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Auf zu neuen Ufern

Von Werner Reisinger

Politik

Laufend werden neue Details in der Causa BVT bekannt. Der Innenminister will die Behörde neu aufstellen.


Wien. Wer noch vor wenigen Tagen mit dem Anwalt von Peter Gridling sprach, dem fiel es schwer, auf die Idee zu kommen, dass sich der mittlerweile wieder im Dienst befindliche Chef des Bundesamts für Verfassungsschutz und Terrorismusbekämpfung (BVT) etwas anderes als ein recht nahes Ende seiner Karriere im Verfassungsschutz erwarten könnte. Trotz der Aufhebung der Suspendierung. "Um jemanden abzumontieren, sind Organisationsänderungen ein bewährtes Mittel", mutmaßte Gridlings Anwalt Martin Riedl noch vor knapp einer Woche. Schon wieder aber dreht sich die Perspektive, in der Affäre um den österreichischen Verfassungsschutz.

Am Dienstag, im Festsaal des Innenministeriums, wirkt Peter Gridling gelassen und zufrieden. Er ist ab sofort Leiter einer Reformgruppe. Ihr Ziel: eine Neuaufstellung des BVT. Und auch Innenminister Herbert Kickl scheint voller Tatendrang. Er verweist auf das Regierungsprogramm, in dem auch gewisse Reformnotwendigkeiten in der Sicherheitspolitik, die auch das BVT tangieren, skizziert sind. "Das setzen wir jetzt um", sagt Kickl vor den Journalisten. "Heute ist Tag 1 eines neuen Staats- und Verfassungsschutzes." Man wolle "wieder zu den Besten gehören", es brauche eine "Konzentration auf die Kernkompetenzen", den Ausbau der Strukturen im Bereich Cyber- und Wirtschaftskriminalität - vor allem aber "klare Kompetenzen" und die Beseitigung von "Doppelgleisigkeiten" mit dem Bundeskriminalamt. Während gegen Gridling nach wie vor strafrechtlich ermittelt wird und mindestens im Wochenrhythmus neue Details zum Ablauf der Hausdurchsuchung, den umstrittenen Zeugenaussagen und der Involvierung von FPÖ-nahen Spitzenbeamten im Innenministerium bekannt werden, will der Innenminister jetzt das umsetzen, was auch "viele externe Experten, aber auch die Praktiker aus dem Inneren heraus für notwendig erachten".

Keine Zusammenlegung

Es ist offensichtlich, dass Peter Gridling die Aufhebung seiner Suspendierung genießt. Bis Herbst soll die "Analysephase" für das Projekt Verfassungsschutz neu dauern. Ob es, nach all dem, was passiert sei, überhaupt noch eine Vertrauensbasis zum Innenminister gebe? Er habe bereits an einigen Reformen des Verfassungsschutzes mitgearbeitet, sagt Gridling. Er sehe die Sache "professionell". Die Journalisten mögen nur bitte nicht allzu sehr spekulieren. "Die Mitarbeiter sind stark verunsichert."

Inhaltlich sind Überlegungen, den Verfassungsschutz zu reformieren, keineswegs aus der Luft gegriffen. Nicht nur ehemalige Insider, wie der Linzer Kriminalbeamte und Datenforensiker Uwe Sailer, kritisieren seit langem Personalknappheit im BVT und den Verfassungsschutzbehörden der Länder (LVT) sowie teils mangelnde Kompetenzen der Beamten.

Grundsätzlich gibt es zwei Modelle, wie man eine Staatsbehörde organisieren kann. Viele Staaten trennen jene Polizeieinheiten, die sich exekutiv um Terroristen und Extremisten kümmern, von jenen Stellen, deren Aufgabe die reine Informationsbeschaffung ist. Österreich wählte jedoch das alternative Modell, und so hat das 2002 aus Staatspolizei und einigen Spezialeinheiten gegründete BVT sowohl exekutive als auch nachrichtendienstliche Kompetenzen. Einen reinen Nachrichten- oder Geheimdienst gibt es nicht, das Heeres-Nachrichten- bzw. Abwehramt des Verteidigungsministeriums ausgenommen. Ein Umstand, der zwar auch Vorteile bringt, jedoch von Sicherheitsexperten auch kritisch gesehen wird.

Medienberichten zufolge sollen in den vergangenen Wochen hinter den Kulissen bereits recht konkrete Gespräche zwischen Innenministerium, Bundeskriminalamt und BVT geführt worden sein. Die kolportierte Stoßrichtung: Teile der BVT-Struktur sollen an das Bundeskriminalamt (BKA) bzw. Teile der LVT-Struktur an die Landeskriminalämter angedockt werden. Darunter könnten auch der Bereich Extremismus oder die Terrorprävention fallen.

Was aber denken die Beamten selbst? Sinn mache nur eine Reform, die den Verfassungsschutz insgesamt auf komplett neue Beine stellen würde. "Eine parlamentarisch kontrollierte Behörde, in der es klare Trennung zwischen exekutiven und geheimdienstlichen Aufgaben gibt, wie dies etwa in Deutschland der Fall ist", heißt es hinter vorgehaltener Hand. Die "erfahrenen und guten" Nachrichtendienstler des Heeres sollten dabei unbedingt mit den BVT-Ermittlern in einem Haus zusammengeführt werden.

Doch genau eine solche grundlegende Neuaufstellung des Verfassungsschutzes ist eher nicht zu erwarten. Es werde "garantiert keine Zusammenlegung" von Heeres- und BVT-Nachrichtendienstlern geben, sagt der Innenminister.

Erinnerungen an Strasser

Manch ÖVP-naher Beamter im BMI fühlt sich durch Kickls Ankündigungen an die Ära von Ex-Innenminister Ernst Strasser unter Schwarz-Blau 1 erinnert. Es sei zu erwarten, dass Kickl "weiße Elefanten" produziere. Sprich, derzeit noch aktive Spitzenbeamte im BVT könnten, wenn diese nicht aufgrund juristischer Entscheidungen das Haus verlassen müssen, durch eine Umgehungsstruktur de facto entmachtet werden. "Man muss sich genau ansehen, wer dann an den neuralgischen Punkten sitzt", sagt ein Beamter, der lieber anonym bleiben möchte.

Der exekutive Leiter der Reformkommission sei mit Dominik Fasching jedenfalls keinesfalls FPÖ-nahe, betont Innenminister Kickl. Ganz anders Udo Lett, Kickls enger Vertrauter in seinem Kabinett. Ihm werden Ambitionen auf die BVT-Leitung nachgesagt. Es soll Lett gewesen sein, der die ominösen Zeugen zu deren Aussage vor der Staatsanwaltschaft begleitet hatte - "auf deren ausdrücklichen Wunsch", wie Kickl behauptete. In den Vernehmungsprotokollen finde sich dazu aber laut der Neos-Abgeordneten Stephanie Krisper Gegenteiliges: "Herr Dr. Lett hat mir einfach gesagt, dass ich heute hier herkommen soll. Ich weiß allerdings noch nicht genau warum", ist dort zu lesen.

Inzwischen ist auch klar, wer diese Aussage getätigt hat. Ex-BVT-Mitarbeiterin Ria-Ursula Peterlik, so schreibt der "Falter", Ehefrau von Johannes Peterlik, der derzeit unter Karin Kneissl im Außenministerium tätig ist - er hätte im Falle eines Sieges mit Norbert Hofer als dessen Kabinettschef in die Hofburg einziehen sollen. Ob etwas Gesetzwidriges passiert sei, fragte die Staatsanwältin Frau Peterlik. Sie wolle dazu keine Angaben machen. Auch in die inkriminierte Angelegenheit mit den nordkoreanischen Pässen sei sie "nicht eingebunden" gewesen. Für die ermittelnde Staatsanwältin ist sie trotzdem eine "Whistleblowerin".

Und während Neos und SPÖ beklagen, man würde für den BVT-U-Ausschuss - rechtswidrig - geschwärzte und unvollständige Akten geliefert bekommen und SPÖ-Chef Kern den Rücktritt des Innenministers fordert, werden die Fragen eher mehr als weniger.

Wieso bewilligt eine Staatsanwältin aufgrund von Zeugenaussagen, die offensichtlich kaum substanzielle Vorwürfe enthalten hatten, Ermittlungen? Wieso steht in der Anordnung zu den BVT-Hausdurchsuchungen, dass die Zeugen um "Leib und Leben" fürchten würden, in den Zeugenaussagen selbst ist davon aber keine Rede?

Trotz allem Reformeifer wird der Innenminister sich noch viel mit den "längst zurückliegenden Geschehnissen" beschäftigen müssen, zumal er auch im U-Ausschuss geladen werden soll.