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Weniger Mindestsicherung, weniger Kurse

Von Jan Michael Marchart und Werner Reisinger

Politik

Anerkannte Flüchtlinge müssen künftig Deutsch auf B1-Niveau beherrschen, um Mindestsicherung zu erhalten.


Mauerbach/Wien. Lange wurde geredet, jetzt soll es ganz schnell gehen. Am Montag im Rahmen der Regierungsklausur in Mauerbach bei Wien vorgestellt, soll es noch vor dem Sommer und damit vor dem EU-Ratsvorsitz in Gesetzesform gegossen werden: die bundeseinheitliche Mindestsicherung. Eine Deckelung der Mindestsicherung, wie sie der Verfassungsgerichtshof (VfGH) im Fall Niederösterreichs für grundrechtswidrig erklärt hat, wurde gekonnt umschifft. Statt einem Deckel bei 1500 Euro soll für Familien die Mindestsicherung degressiv gestaltet werden. Für das erste Kind soll es maximal 25 Prozent des dann einheitlichen monatlichen Bezugs von 836 Euro geben (215 Euro), für das zweite Kind maximal 15 Prozent (129 Euro), für das dritte Kind nur noch fünf Prozent (43 Euro).

Warten auf EuGH-Entscheidung

Maximal, denn hier sollen die Bundesländer Spielräume haben. Weniger auszuzahlen, das sei im Rahmen der beabsichtigen Grundsatzgesetzgebung "richtig und gut", sagte Kanzler Sebastian Kurz (ÖVP). Wenn es auch "nicht klug" weil grundrechtswidrig wäre, für Kinder nichts auszuzahlen und einen Deckel einzuziehen.

Die gebetsmühlenartig angekündigte Differenzierung zwischen langjährigen Einzahlern ins Sozialsystem und jenen, die noch nicht eingezahlt haben, also Geflüchtete und Zuwanderer, soll sehr wohl kommen. Wer beim Antrag auf Mindestsicherung nicht das Deutsch-Niveau B1 nachweisen kann - dies entspricht in etwa einem Hauptschulabschluss -, der erhält künftig statt 863 Euro monatlich nur noch 563 Euro. Alleinerziehende mit Mindestsicherung sollen hingegen einen Bonus erhalten: 100 Euro für das erste, 75 für das zweite und 50 Euro für das dritte Kind. Bürgern aus EU-Staaten hingegen stellt die Regierung eine fünfjährige Wartefrist auf den Mindestsicherungsanspruch in Aussicht. Auch auf den Anspruch auf Arbeitslosengeld soll diese Gruppe künftig warten müssen, und zwar drei Monate.

Das Modell soll über ein Grundsatzgesetz gemäß Artikel 12 der Bundesverfassung den Ländern vorgeschrieben werden. Ein Verfassungsgesetz, das Vorschreibungen des Bundes gegenüber den Ländern in gewissen Bereichen regelt - über dessen Reform mit dem Ziel der Abschaffung Justizminister Josef Moser (ÖVP) paradoxerweise gerade mit den Ländern verhandelt. Abgesehen davon ist es laut dem Europarechtsexperten Walter Obwexer aber nicht sicher, ob das Ansinnen der Regierung auch den EU-Vorschriften standhält. "Unter der Voraussetzung, dass die verbleibenden 563 Euro ausreichen, um ein menschenwürdiges Dasein in Österreich sicherzustellen, wäre die Regelung rechtskonform", sagt der Jurist. Dies habe der VfGH im Fall Niederösterreichs bereits entschieden.

"Dann wäre es zulässig, die Differenz auf die volle Höhe so lange einzubehalten, bis das B1-Niveau und entsprechende Qualifizierungen nachgewiesen werden können." Obwexer verweist aber andererseits auf ein negatives EuGH-Urteil in den Niederlanden sowie auf den Fall Oberösterreich, über den der EuGH ebenfalls bald eine Entscheidung zu treffen hat. ÖVP und FPÖ beschreiten also erneut rechtliches Neuland. Im Grunde aber spielt die Regierung auf Zeit, wenn sie mehr Integration verlangt, gleichzeitig aber bei den Deutschkursen spart.

Deutschkurse werden rar

Als die Fluchtkrise 2015 ihren Höhepunkt erreicht hatte, bekam das AMS Sonderbudgets für Asylprogramme wie das Integrationsjahr und Deutschkurse. Diese zusätzlichen Mittel wird es aus heutiger Sicht 2019 nicht mehr geben. Bis dahin muss der AMS-Verwaltungsrat darüber entscheiden, wie viel Geld aus dem Regelbudget für die Integration von Flüchtlingen aufgewendet wird. In diesem Gremium sind Regierungs- und Arbeitgebervertreter in der Mehrheit. Die Wahrscheinlichkeit ist gering, dass es Mittel in ähnlicher Höhe geben wird. Allein gegenüber dem Vorjahr muss das AMS mit 105 Millionen Euro weniger für den Asylbereich auskommen, 2019 wird es noch weniger sein. Bis zu 2000 Deutschtrainer für Flüchtlinge bangen schon jetzt um ihre Jobs (die "Wiener Zeitung" berichtete). Für eine gelungene Integration klingt das nach keinem stabilen Fundament.

Laut AMS dauern Deutschkurse pro Modul im besten Fall jeweils 15 Wochen. Bis anerkannte und bereits alphabetisierte Flüchtlinge das B1-Niveau erreichen, vergehen im Idealfall 45 Wochen, das sind mehr als zehn Monate - von rund einem Jahr sprechen erfahrene Deutschtrainer. Wartezeiten, Nicht-Verfügbarkeit von Kursen und Prüfungsmisserfolge nicht einberechnet. Braucht jemand einen Alphabetisierungskurs, kommen noch zwölf Wochen dazu.

Ebenfalls als eine Voraussetzung für die volle Mindestsicherung nennt Kurz den Pflichtschulabschluss. Was nach wenig klingt, ist eine Herausforderung, weil Flüchtlinge bestimmter Nationalitäten in dieser Frage benachteiligter sind als andere. Die AMS-Kompetenzchecks zeigen etwa gravierende Unterschiede zwischen Syrern und Afghanen. Ein Viertel der Syrer (7000 Befragte) hat laut AMS-Einschätzung Pflichtschulniveau, ebenso viele Afghanen (3000 Befragte) haben gar keine Schule besucht, 30 Prozent sind auf Pflichtschulstand. Was Matura- und Studienabschluss angeht, sind Syrer deutlich vorne (61 zu 20 Prozent) Der Kompetenzcheck ist nur eine vage Einschätzung, die aber ungleiche Startpunkte offenbart. Afghanen werden es gegenüber Syrern deutlich schwerer haben, das B1-Niveau zu erreichen, weil sie eher einen Alphabetisierungskurs brauchen, womit auch der Pflichtschulabschluss schwerer zu erreichen sein wird - und damit auch die volle Mindestsicherung.

Siehe dazu auch: AMS-Trainer befürchten Kündigungswelle