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Den einen Schlüssel für die Digitalisierung gibt es nicht

Von Martina Madner und Jan Michael Marchart

Politik
Maschinen werden bei Evva teils in der hauseigenen Werkstatt angefertigt. Eine braucht noch vor Inbetriebnahme menschliche Hilfe.
© L. Puiu

Vor 40 Jahren blieben Qualifikationen ein Berufsleben lang aktuell - heute sind viele bereits nach kurzer Zeit überholt. Betriebsbesuche bei Evva-Sicherheitstechnologie und dem Autozulieferer Magna.


Hier geht es zur interaktiven Storymap "Arbeit in digitalen Zeiten".
© Wiener Zeitung, Luiza Puiu

Wien. Die bald 100-jährige Betriebsgeschichte merkt man der Evva-Produktion nicht an allen Stellen an. Dort, wo der Konstrukteur gerade an der neuen teilautomatisierten Maschine schraubt, weil sich im Probebetrieb noch Schwächen des Roboterarms bei der Übergabe der haardünnen Stiftchen gezeigt haben, weicht der ölige Geruch anderer Schlüsselfertigungshallen dem kaum wahrnehmbaren neuer Elektrogeräte.

Automatisierung braucht Geduld. Die hat Andreas Eder - auch mit Mitarbeitern und nicht nur dem Gerät. Die braucht der Werkzeugbau-Meister und Gruppenleiter des guten Dutzends heute hier arbeitender "Damen" auch. Denn: "Ein gewisses Unbehagen ist schon da, wenn sie an der Maschine lernen", erzählt er. Und: "Man kann nicht jede hier einsetzen."

Einige aber schon. Die Wahl der künftigen arbeitsteiligen Zusammenarbeit mit der "Neuen" ist auf Valentina Domacinovic gefallen. Die stört sich nicht an mehr Technik. Sie hat "ihre" Maschine schon in frühem Stadium in der Werkstatt kennengelernt und sieht ihrem Wechsel von der händischen zur teilautomatisierten Arbeit weniger mit Spannung denn gelassen entgegen: "Das geht viel schneller, als händisch Stifte einzusetzen."

Schlüssel sind kein klassisches Serienprodukt.

Mensch oder Maschine?

Im Zuge der Automatisierung wird körperliche Arbeit von Menschen durch Maschinen ersetzt. Mit der Digitalisierung könnte nun die menschliche Denkarbeit folgen. Tausende Jobs könnten verloren gehen. Einst gefragte Qualifikationen selbst von Facharbeitern werden obsolet. Waren Ausbildungsinhalte vor 40 Jahren noch ein Berufsleben lang aktuell, sind heute manche, sobald erlernt, schon wieder überholt.

Ängste brauche Domacinovic trotzdem keine zu haben, sagt Eder. Kompetenz, der genaue und gleichzeitig rasche Umgang mit Kleinstteilen, ist nicht nur weiterhin gefragt, sie arbeitete an der neuen Maschine nicht nur zwecks Einschulung, sondern wurde und wird auch in die Fehlersuche auf dem Weg zum optimalen Produktionsablauf miteinbezogen. "Das hilft schon weiter, damit es künftig nicht nur gut, sondern sehr gut läuft."

Händische Arbeit prägt Valentina Domacinovic’ (M.) Arbeitsalltag heute noch. Künftig arbeitet sie an und mit der Maschine.

Was bei der Gründung des Familienbetriebs Evva 1919 Schloss und Schlüssel hieß, nennt man 2018 Sicherheitstechnologie. Die Anzahl der Mitarbeiter sei lange gestiegen, blieb in den letzten Jahren trotz Automatisierung und Digitalisierung wegen neuer Geschäftsbereiche angeblich konstant - Beleg konnte Evva allerdings keinen dafür liefern. Aktuell arbeiten in der Produktion in der Wienerbergstraße in Wien-Meidling 460 Mitarbeitern. Manche davon sind angelernt, andere Fertigungs- oder Werkzeugbautechniker, dritte Mechatroniker. Schließlich wurde die Produktion mechanischer Schlösser von früher längst um elektronische Schließsysteme ergänzt.

Das Fachwissen von Josef Preinsberger ist nach wie vor gefragt.

Beim Rundgang durch den Betrieb mit Michael Kiel, der das operative Geschäft leitet, trifft man auf viele dieser Mitarbeiter. Manche Maschine aber werkt auch alleine vor sich hin und fertigt ohne Zutun von Menschen Schlösser. Der Computerbildschirm zeigt an einer an, dass es an diesem Tag bereits einige tausend waren, mehr als 17.000 sollen es laut Produktionsauftrag noch werden. Der Mitarbeiter füllt morgens die verschiedenen Teilchen in die Maschine ein; tagsüber braucht diese ihn nur dann, wenn es eine Störung gibt.

So wird es nachvollziehbar, dass der Job-Futuromat der deutschen Bundesagentur für Arbeit den Qualifikationen von Angelernten in der Feinmechanik oder im Werkzeugbau so wie Domacinovic kaum Zukunftschancen ausrechnet: 18 von 19 Tätigkeiten dieser Arbeit - darunter Justieren, Sortieren oder Maschinenführung - sind demnach bereits heute durch Roboter ersetzbar. Nur Reinigen gefertigter Teile können Menschen aktuell noch besser als Maschinen.

Solche Unkenrufe lässt man bei Evva allerdings nicht im Raum stehen. Kiel nennt gleich ein ganzes Potpourri an Gründen, warum die Digitalisierung hier anders als in vielen anderen Produktionsunternehmen keine Jobs zerstört: Der Betrieb habe bereits weit früher als andere mit der Digitalisierung Anfang der 1980er Jahre begonnen, die Maschinen mit Computersteuerung auszustatten. Schlösser und Schlüssel sind kein Serienprodukt, eine voll automatisierte Produktion deshalb nicht möglich. Außerdem seien Schlösser Produkte, die über Jahrzehnte hinweg verwendet werden. Maschinen zur Nachproduktion alter Schlüssel sind auch nach Jahrzehnten noch in Betrieb, die Mitarbeiter als Spezialisten daran blieben deshalb ebenso lange gefragt.

Die manuelle Arbeit der Mechatronikerin bleibt oft die gleiche. Die Programme am Computer verändern sich dagegen laufend.

Viele der Maschinen seien nicht zugekauft, sondern in der hauseigenen Werkstatt hergestellt. Hier brauche man Facharbeiter wie Josef Preinsberger, der bereits 29 Jahre hier arbeitet. Der sagt zwar, dass die Digitalisierung "sicherlich nicht schlecht ist", bedauert aber zugleich, dass "es nicht wie früher scheppert, wenn was nicht passt, und du gleich gewusst hast, dass was nicht g’scheit läuft". Er mache aber ohnehin bereits Altersteilzeit, sei bald in Pension. Kiel hofft, dass er noch zweieinhalb Jahre bleibt, "wegen seines Fachwissens."

Das Basiswissen bleibt Lehrlingen wie Armin Ribo langfristig. Detailwissen aber ändert sich ständig, deshalb heißt es: lebenslang lernen.

Im Unternehmen lernen

Solches Wissen wird hier in der Werkstatt aber auch an Junge weitergegeben. Einer davon ist Armin Ribo im ersten seiner dreieinhalb Lehrjahre zum Werkzeugbautechniker. Er wollte immer eine Lehre machen; ihm gefällt es, mit verschiedenen Materialien zu arbeiten. Auf die Frage, ob es nervt, dass das Lernen auch in der Lehre und danach nicht aufhört, sagt er: "Man lernt immer etwas dazu, ohne Lernen geht es einfach nicht." Heute habe er gelernt, dass er die Maße anders in die Maschine eingeben müsse. Er habe sich heute verrechnet, das Ergebnis war ein falsch zugeschnittenes Metallstück. Kein Drama für den Ausbildner Johann Vasicek, "Das gehört dazu, am Ende hat er ein Grundwissen, dass er lebenslang brauchen kann." Das Detailwissen aber ändere sich laufend.

Mechatronikerin Daniela Lackner lötet Elektronikteile auf Platinen.

Auch Kiel räumt ein, dass einmal Gelerntes wie vom Metallarbeiter früher heute nicht mehr ein Berufsleben hält. Die Inhalte der nach wie vor gefragten Facharbeiterausbildung Mechatronik zum Beispiel seien nach etwa 15 Jahren komplett überholt: "Die Zeit, wo man Jahr für Jahr dasselbe gemacht hat, ist vorbei." Das ist bei vergleichsweise kleineren Produktionsunternehmen wie Evva genauso wie bei großen wie Magna.

Szenenwechsel von der Wienerbergstraße in die Liebenauer Hauptstraße in Graz ins Werk von Magna Steyr. 9500 Menschen arbeiten hier in der Zentrale, die gleichzeitig der größte Produktionsstandort des Autozulieferers ist und wo auch Hansjörg Tutner, der globale Personalverantwortliche, arbeitet. In die Produktion dürfen Besucher aktuell wegen neuer Automodelle von Mercedes, BMW und Jaguar nicht hinein; wohl aber ins Ausbildungszentrum.

Wo normalerweise gehämmert, gelötet und geschraubt wird, steht an diesem Tag nur ein Mercedes G auf einer Hebebühne. "Das war ein Totalschaden, den unsere Auszubildenden wieder komplett instandgesetzt haben", erklärt Ausbildungsleiter Herbert Walser. Zwölf seiner Schützlinge werden gerade im Seminarraum Formeln, Sinuskurven und mathematische Gleichungen vermittelt. Die Qualifikation Angelernter reicht oft nicht mehr. Magna brauchte in den vergangenen zweieinhalb Jahren wegen guter Auftragslage rund 3000 neue Fachkräfte - Kfz- und Karosserie-Techniker, Spengler, Elektro- und Metallbau-Techniker sowie Mechatroniker.

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"Darunter 1800 ungelernte Arbeitskräfte, die uns teilweise das AMS vermittelt hat", sagt Tutner; teilweise waren sie auch aus dem Betrieb. "Es geht darum, die Menschen an der Technologie-Spirale fit zu halten, denn eine reine Maschinen- und Roboterfabrik wird unsere Generation nicht mehr erleben", erklärt Tutner. Ein Kursteilnehmer ergänzt: "Nach einer Facharbeiterausbildung kann ich mit einer besseren Bezahlung rechnen, und man findet leichter einen Job, falls es hier nicht mehr so gut laufen sollte."

Verständnis für Technik

Im für eine Produktion ungewohnt ruhigen Elektronikbereich trifft man nicht nur auf angelerntes Personal, sondern auf Mechatronikerin Daniela Lackner. Die Arbeit, die sie im Moment erledigt, macht kaum Geräusche, sie sorgt nur für einen kaum wahrnehmbaren Verbrennungsgeruch. Schließlich ist sie gerade dabei, Elektronikteile auf Platinen zu löten, "keine schwierige Arbeit". Aber auch mit den sich regelmäßig ändernden Computerprogrammen kommt sie gut zurecht. Mit einer Vielzahl an Ausstellungsstücken mit komplexen Innenleben wird hier offensichtlich, warum Schlösser heute Sicherheitstechnologie heißen.

Lackner ist übrigens eine, die bereits umgesattelt hat - nicht wegen der Digitalisierung, sondern "weil mir die Arbeit als Elektrotechnikerin im Winter auf der Baustelle zu schwer war", sagt sie. Auch bei der Mechatronik unkt der Job-Futuromat, dass 57 Prozent der Tätigkeiten durch Roboter ersetzbar wären. Lackner stört sich nicht daran, wenn sie in die Verlegenheit käme, Neues erlernen zu müssen: "Das Verständnis dafür, was zu tun ist, habe ich." Darauf kann sie bauen, das können ihr weder Digitalisierung noch technologische Entwicklung nehmen.

Mitarbeit: Wolfgang Kuhn