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Wohlstand trotz 1,6 Millionen Armutsgefährdeter

Von Martina Madner

Politik

Mittelschicht profitiert vom Wohlstand, Ärmere kaum. Die Mindestsicherung schützt weiterhin nicht vor Armut.


Wien. Wirtschaftswachstum alleine sagt noch wenig über Wohlstand aus - und doch ist die Konjunkturprognose eine der wenigen, die etwas über die zukünftige Entwicklung des Landes aussagt. Die Arbeiterkammer ergänzt Bestandsaufnahme und Prognose nun um weitere Indikatoren, darunter die Verteilung des Wohlstands, Arbeits- und Lebensqualität - und veröffentlichte erstmals einen Wohlstandsbericht.

Österreich erreicht 63 von 100 möglichen Punkten. Oder in den Worten von AK-Ökonom Markus Marterbauer: "Der Mitte in Österreich geht es sehr, sehr gut. Das Medianhaushaltseinkommen liegt über jenem vieler anderer Länder." Sozialstaat, konsensorientierte Politik, eine stabile wirtschaftliche Entwicklung seien dafür verantwortlich.

Besonders gut schneidet Österreich bei der Lebensqualität ab, wofür man sich die Zufriedenheit, Bildung, Wohnen, Gesundheit und die Vermeidung von Armut und Ausgrenzung genauer angesehen hat. Hier gibt es 15 von 20 Punkten. Selbst beim Punkt "Armut und Ausgrenzung vermeiden" gibt es im Wohlstandsbericht drei von vier Punkten - vier bedeutet sehr gut, null wäre dagegen sehr kritisch.

Zugleich spricht die Statistik Austria von 1,56 Millionen Armuts- und Ausgrenzungsgefährdeten in Österreich. Das sind 18,1 Prozent der Bevölkerung. Wie passt das zusammen?

Die drei Dimensionen von Armut

Armut wird in der EU mittels EU-Silc (European Union Statistics on Income and Living Conditions), also der Statistik zu den Einkommens- und Lebensbedingungen, gemessen: Es geht dabei um die Armutsgefährdung, materielle Benachteiligung und keine oder sehr niedrige Erwerbstätigkeit.

Armutsgefährdet sind alle, deren Haushalteinkommen inklusive Sozial- und Familienleistungen und nach Abzug der Abgaben, 60 Prozent oder weniger des durchschnittlichen Haushalts in Österreich ausmacht. Der hatte im vergangenen Jahr 24.752 Euro netto zur Verfügung, Armutsgefährdete aber nur 14.851 Euro oder weniger. 2017 lebten 1,25 Millionen Personen in solchen Haushalten.

Dazu kommen Menschen, die erheblich materiell benachteiligt sind: Dabei geht es um unerwartete Ausgaben: bis zu 1160 Euro, einmal im Jahr Urlaub, jeden zweiten Tag Fleisch oder Fisch, ein Auto, einen Fernseher, eine Waschmaschine, ein Telefon oder Handy und das Heizen in der Wohnung. Materiell benachteiligt sind jene, die sich vier von diesen neun Dingen nicht leisten können, das waren insgesamt 323.000 Personen in Österreich.

Die dritte Dimension ist keine oder eine sehr niedrige Erwerbsintensität. Wenn Personen weniger als 20 Prozent der möglichen Arbeitszeit im Jahr arbeiten, zählen sie zu dieser Gruppe. In Österreich waren es im vergangenen Jahr 545.000 Personen.

Insgesamt 117.000 Menschen sind in allen drei Dimensionen betroffen. Sie sind "vielfach von Sozialleistungen wie Arbeitslosengeld, Notstandshilfe oder Familienbeihilfen abhängig", heißt es seitens der Statistik Austria.

Mindestsicherung macht keine 60 Prozent aus

Die monatliche Schwelle für Armutsgefährdung lag 2017 bei 1238 Euro für Alleinlebende. Pro weiterem Erwachsenen werden 618 Euro dazugezählt, pro Kind 371 Euro. Die Mindestsicherung reichte weder bisher, noch in Zukunft an diese Schwelle heran: Die Regierung plant maximal 863,04 Euro für Einzelpersonen, für einen weiteren Erwachsenen 647,28 Euro. Für das erste Kind gibt es 215,76 Euro, für ein zweites 129,45 Euro, für ein drittes und alle weiteren 43,15 Euro.

30 Prozent der Haushalte mit mehr als drei Kindern sind laut Statistik Austria besonders armutsgefährdet. Bei den Personen ohne österreichische Staatsbürgerschaft aus Nicht-EU-Ländern sind es 50 Prozent und bei Ein-Eltern-Haushalten 47 Prozent. Bei den Langzeitarbeitslosen fallen sogar 80 Prozent in diese Gruppe.

Für die Alleinerziehenden, von denen 59.050 im Jahr 2016 Mindestsicherung bezogen, plant die Regierung Abfederungen: bis zu 100 Euro für das erste Kind, fürs zweite 75 Euro, das dritte 50 und ab dem vierten 25 Euro. Für Ausländer aber sind zusätzliche Beschränkungen vorgesehen: 300 der 863,04 Euro erhalten diese nur mit Sprachkenntnissen oder österreichischem Pflichtschulabschluss. Zwar ist im Ministerratsvortrag auch von der Wiedereingliederung in das Erwerbsleben als Ziel die Rede, also auch Langzeitarbeitslosen, von konkreten Maßnahmen für diese aber nicht.

Im Wohlstandsbericht gibt es zum Thema Arbeit zum Teil gute Werte, etwa für das Arbeitsklima und die Erwerbstätigkeit generell. "Die Unterbeschäftigung von Menschen in prekären Jobs oder von Arbeitslosen ist aber ein Problembereich", sagt Marterbauer. Der AK-Ökonom schließt aus dem Bericht und der aktuellen Wirtschaftslage: "Jetzt wäre es an der Zeit, in Arbeitslose und Unterbeschäftigte zu investieren, auch die Leute in der Mindestsicherung in gute Arbeit zu bringen - solche Bemühungen sehen wir aktuell leider nicht."

Der Wohlstandsbericht der Arbeiterkammer zum Download.