hat sehr wohl einen wesentlichen Beitrag geleistet, wenn es um Abschiebungen geht", sagt Lukas Gahleitner von der Flüchtlings- und Deserteursberatung.

Kommission prüft Gutachter

Aufgrund der Vorwürfe und einer parlamentarischen Anfrage der Neos leitete die Präsidentin des Landesgerichts für Zivilrechtssachen in Wien – dort ist Mahringer als Sachverständiger gelistet – ein Überprüfungsverfahren ein. Derzeitiger Stand: "Herr Mahringer hat Stellung genommen zu den Vorwürfen", sagt Beatrix Engelmann, Sprecherin des Landesgerichtes. Nun liegt der Fall beim Hauptverband der Sachverständigen. Ein Richter bildet dort zusammen mit zwei Fachprüfern eine Kommission. Diese soll entscheiden, ob Mahringer noch die Voraussetzungen eines gerichtlich zertifizierten Sachverständigen erfüllt. Außerordentliche Überprüfungsverfahren kommen immer wieder vor, sagt Engelmann, sie seien aber "mit Sicherheit nicht die Regel". Regulär werden Sachverständige nach fünf Jahren wieder überprüft. Mahringer wäre also theoretisch bis 2021 in der Sachverständigenliste.

Mahringer selbst will sich auf Anfrage zum laufenden Verfahren nicht äußern. Er baut laut eigenen Aussagen derzeit eine Firma in Afghanistan auf, die sich auf Fact-Finding in Krisenländern spezialisieren soll. Fakten also, die in seinem Gutachten vermisst werden.

Ein schnelles Verfahrensende ist nicht in Aussicht. "Es ist nicht so ganz einfach, weil es keine anderen zertifizierten Sachverständigen für das betroffene Land gibt", sagt Alexander Schmidt, Vizepräsident des Handelsgerichts Wien und Syndikus des Hauptverbandes der Sachverständigen. Mahringers Monopolstellung stellt nun also ein Problem dar.

Gutachten kommt trotzdem zur Anwendung

Karl Mahringer wurde 2016 in die Liste der gerichtlich zertifizierten Sachverständigen aufgenommen. Damals gab es laut Engelmann ein "nicht öffentliches Zertifizierungsverfahren". Wer in dieser Kommission saß und entschieden hat, dass Mahringer das Zeug zum Gutachter hat, bleibt unter Verschluss. Grundsätzlich erforderlich sind Fachkunde, einschlägige Berufserfahrung, Kenntnisse des Rechtswesens und der Gutachtenmethodik. Hierzu schreibt Plagiatsgutachter Weber: "Gutachter M. beweist nicht ‚die Kenntnis des aktuellen Forschungsstands und der angemessenen Methoden‘."

Trotz der massiven Kritik an der wissenschaftlichen Herangehensweise wird das Gutachten weiterhin als Grundlage für Asylentscheidungen herangezogen. "Aufgrund dieser Angaben auf der Homepage des Bundesministeriums für Justiz besteht kein Zweifel daran, dass Mahringer die notwendigen bzw. angegebenen Qualifikationen hat und daher für das Verfassen des GA Mahringer befähigt ist", heißt es in einem Erkenntnis des BVwG vom 27. März 2018. "Es besteht kein Grund, an den Angaben und Schlussfolgerungen im GA Mahringer zu zweifeln" steht in einem anderen vom 26. März. Und weiter: "...aufgrund der Expertise des Sachverständigen und den durchgeführten umfangreichen Befragungen und Erhebungen vor Ort als glaubwürdig erachtet wird."

Warum vertrauen Richter immer noch auf das angepatzte Gutachten? Das BVwG verweist in einem Statement auf die unabhängige Rechtsprechung. "Ob und in welcher Form dieses konkrete Gutachten in den einzelnen Verfahren zum Einsatz kommt, entscheidet der/die Richter/in im konkreten Verfahren." Außerdem würden sich Erkenntnisse am BVwG "fast immer auf eine Vielzahl von Quellen" stützen.

Situation "beschönigt"

Bis die Kommission überprüft hat, ob Karl Mahringer gerichtlich zertifizierter Gutachter bleibt, werden noch einige Wochen vergehen. Für den deutschen Afghanistan-Experten Thomas Ruttig steht jedoch jetzt bereits fest: "Jemand Einzelner ist nicht in der Lage, die gesamte Situation in Afghanistan darzustellen." Ruttig beschäftigt sich seit 35 Jahren mit dem Land. Er hat für die Vereinten Nationen gearbeitet und war stellvertretender EU-Sondergesandter für Afghanistan. Die Landessprachen Dari und Pashto spricht er fließend. Er spart nicht mit Kritik am Mahringer-Gutachten: "Die Schlussfolgerungen, die er zieht, sind nicht mit den Realitäten vereinbar." Er hält es für problematisch, dass jemand Gutachten schreibt, der die Situation "beschönigt".

Mahringer schreibt etwa, dass der Familienzusammenhalt noch sehr stark sei und es daher immer Unterstützung für Rückkehrer gäbe. Ruttig widerspricht dem vehement. "Das ist eine Fehlinterpretation. Da seit 40 Jahren Krieg herrscht, ist nicht mehr viel Wille da, um sich um entfernte Verwandte zu kümmern." Ruttig findet noch zahlreiche andere Beispiele, bei denen sich die Einschätzung von Mahringer nicht mit der Realität in Afghanistan deckt. Sein Resümee: "Ich glaube, der Mann lebt dort in einer Blase. Er sieht die Wirklichkeit in Afghanistan überhaupt nicht."