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Wo endet die Freiwilligkeit?

Von Simon Rosner

Politik
© Adobe Stock/hurca.com

Regierung und SPÖ deuten den Plan zur Arbeitszeitflexibilisierung radikal anders. Der Versuch einer Einordnung.


Wien. Donnerstag, in Wien. Der ÖGB-Bundeskongress war vorbei, Wolfgang Katzian zum neuen Gewerkschafts-Präsidenten gewählt, da brachten die Regierungsparteien ÖVP und FPÖ im nur ein paar U-Bahn-Stationen entfernten Nationalrat einen Initiativantrag mit Änderungswünschen zum Arbeitszeitgesetz und dem Arbeitsruhegesetz ein - die lang geplante Arbeitszeitflexibilisierung.

Die oppositionelle Aufregung im Parlament war groß: "Verrat", "Schweinerei", diverse Zwischenrufe, einige Ordnungsrufe, Unterbrechungen. Wenn es eine Überlegung der Regierung war, Opposition und Gewerkschaft auf dem falschen Fuß zu erwischen, ist sie aufgegangen. Denn so richtig, und auf allen Plattformen, kamen Kritik und ostenatives Entsetzen über das Vorhaben erst tags darauf, am Freitag, ins Rollen.

Zum einen entzündete sich der Ärger der Opposition am Vorgehen der Koalition, per Initiativantrag eine reguläre parlamentarische Begutachtung zu umgehen. Auch die Neos, die dem Plan grundsätzlich positiv gegenüberstehen, bezeichneten dies als "Frechheit gegenüber dem Parlament". Am Freitag boten ÖVP und FPÖ zwar noch einmal eine zweiwöchige Ausschussbegutachtung an, der SPÖ ist das aber zu wenig.

Auch die inhaltliche Kritik und deren Entgegnung wird nun mit großer Verve geführt. Was dem allgemeinen Durchblick allerdings nicht wirklich dienlich ist. In der Darstellung der Regierung hat sie eine "Modernisierung" des Arbeitsrechts beschlossen, sie nütze allen, wobei besonders der Gewinn für die Arbeitnehmer hervorgestrichen wird. Sie könnten nun längere Freizeitblöcke erhalten und damit mehr Zeit mit der Familie verbringen.

Arbeitnehmervertreter sowie die SPÖ verstehen den Plan der Regierung dagegen als "massiven Angriff auf die Rechte der Arbeitnehmer", wie etwa die Wiener SPÖ-Landesgeschäftsführerin Barbara Novak sagte. Im Vordergrund der Argumentation steht hier die Ausweitung der Höchstarbeitszeit. Von Vorteilen für Arbeitnehmer ist nichts zu hören, sondern davon, dass der 12-Stunden-Tag und die 60-Stunden-Woche nun zur Regel werden.

Ein schwammiger Begriff definiert die Freiwilligkeit

Zwischen diesen Deutungen passt das Klavierspiel Friedrich Guldas. Die Unterschiede in den Sichtweisen sind riesig. Was stimmt also nun? Oder stimmt doch beides - irgendwie? Die Regierung betont jedenfalls die Freiwilligkeit. Niemand, der nicht wolle, müsse mehr arbeiten. Das schrieb auch Vizekanzler Heinz-Christian Strache auf seiner Facebook-Seite, auf der er bei diesem Thema mehr Widerspruch als sonst erhielt.

Die Freiwilligkeit steht allerdings nicht im Gesetz, sondern die Formulierung, dass Überstunden für die 11. und 12. Arbeitsstunde bei "überwiegendem persönlichen Interesse" abgelehnt werden kann. Das ist ein schwammiger Begriff, allerdings ist dies nicht neu. Bereits jetzt ist gesetzlich festgeschrieben, dass Überstunden nur dann angeordnet werden können, wenn "berücksichtigungswürdige Interessen des Arbeitnehmers nicht entgegenstehen". Diese Bestimmung bleibt auch unverändert.

Ausnahmen werden einfacher und länger

Doch schon jetzt haben Arbeitgeber unter bestimmten Umständen ("erhöhter Arbeitsbedarf") die Möglichkeit, dennoch Mehrarbeit verlangen zu können. In diesen Fällen ist nun eine Ausweitung geplant, sowohl der täglichen Arbeitszeit von zehn auf zwölf Stunden als auch der Wochenarbeitszeit von 50 auf 60 Stunden. Den Arbeitnehmern räumt die Novelle aber das Recht ein, bei einem "überwiegenden persönlichen Interesse" abzulehnen. Dies interpretieren die Regierungsparteien als Freiwilligkeit.

Doch wäre die Geburtstagsfeier der Oma ein gültiges "persönliches Interesse"? Oder eine Yoga-Stunde, die dem Erhalt der Gesundheit dient? "Es wird immer eine Grauzone bleiben", sagt Birgit Vogt-Majarek, Arbeitsrechtlerin bei der Rechtsanwaltskanzlei Kunz, Schima, Wallentin. "Es ist eine klassische Interessensabwägung, es gilt, die Interessenslagen der Arbeitnehmer und Arbeitgeber zu berücksichtigen."

Für Vogt-Majarek ist das Vorhaben der Regierung auch eine Legalisierung längst gelebter Praxis. Heute stelle sich oft die Frage, wie man es in der Arbeitszeiterfassung unterbringe, wenn Beschäftigte mehr arbeiten wollen. Sie gibt aber auch zu bedenken, dass dies öfter bei höher qualifizierten Jobs der Fall ist.

Das ist auch ein wichtiger Punkt, der bei der unterschiedlichen Deutung von Regierung und SPÖ zentral ist. "Es ist abgehoben und realitätsfremd zu glauben, dass eine Kassiererin oder ein Bauarbeiter ihren Chefs sagen können, dass sie heute ,leider‘ keine Überstunden machen können. Diese Form der ,Freiwilligkeit‘ endet in den allermeisten Fällen mit einer Kündigung und somit beim AMS", schreibt SPÖ-Chef Christian Kern in einem Statement.

Unterschiedliche Folgen für unterschiedliche Jobs

Inwieweit 12-Stunden-Tage oder 60-Stunden-Wochen schon jetzt Realität sind, lässt sich empirisch nicht sagen. "Das wird ja nicht dokumentiert", sagt Helmut Mahringer, Arbeitsmarktexperte des Wifo. "Es ist logisch, dass Flexibilisierungsinstrumente unterschiedliche Folgen haben. Es hängt davon ab, wie stark die Position des Arbeitnehmers und des Arbeitgebers ist", sagt er. Dass in Jobs, in denen ein Dienstgeber sehr leicht adäquaten Ersatz finden kann, ein mehrmaliges Ablehnen von erbetenen Überstunden andere Konsequenzen hat, als bei Jobs, für die es wenig geeignete Bewerber gibt, ist naheliegend.

Regierungsvertreter verweisen bei dem Thema allerdings auch auf ein Papier der Sozialpartner aus dem Vorjahr. Ihr Vorschlag orientiere sich an diesem. Offiziell gibt es freilich dieses Papier nicht, es fiel im Lichte der Nationalratswahl in den ÖGB-Gremien durch. Tatsächlich war in dieses Papier (es liegt der "Wiener Zeitung" vor) eine deutliche Erleichterung für Zwölf-Stunden-Tage hineingeschrieben worden. Auch im Plan A von Kern war diese Möglichkeit grundsätzlich enthalten.

Die genaue Ausgestaltung ist aber bedeutend, will man den Druck auf jene Arbeitnehmer, die aufgrund ihrer schwachen Stellung schutzbedürftig sind, nicht erhöhen, gleichzeitig aber wirklich freiwillige Überstunden ermöglichen. "Die Heterogenität des Arbeitsmarktes macht es so schwer, dies zu regeln", sagt Mahringer. Die legistische Herausforderung ist groß. Dass aber eine schwarz-blaue Regierung Wirtschaftsinteressen stärker gewichtet als dies eine SPÖ-geführte Regierung tun würde, ist andererseits allerdings logisch.

Ein Punkt, der in dem Sozialpartner-Papier eine Berücksichtigung fand, im Gesetzesvorhaben vorerst aber nicht, ist der gesundheitliche Aspekt, konkret eine "arbeitsmedizinische Unbedenklichkeit". Für Arbeitsrechtlerin Vogt-Majarek bieten dafür die gegenwärtigen Arbeitnehmerschutzbestimmungen ausreichend Vorsorge. Andererseits: Dass bei Mehrarbeit die gesundheitliche Belastung steige sowie auch die Produktivität sinke, sei empirisch abgesichert, sagt Mahringer.