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Lehrlinge verzweifelt gesucht

Von Michael Ortner

Politik
Shaffi Shinwari lernt im Mühlviertel Dachdecker. Ob er seine Ausbildung abschließen kann, ist ungewiss.
© Hochstöger

Betriebe bangen um Lehrlinge, die keine Bewilligung auf Asyl erhalten. Nun macht die Wirtschaft Druck auf die Regierung.


Wien. Shaffi Shinwari war ein Segen für Sylvia Hochstöger. Die Unternehmerin aus dem Mühlviertel beschäftigt 30 Mitarbeiter in ihrer Spenglerei. Aufträge gibt es genug, nur an Fachkräften mangelt es. "Wir bekommen kaum noch Bewerbungen, höchstens eine pro Jahr", sagt Hochstöger. Dachdecker ist ein Mangelberuf, es finden sich selten Lehrlinge. 2017 gab es laut AMS 19 Lehrstellensuchende auf 37 freie Lehrstellen. Ein ähnliches Ungleichgewicht herrscht bei den Spenglern. Hochstöger erzählt, dass mitunter Jahre verstrichen, in denen sie keinen einzigen Lehrling ausbilden konnte.

2016 hatte sie Glück. Sie konnte den jungen Afghanen Shinwari einstellen. Hochstöger engagierte sich in der lokalen Flüchtlingshilfe, sie hatte daher keine großen Bedenken, einen Asylwerber zu beschäftigen. "Die Integration am Land funktioniert sehr gut", sagt sie. Shinwari würde Tag und Nacht lernen, gute Noten schreiben, mit auf die Baustellen fahren. Seine Chancen, als Dachdecker übernommen zu werden, stehen gut.

Das Fremdenrecht machte Hochstöger jedoch einen Strich durch die Rechnung. Shinwaris Asylbescheid ist in erster Instanz negativ. Nun hängt die Abschiebung über ihm wie ein Damoklesschwert. Muss er Österreich verlassen, klafft in Hochstögers Betrieb ein Riesenloch. Ersatz findet sie so schnell keinen.

Das ist kein Einzelfall. Im März 2018 absolvierten österreichweit 805 Asylwerber eine Lehre. Das geht aus einer parlamentarischen Anfrage an das Sozialministerium hervor. Der Großteil von ihnen, rund 363 Asylwerber, sind in Oberösterreich beschäftigt. Dort ist die Lage besonders prekär. Ein Drittel ist von der Abschiebung bedroht. Seit Monaten kocht die Diskussion um Asylwerber in Ausbildung. Für die Wirtschaft sind die Asylwerber die Fachkräfte von morgen. Für die Politik zählt die Zahl der Abschiebungen. Ein Dilemma. Denn die Betriebe suchen händeringend nach Lehrlingen. Der grüne Integrationslandesrat Rudi Anschober aus Oberösterreich stellt sich hinter die Betriebe. Die von ihm initiierte Online-Petition "Ausbildung statt Abschiebung" hat mehr als 51.000 Unterstützer gefunden. 340 Unternehmen haben sich der Plattform bisher angeschlossen.

Asylwerber dürfen nicht arbeiten - Ausnahme: Lehre

Aus wirtschaftlicher Sicht sei es ein "Unsinn", Asylwerber, die in einer Ausbildung stecken, abzuschieben, sagte Neos-Wirtschaftssprecher Sepp Schellhorn. Und selbst in der ÖVP werden nun Stimmen laut, etwas gegen die Situation zu unternehmen. "Wenn er ordentlich integriert ist, Deutsch lernt und sich an die ausgemachten Werte hält, ist es nicht in Ordnung, zu sagen: Brich die Ausbildung ab und ab nach Hause", sagte Vorarlbergs Landeshauptmann Markus Wallner vergangene Woche.

Grundsätzlich dürfen Asylwerber so gut wie keiner Arbeit nachgehen (siehe Wissen). Bis zum Alter von 25 Jahren dürfen sie jedoch in Lehrberufen, in denen Mangel besteht bzw. in Mangelberufen eine Ausbildung beginnen - vorausgesetzt, es findet sich sonst niemand für diese Stelle. Diese Ausnahme basiert auf einem Erlass des Sozialministeriums aus dem September 2015. Damals war Rudolf Hundstorfer (SPÖ) Sozialminister. Es war der Herbst, in dem zehntausende Flüchtlinge nach Österreich strömten. Die Regierung wollte "vorausschauende Asylpolitik" betreiben. Die neue Regierung fährt im Gegensatz dazu jedoch einen harten Kurs. Ausbildung schützt nicht vor Abschiebung.

Die Unsicherheit ist groß - auch bei der Weberei Vieböck im Mühlviertel. Dort werden seit 180 Jahren Leinen- und Baumwollstoffe gefertigt. Ein Traditionsbetrieb, der jedoch zunehmend vom Fortbestand bedroht ist. "Wir haben die letzten fünf Jahre überhaupt keine ernsthafte Bewerbung bekommen", beklagt Geschäftsführer Johann Kobler. Das AMS war bemüht, Fachkräfte zu vermitteln, doch die Qualität der Bewerber war laut Kobler weit unter brauchbarem Niveau.

Bis Javad Mirzayee kam. Seinen Betreuern fiel im Asylheim auf, dass er technisch begabt ist. Er kam zum Schnuppern in den Betrieb. Der erste Eindruck war positiv. Javad wurde 2016 angestellt. Der junge Afghane lernt derzeit im zweiten Lehrjahr in der Leinenweberei. Die Berufsschule hat er bereits positiv abgeschlossen. "Ziemlich gut sogar", wie Kobler stolz erzählt. "Er hat sich in die Firma völlig integriert." Er spricht Deutsch auf B2-Niveau und spielt im örtlichen Fußballverein. Integration, wie sie so häufig gefordert wird. Ob er die Ausbildung jedoch abschließen kann, ist ungewiss. Sein Antrag auf Asyl wurde abgelehnt. Kobler könnte einen Arbeiter verlieren. "Wir sitzen auf Nadeln", sagt er.

Deutsche "3+2-Regelung"in Österreich nicht geplant

Die Lösung für das Dilemma sehen Anschober und Schellhorn in der deutschen "3+2-Regelung". Für Asylwerber besteht in Deutschland seit August 2016 die Möglichkeit, Anspruch auf Aufenthalt zu bekommen, wenn sie eine Berufsausbildung machen. Flüchtlinge können eine dreijährige Ausbildung absolvieren und danach zwei Jahre im erlernten Beruf beschäftigt werden. In dieser Zeit dürfen sie nicht abgeschoben werden. Gefordert haben dies in Deutschland die Arbeitgeber, um Rechtssicherheit zu haben. "Das Feedback der Unternehmen ist sehr positiv", sagt Katharina Toparkus von der Industrie- und Handelskammer für München und Oberbayern. Belastbare Zahlen, auf wie viele Asylwerber diese Regelung zutrifft, gibt es laut deutschem Innenministerium keine. Zum Vergleich: In Hamburg, einer Stadt von der Größe Wiens, machen insgesamt 738 Asylwerber eine Ausbildung. 113 von ihnen unter der "3+2-Regelung". Das System schafft Rechtssicherheit für die Unternehmen und die Asylwerber.

Wäre dies nicht auch für Österreich eine vorstellbare Regelung? "Eine 3+2-Regelung wie in Deutschland ist aktuell für Österreich kein Thema", lässt eine Sprecherin von Sozialministerin Beate Hartinger-Klein auf Anfrage wissen. Sie verweist auf die klaren Regelungen, nachdem Lehrlinge bei negativem Asylbescheid rückgeführt werden. Dabei ist im Regierungsprogramm noch von der "Schaffung eines Niederlassungstitels zur Absolvierung der Lehrausbildung" die Rede. Bis jetzt wurde dies noch nicht umgesetzt. Auch in der Fremdenrechtsnovelle ist davon nichts zu finden.

Bisher. Denn laut Rudi Anschober gebe es ÖVP-intern viel Diskussion darüber. Auch die Wirtschaftskammer würde Druck ausüben, dass die Regierung einen Passus in das Fremdenrechtsgesetz aufnimmt. Die Wirtschaftskammer Oberösterreich vertritt etwa "die klare Position, dass unbescholtene und gut integrierte Asylwerber, die sich in einer dualen Ausbildung befinden, nicht abgeschoben werden sollen."

Heute Entscheidungüber Shinwaris Asylantrag

Sylvia Hochstöger gibt die Hoffnung noch nicht auf. Heute, Dienstag, findet am Bundesverwaltungsgericht die Verhandlung über Shinwaris Asylantrag statt. Eine große Delegation aus Pabneukirchen reist mit. Bürgermeister, Deutschlehrer, Kollegen und Freunde wollen ihre Unterstützung demonstrieren. In der zweiten Instanz entscheidet sich, ob der junge Afghane bleiben und seine Ausbildung abschließen darf. Oder ob er nach Afghanistan abgeschoben und Hochstöger ein wichtiger Mitarbeiter genommen wird. "Ich habe so viel Zeit, Geld und Energie in seine Ausbildung gesteckt. Das wäre dann zum Fenster hinausgeworfen."

Im Gegensatz zu Asylberechtigten, also Flüchtlingen mit positivem Aufenthaltsstatus, haben Asylwerber keinen Zugang zum Arbeitsmarkt. Es gibt jedoch ein paar Ausnahmen:

1) Sie können nach einer Prüfung durch das AMS sechs Monate als Saisonarbeiter im Tourismus, der Land- und Forstwirtschaft und als Erntehelfer arbeiten.

2) Asylwerber bis zum Alter von 25 Jahren dürfen in Lehrberufen, in denen ein Mangel besteht, bzw. in Mangelberufen beschäftigt werden - wenn keine andere Person zur Verfügung steht. Jedes Bundesland hat eine eigene Mangelberufsliste.

3) Asylwerber können über den Dienstleistungsscheck haushaltstypische Dienstleistungen, etwa Gartenarbeit oder Kinderbetreuung, anbieten. Die Verdienstgrenze liegt bei 583,15 Euro monatlich. Voraussetzung für alle drei Varianten ist ein Asylverfahren, zu dem die Personen bereits seit drei Monaten zugelassen sind.

4) Sie dürfen unter bestimmten Voraussetzungen ein unentgeltliches Volontariat absolvieren.