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Graue Wölfe, Erdogan und das Islamgesetz

Von Daniel Bischof

Politik

Die Regierung wird im Kampf gegen den politischen Islam offensiv. Laut Experten könnten die Maßnahmen aber nach hinten losgehen.


Wien. Die schwarz-blaue Bundesregierung geht im Kampf gegen den politischen Islam in die Offensive. Sie hat am Freitag angekündigt, sieben Moscheen wegen Verstoßes gegen das Islamgesetz zu schließen. Mehrere Imame des in die Kritik geratenen türkischen Vereins Atib sollen des Landes verwiesen werden. Parallelgesellschaften und Radikalisierungstendenzen "haben in unserem Land keinen Platz", sagte Bundeskanzler Sebastian Kurz (ÖVP).

Der Vorstoß erhielt parteiübergreifende Zustimmung. "Die erste gescheite Maßnahme dieser Bundesregierung", sagte SPÖ-Bundesgeschäftsführer Max Lercher. "Liberale Demokratien müssen sich gegen ihre Gegner wehren - und dazu zählt auch der politische Islam", erklärte Neos-Wien-Landessprecherin Beate Meinl-Reisinger. Die Liste Pilz sprach von einem "ersten Schritt".

Mit dieser Euphorie kann der Extremismusexperte Thomas Rammerstorfer wenig anfangen. Er glaubt, dass die Maßnahmen nach hinten losgehen können: "Heute ist ein wirklicher Feiertag für die türkischen Rechten."

Unklare Machtverhältnisse

Doch alles der Reihe nach. Betroffen von den Schließungen sind vier Moscheen in Wien, zwei in Oberösterreich und eine in Kärnten. In Wien zählt die Moschee des Vereins "Nizam-i Alem" am Antonsplatz in Favoriten dazu. Die Moschee stehe vermutlich unter dem Einfluss der als extremistisch und faschistisch eingestuften türkischen "Grauen Wölfe", sagte Kanzleramtsminister Gernot Blümel (ÖVP).

Anfang März tauchten Fotos von kleinen Kindern auf, die in der Moschee den rechtsextremen "Wolfsgruß" zeigten. Auch soll die "Nizam-i Alem"-Moschee illegal betrieben worden sein: Bei der Islamischen Glaubensgemeinschaft (IGGiÖ) soll sie nicht registriert gewesen sein, was sie gemäß dem Islamgesetz hätte sein müssen.

Rammerstorfer, der sich intensiv mit den "Grauen Wölfen" beschäftigt hat, hegt den Verdacht, dass die Gruppe im Hintergrund selbst aktiv geworden sein könnte. Er erklärt: "Es gibt in Österreich eine relevante Organisation der ‚Grauen Wölfe‘. Das ist die sogenannte Türkische Föderation, die in etwa 20 Mitgliedsvereine hat." Diese Föderation sei insbesondere in der IGGiÖ stark vertreten. Die nun geschlossene Moschee wurde nicht von der Türkischen Föderation, sondern einer Abspaltung der Grauen Wölfe betrieben: Diese Abspaltung sei im Vergleich zu den wirklichen "Grauen Wölfen" irrelevant, meint Rammerstorfer.

Für die "Grauen Wölfe" der Türkischen Föderation sei die Abspaltung eine Ansammlung von "Ketzern, Spaltern und Abtrünnigen". Rammerstorfer vermutet, dass die IGGiÖ die Moschee gezielt beim Bundeskanzleramt gemeldet hat, damit sie die unpopuläre Abspaltung loswird.

"Die wirklichen ,Grauen Wölfe‘ sind froh, der Konkurrenz eins ausgewischt zu haben", so Rammerstorfer. Gleichzeitig ist der Fokus von den "wahren" Grauen Wölfen abgelenkt, so die Vermutung. Fest steht jedenfalls: Die Meldung, dass die Moschee illegal betrieben wurde, kam direkt von der IGGiÖ, wie Minister Blümel am Freitag bekanntgab.

Auf diese Theorie angesprochen, heißt es aus dem Bundeskanzleramt: Es sei nun einmal eine Tatsache, dass in der Moschee am Antonsplatz etwa "Kinder und Jugendliche auf Fotos beziehungsweise Selfies zu sehen sind, während sie den ‚Wolfsgruß‘ machen". Wenn die IGGiÖ an das Kultusamt herantrete und anzeige, dass ohne ihre Genehmigung eine Moschee betrieben werde, müsse das Amt aufgrund des Islamgesetzes handeln.

Von den Maßnahmen betroffen sind auch sechs Moscheen, die zur Arabischen Kultusgemeinde gehören. Hierbei herrschte am Freitagabend aber Verwirrung. Angeblich wurde die Arabische Kultusgemeinde mit Bescheid des Bundeskanzleramts bereits aufgelöst. Das bestreitet die Gemeinde: Sie habe einen solchen Bescheid noch nicht erhalten.

Die Arabische Kultusgemeinde hat laut eigenen Angaben rund 1000 Mitglieder, die etwa aus Ägypten oder Tschetschenien stammen. Sie geriet mehrfach in die Negativschlagzeilen. So wird gegen den Vorsitzenden der Kultusgemeinde, Hassan M., etwa wegen Förderungsmissbrauch in Zusammenhang mit Kindergartensubventionen ermittelt. Auch sollen in Moscheen der Gemeinde wiederholt salafistische Äußerungen gefallen sein, die gemäß dem Islamgesetz gegen die positive Grundeinstellung zu Staat und Gesellschaft verstoßen. Die Gemeinde bestreitet die Vorwürfe.

Die (mögliche) Auflösung könnte die Machtverhältnisse in der IGGiÖ stark verändern: "Die Arabische Kultusgemeinde steht innerhalb der IGGiÖ in Opposition zu dem türkischen Block", so Rammerstorfer. Durch deren Auflösung könnte der Einfluss der türkischen Fraktion in der IGGiÖ noch weiter zunehmen. "Die internen Verhältnisse der IGGiÖ können nicht Gegenstand eines Verwaltungsverfahrens sein", so das Bundeskanzleramt.

Die magische Zahl

Im Umfeld der IGGiÖ war zu hören, dass von der Islamischen Glaubensgemeinschaft die Überprüfung der Arabischen Kultusgemeinde beim Kultusamt beantragt worden war - aus formalen Gründen. Ein Antrag auf Auflösung sei jedoch nicht gestellt worden.

Die Arabische Kultusgemeinde habe nicht über die für die Konstituierung einer Kultusgemeinde notwendige Mindestzahl von zehn Moscheen verfügt, so der Verdacht der IGGiÖ. Dass eine Gemeinde über zehn Moscheen verfügen muss, wurde von der IGGiÖ in ihrer Verfassung festgelegt. "Diese Zahl wurde willkürlich gewählt, damit die großen, türkischen Vereine die Oberhand behalten", sagt eine Person, die anonym bleiben möchte. Nun nütze die IGGiÖ die Gunst der Stunde, um sich der Kultusgemeinde zu entledigen, meint sie. Vieles scheint in dem undurchsichtigen Machtkampf noch im Dunkel zu liegen - die Arabische Kultusgemeinde gibt jedenfalls an, sie betreibe mehr als zehn Moscheen.

Wenig Freude dürften türkische Nationalisten mit den Ausweisungen von Atib-Imamen wegen verbotener Auslandsfinanzierung haben. Atib gilt als verlängerter Arm der türkischen Regierung in Österreich. Gegen elf Imame wurden bereits Verfahren eingeleitet, zwei davon wurden negativ abgeschlossen, führte Innenminister Herbert Kickl (FPÖ) aus.

Ein Atib-Sprecher bestätigte am Freitag, dass Imame in Österreich aus dem Ausland finanziert wurden - weil es in Österreich "keine adäquate Ausbildung" gebe. Dass in Atib-Gebetsräumen politische Botschaften verbreitet werden, bestritt er aber. Die IGGiÖ wollte nicht auf die Konsequenzen der Bundesregierung reagieren. Am Samstag gebe es eine Sitzung des Obersten Rats.

Türkei im Wahlkampf

In der Türkei werden die Maßnahmen bereits für innenpolitische Zwecke benutzt. Dort finden am 24. Juni die Parlaments- und Präsidentschaftswahlen statt. Auslandstürken können bereits ihre Stimme abgeben - rund 100.000 wahlberechtigte türkische Staatsbürger leben in Österreich.

Beobachter meinen, dass die Maßnahmen Präsident Recep Tayyip Erdogan in die Hände spielen werden, da es zu Solidaritätsbekundungen mit dem türkischen Präsidenten kommen werde. Ein Erdogan-Sprecher schrieb auf Twitter sogleich auch im Hinblick auf Österreich von einer "islamophoben, rassistischen und diskriminierenden Welle".

Kultus-Minister Blümel kann die Kritik am Zeitpunkt der Bekanntgabe nicht nachvollziehen: "Wir schielen nicht in die Türkei wenn es darum geht, österreichische Gesetze zu vollziehen", sagte der Minister in der ZiB2. Man stehe zudem erst am Anfang der Maßnahmen.

Rechtsweg steht offen

Das letzte Wort dürfte in der Causa in rechtlicher Hinsicht auch noch nicht gesprochen worden sein. Denn gegen die Bescheide, mit denen die Moscheevereine (angeblich) aufgelöst wurden, können noch Rechtsmittel ergriffen werden. Die Betroffenen können sich per Bescheidbeschwerde an das zuständige Verwaltungsgericht wenden. Der Verein, der die "Nizam-i Alem"-Moschee betreibt, hat bereits angekündigt, rechtliche Schritte zu ergreifen. Und auch die Arabische Kultusgemeinde erklärte, im Falle einer Auflösung alle möglichen rechtlichen Mittel ausschöpfen zu wollen.

"Unter besonderen Voraussetzungen wäre im Fall der Ab- bzw. Zurückweisung durch das Verwaltungsgericht dann noch eine Revision an den Verwaltungsgerichtshof möglich", sagt Religionsrechtler Stefan Schima. Auch könnte noch der Verfassungsgerichtshof befasst werden - dann, "wenn vom Beschwerdeführer behauptet wird, dass der Bescheid in die Grundrechte eingegriffen hat".