Zum Hauptinhalt springen

"Wir sind keine Befehlsempfänger"

Von Brigitte Pechar

Politik

Mehr Arbeitszeitflexibilisierung kommt für die Gewerkschaft nur mit Arbeitszeitverkürzung infrage.


Wien. Der Österreichische Gewerkschaftsbund (ÖGB) stellt die Weichen neu. Beim ÖGB-Bundeskongress, der am Dienstag Nachmittag eröffnet wurde, übergibt ÖGB-Präsident Erich Foglar die Stafette an Wolfgang Katzian, den bisherigen Vorsitzenden der Gewerkschaft der Privatangestellten GPA-djp. Dessen Wahl beendet den Kongress am Donnerstag. Bundespräsident Alexander Van der Bellen und der neue Wiener Bürgermeister Michael Ludwig nahmen an der Eröffnung teil.

Die rund 500 Delegierten beschließen einen gemeinsamen Leitantrag aller sieben Teilorganisationen, der unter dem Titel "Faire Arbeit 4.0 - vernetzt denken, solidarisch handeln" steht. Bereits vor Beginn des Kongresses wählten die Fraktion sozialdemokratischer Gewerkschafter (FSG) und Fraktion christlicher Gewerkschafter (FCG) ihre Vorsitzenden. Die FCG bestätigte Norbert Schnedl in dieser Funktion. Schnedl ist auch ÖGB-Vizepräsident und Vorsitzende der Gewerkschaft Öffentlicher Dienst (GÖD). Er hielt ein Plädoyer für die Sozialpartnerschaft und erteilte allen Bestrebungen, die Selbstverwaltung in der Sozialversicherung zu beschneiden, eine Absage. Die AUVA müsse in vollem Umfang erhalten bleiben, sagte Schedl, der als ÖGB-Vize zur Wiederwahl ansteht. Die FSG wählte anstelle von Katzian den Vorsitzenden der Pro-Ge Rainer Wimmer zu ihrem neuen Vorsitzenden. Korinna Schumann wurde als FSG-Kandidatin für den Posten der Vizepräsidentin nominiert.

Die "Wiener Zeitung" sprach mit dem scheidenden Präsidenten über die Herausforderungen für die Gewerkschaft vor dem Hintergrund der Regierungsambitionen, die Sozialversicherung neu zu ordnen und den 12-Stunden-Tag einzuführen. Foglar (62) ist gelernter Werkzeugmacher. Seit 1987 war er in der Metaller-Gewerkschaft tätig, 2006 bis 2008 war er deren Zentralsekretär, am 1. Dezember 2008 wurde er als Nachfolger von Rudolf Hundstorfer designiert und 2009 gewählt.

"Wiener Zeitung": Der ÖGB versteht sich als Kampforganisation. Braucht der ÖGB einen Gegner wie die Regierung, an dem er sich reiben kann? Und steht dem nicht das Streben nach dem Aufrechterhalten einer funktionierenden Sozialpartnerschaft im Weg?

Erich Foglar: Der ÖGB vertritt in erster Linie Arbeitnehmerinteressen. Für soziale Gerechtigkeit kämpfen wir, seit es den ÖGB gibt. Die Wahl der Methoden ist äußerst unterschiedlich - von Verhandlungen über einen Kollektivvertrag, über Gesetze. Österreich hat mit der Sozialpartnerschaft seit 1945 ein Erfolgsmodell auf die Beine gestellt. Das heißt nicht, dass wir seither alles geschenkt bekommen haben. Wir mussten uns alles erkämpfen, sei es über Kollektivverträge, sei es über Gesetze. Wir haben uns nie gescheut, unsere Interessen deutlich kundzutun: von Protesten über Mitgliederbefragungen.

Arbeitskampf und Sozialpartnerschaft - ist das nicht ein Widerspruch?

Das schließt sich nicht aus, wie man an dem 72-jährigen Erfolgsmodell sieht. Drei Beispiele: Die goldene Zeit des Wiederaufbaus mit dem Lohn- und Preisabkommen als Geburtsstunde der Sozialpartnerschaft - damals gab es die meisten Streiks und Proteste. Die 60er Jahre mit der Abschaffung der freien Lohngruppen. Ab 2000 die Auseinandersetzungen mit Schwarz-Blau I, wo 200.000 Menschen am Heldenplatz demonstriert haben, wo es den Eisenbahnerstreik gab. Am Ende des Tages kann man Lösungen nur am Verhandlungstisch erzielen. Aber dass wieder ernsthaft verhandelt wird und dass man bereit ist, einen Kompromiss einzugehen, das muss man manchmal mit härteren Methoden herbeiführen. Daher sind Auseinandersetzungen der Sozialpartnerschaft wesensimmanent. Sozialpartnerschaft heißt nicht, dass die Interessengegensätze verschwinden. Im Gegenteil, die prallen sehr oft sehr hart aufeinander. In der Sozialpartnerschaft nähert man aber die Gegensätze aneinander an, am Ende steht oft ein Kompromiss. Das ist der Mehrwert für Arbeitnehmer und Arbeitgeber.

Aber der ÖGB bleibt trotzdem eine Kampforganisation?

Der ÖGB war eine Kampforganisation und wird es immer bleiben, weil er um soziale Gerechtigkeit kämpft. Denn es hat uns noch niemand eine Lohnerhöhung geschenkt, es hat uns noch niemand Entgeltfortzahlungen geschenkt, es hat uns noch niemand Urlaubswochen geschenkt.

Der ÖGB reibt sich an der Regierung, andererseits hat die Regierung sehr hohe Umfragewerte. Ist das für den ÖGB schwierig, mit ihr in den Infight zu gehen?

Auch der ÖGB hat nach den Bawag-Turbulenzen konstant gute Vertrauenswerte. Die guten Vertrauenswerte für die Regierung muss man hinterfragen. Denn wenn man die Menschen fragt, was sie von einer 60-Stunden-Woche halten, scheiden sich die Geister. ÖGB und AK haben die Mitglieder befragt - das Ergebnis ist eindeutig: 90 Prozent sind der Meinung, dass eine 60-Stunden-Woche und ein 12-Stunden-Tag auch künftig die Ausnahme sein sollen. Aber den Menschen ist noch nicht voll bewusst, was einzelne Maßnahmen für sie bedeuten. Sie machen sich nicht klar, was die Abschaffung der Notstandshilfe bedeutet, viele denken, dass sie davon ohnehin nicht betroffen sein werden. Davor müssen wir warnen, denn jeden kann Arbeitslosigkeit treffen. Einsparungen bei der Sozialversicherung von 500 Millionen Euro haben Folgen. Auch bei der Mindestsicherung braucht es Aufklärung. Die, die vorher immer nach Deutsch, Deutsch, Deutsch gerufen haben, kürzen jetzt die AMS-Deutschkurse und sagen gleichzeitig, dass Deutschkenntnisse Voraussetzung für die Mindestsicherung sind. Die Regierung informiert derzeit die Menschen zumindest nicht vollständig, oder sogar bewusst falsch - und das ist es, was es klar aufzuzeigen gilt. Das ist die Aufgabe des ÖGB.

Was ist die rote Linie des ÖGB? Ab wann beginnen Sie mit Eskalationsstufen?

Wir sind ja schon mitten drin. Wir hatten schon eine sehr große Vorständekonferenz, dort wurde beschlossen, dass in Betriebsrätekonferenzen informiert wird. Dort werden wir sagen, was die Folgen der Regierungsideen sind. Die Regierung ist zum Teil ahnungslos in der Sache, zum Teil ziellos und orientierungslos, zum Teil respektlos, was die Funktionäre betrifft, und zum Teil verantwortungslos, was die Menschen betrifft.

Aber was tun Sie, wenn die Regierung den 12-Stunden-Tag durchsetzt? Wir wissen ja noch nicht, wie das genau aussehen soll.

Genau das ist es. Wir sind mit ständigen Ankündigungen konfrontiert. Man darf jetzt schon 24 Wochen lang 12 Stunden am Tag oder 60 Stunden in der Woche arbeiten. Das ist mehr als die Hälfte des Jahres, wenn man von den 52 Wochen fünf Wochen Urlaub abzieht. Es geht darum, dass jetzt nur in bestimmten Ausnahmefällen 12 Stunden gearbeitet werden darf. Die Regierung will eine "generelle Höchstarbeitszeit von 12 Stunden pro Tag" und eine "generelle Höchstarbeitszeit von 60-Stunden pro Woche.

Gegen längere Arbeitszeit ab und zu hat wahrscheinlich niemand etwas.

Ab und zu ist das ja ohnehin möglich. Das ist ja ein alter Hut. Aber wir fordern: Je höher die gewünschte Flexibilität ist, desto niedriger muss die Gesamtarbeitszeit sein. Eine Vereinbarung über drei mal 12 Stunden und vier Tage frei unterschreibe ich sofort.

Das heißt, man braucht keine neuen Regelungen.

Wir brauchen keine Änderung, weil jetzt schon alles möglich ist. Zehn Stunden ist die normale Höchstarbeitszeit, 12 Stunden sind möglich - und darüber hinaus auch. Warum also setzt sich die Industrie so auf dieses Thema? Mit uns gibt es mehr Flexibilität nur mit einer Arbeitszeitverkürzung. Dann fangen wir morgen mit Verhandlungen an.

Sie standen fast zehn Jahre an der Spitze der Gewerkschaften. Was waren Ihre größten Erfolge?

Ich bin seit meiner Lehrzeit 1971 ÖGB-Mitglied und war drei Jahrzehnte in verschiedenen Funktionen. Das war eine tolle Zeit. Wir haben die Herausforderungen nach der Bawag-Krise gemeistert, es gibt einen Vertrauensgewinn nach diesem Tief.

Sowohl beim ÖGB als auch in der Wirtschaftskammer lenkt ab sofort ein neuer Kapitän. Harald Mahrer hat Christoph Leitl bereits abgelöst, Sie übergeben am Donnerstag an Wolfgang Katzian. Haben Sie Ratschläge für die beiden neuen Sozialpartnerspitzen?

Diese Ära war besonders gut. Wir habe einen de facto Mindestlohn erzielt. Das neue Team muss selbst neue Wege finden. Da heißt es, auf Augenhöhe verhandeln, mit Respekt voreinander. Wer glaubt, dass die Gewerkschaften Befehlsempfänger sind, irrt.