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Mitten im Stresstest

Von Jan Michael Marchart

Politik

Beate Hartinger-Klein ist vom Fach, ihre politischen Auftritte sind chaotisch. Woran hakt es bei der Neo-Ministerin?


Wien. Nun soll sie nach jahrzehntelangen wie immer gleichen Debatten wirklich kommen: die Kassenfusion. Am Dienstag wird die Bundesregierung eine Punktation vorlegen, die im Herbst so oder so ähnlich umgesetzt werden soll. Am Tag vor der Pressekonferenz hieß es von Seiten des Bundespressedienstes noch, dass die Ministerin, Beate Hartinger-Klein (FPÖ), beim Verkauf der Sache nicht dabei sein werde. Tatsächlich teilten sich Bundeskanzler Sebastian Kurz und Vizekanzler Heinz-Christian Strache das Podium bei der Pressekonferenz zur Sozialversicherungsreform dann doch mit ÖVP-Klubobmann August Wöginger und ihr als zuständiger Ministerin. Sie ist es, die die Reform formal umsetzen muss.

Zwar waren und sind größere Reformen Chefsache, aber Hartinger-Klein braucht diesen Zwischenerfolg nach einem chaotischen und zuletzt von Protesten begleiteten ersten halben Jahr - unbedingt. Bisweilen hat sich Hartinger-Klein innerkoalitonär eher als Riss im System entpuppt, der regelmäßig die "Message Control" der Regierung strapaziert.

Dabei wollte sie das eigentlich gar nicht. Ein Stück zu groß schien ihr die Aufgabe, wie sie einmal sagte, Chefin "in so einem Megaressort" zu sein. Vielleicht ahnte sie schon vor ihrer Angelobung, dass die Kombination aus Arbeit, Soziales und Gesundheit in dieser Regierung nicht zu machen sein wird, ohne soziale Härte zeigen und ungewollte Kompromisse mit sich selbst schließen zu müssen. Genau das widerstrebt ihr aber, ein Buch ihres Ehemannes über den "freien Willen" hat sie in einem Interview mit dem "Kurier" als ihr "Lieblingsbuch" bezeichnet.

Das war im Februar, und Hartinger-Klein stand wieder einmal schutzlos ausgeliefert in der Ecke. Die Regierung, insbesondere ihre Freiheitlichen, wollten das Rauchverbot in Lokalen kippen. Zeitgleich formierte sich das "Don’t smoke"-Volksbegehren, das tausende Unterstützer fand und ihr gefühlt näher ist. Mit der Verbotsrücknahme hätte sie "keine Freude", sagte sie, sie nehme aber den Willen der Mehrheit im Nationalrat zur Kenntnis. Später nannte sie dann aber das von der Vorgängerregierung beschlossene Rauchverbot ein "grausliches Gesetz". Das war dann wohl eher der Parteidisziplin geschuldet. Nur verliert Hartinger-Klein gleich doppelt: durch die Kehrtwende an sich und weil sie als Gesundheitsministerin für die qualmende Gastfreundschaft plädiert.

Das Misstrauen gegen "rote Beamte"

Der Start der Neo-Ministerin war generell holprig. Schon vor der Rauchaffäre pfiff sie Kanzler Sebastian Kurz zurück, als Hartinger-Klein einen eigensinnigen Vorstoß zur Abschaffung der Notstandshilfe wagte. Es werde keinen Zugriff auf die Vermögen von Arbeitslosen geben, erklärte sie. Wenig später wurde Hartinger-Klein das Projekt entzogen und wanderte zu den beiden Regierungskoordinatoren Gernot Blümel und Norbert Hofer.

Weit schlimmer eskalierte aber ein unbedachter Plausch mit einem Journalisten nach einer Podiumsdiskussion. Hartinger-Klein sagte so dahin, dass die Allgemeine Versicherungsanstalt, kurz AUVA, die paktierten 500 Millionen Euro an Einsparungen wohl nicht schaffen wird und stellte deren Auflösung in Aussicht. Die Meldung wurde zum Selbstläufer.

Der Protest samt Petition mit tausenden Unterstützern gegen eine Auflösung der AUVA trifft die Regierung ins Mark. Die will eine größere Kassenreform und hat schon zu Beginn der Verhandlungen viele Entscheider aus dem Gesundheitsbereich gegen sich, deren Belegschaft Hartinger-Klein als "Ministerin für Krankheit und Asoziales" verhöhnen.

Innerhalb der ÖVP gilt Hartinger-Klein als Irrläufer, die mit ihrem Eigensinn regelmäßig die türkise "Message Control" hinterläuft. Das unmittelbare Ressortumfeld der Ministerin und die Verhandler sind verunsichert und irritiert. Das hat aber weniger mit Hartinger-Kleins Fachkompetenz zu tun. Die wird ihr jedenfalls im Gesundheitsbereich nicht abgesprochen, sie war stellvertretende Generaldirektorin im Hauptverband. Es ist vielmehr die Kombination aus übereilten wie wenig durchdachten Aktionen, falschem Stolz und Misstrauen, mit der sich die Ministerin das Leben schwer macht.

Die Furcht vor dem zweiten "Schüssel-Komplott"

Durch die dünne Personaldecke der FPÖ blieben Bereiche in ihrem Kabinett lange unbesetzt. Etwa die eminenten Positionen für Sozialpolitik und Arbeitsmarkt. Die, die nun im Kabinett arbeiten, schnuppern oft zum ersten Mal Politikluft. Die erfahrenen Sektionschefs und Beamten wurden hingegen zurückgedrängt. Die Ministerin vertraut der roten Beamtenschaft offenbar nicht.

Im Normallfall verfassen die Experten im Ressort die Gesetzesvorlagen, Hartinger-Klein holt aber Rechtsexpertise von außen, "von irgendwelchen FPÖ-Kanzleien, die in dem Geschäft noch nicht drinnen waren", erzählt ein Verhandler hinter vorgehaltener Hand. Manchmal müsse Hartinger-Klein beruhigt werden, wenn bei ihr die Angst aufkomme, "gelegt zu werden". Dabei wären die Beamten loyal, mit ihnen gebe es kein Problem und weniger Chaos.

Dieses Misstrauen wird auch mit ihrem Kabinettschef Volker Knestel in Verbindung gebracht. Knestel ist Mitglied der pennalen Burschenschaft Nibelungen Bregenz und stellvertretender Vorsitzender des Österreichischen Pennäler Rings, dem Dachverband von 190 Schülerverbindungen. Ein Burschenschafter von vielen, der durch den Aufstieg der Freiheitlichen mithochgezogen wurde. Vor seinem Wechsel ins Ressort war Knestel für den Ring Freiheitlicher Wirtschaftstreibender in der Wirtschaftskammer, hätte dort laut Funktionären aber inhaltlich "nichts zu melden gehabt".

Im Ministerium sei es ähnlich. Knestel wird als "Aufpasser" Hartinger-Kleins bezeichnet, durch den Verhandlungen zäh werden sollen. Gesprächspartner äußerten, dass Knestel ihnen nicht vertraue. Er sei jemand, der hinter allem ein "zweites Schüssel-Komplott" orte, dass also die FPÖ vom Koalitionspartner über den Tisch gezogen werde. Und er, Knestel, müsse das verhindern. Sachfragen löse Knestel für manche Verhandler aber auch "innerhalb von einer Stunde".

Inhaltlich beschlagen, aber falscher Stolz

Das Misstrauen, dass Hartinger-Klein in Verhandlungsrunden äußert, werde aber durch Knestel geschürt, heißt es. Mit Knestel an der Seite spreche sie im Befehlston, unter vier Augen kalmierend und inhaltlich gut.

Fachlich gilt Hartinger-Klein innerkoalitionär wie auf Verhandlungsebene als beschlagen. Als jemand, die Einzelgespräche führt, auch mit Mitarbeitern des Gegenübers am Verhandlungstisch. Ihr mangle es aber an politischem Auftreten sowie an strategischer Planung und Einschätzung. Die Absprache mit Systempartnern sei chaotisch oder erfolge erst, wenn es schon brennt.

Vielleicht fehlt es Hartinger-Klein aber am meisten an politischer Raffinesse, wie Missgünstige das formulieren könnten, oder auch politischer Verschlagenheit, wie den gleichen Umstand Wohlmeinendere deuten könnten. Sie sei für eine Politikerin zu offen, attestieren ihr Weggefährten. In einer Regierung, die sehr auf Inszenierung setzt, geht sie oft unüberlegt den Weg über die Medien.

Vor allem aber gehe Hartinger-Klein den Weg nicht zurück, um das Gesagte, wie beispielsweise im Fall der AUVA, öffentlich zu korrigieren und Luft aus dem Spiel zu nehmen. Das wird ihr als "falscher Stolz" ausgelegt.

Die Kassenfusion zu schaffen, und dies ohne gravierende Proteste, ist Hartinger-Kleins erste richtige Bewährungsprobe. Die schwarzen Länder soll Parlamentspräsident Wolfgang Sobotka für die ÖVP auf Linie bringen, was sich fast schon als Desavouierung von Hartinger-Klein interpretieren lässt. Selbst wenn das Sobotka seit den Regierungsverhandlungen im Dezember macht und auch nur ÖVP intern wildert, was für die Ministerin ohnehin nur schwer machbar wäre: Es ist ihr aber Kompetenzbereich.

Die Ärztekammer hingegen hat beim AUVA-Unfall Kampagnenblut geleckt. Die Stimmung der Ärzte ist nicht zu unterschätzen: Gibt es künftig nur eine Gebietskrankenkasse, braucht es keine neun Ärztekammern mehr. Ob sich die Kammer das gefallen lässt? Vielleicht waren die bisherigen Proteste nur Vorbereitung.