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Der gefallene Liebling

Von Daniel Bischof

Einst war er der Shootingstar. Nun sagt Karl-Heinz Grasser als Angeklagter aus. Triumph und Tragik eines Aufsteigers.


Wien. Alle waren sie gekommen: Politiker, Wirtschaftsbosse, Journalisten, Schaulustige, Paparazzi. Im idyllischen Weißenkirchen in Niederösterreich fanden sie sich am Samstag, dem 22. Oktober 2005, ein. Ein ganz besonderer Mann hatte zu seiner Hochzeit geladen: Karl-Heinz Grasser, Finanzminister, Medienstar und Publikumsliebling. Als Meister der Inszenierung sollte er seine Gäste nicht enttäuschen.

12.000 Rosenblätter wurden aus einem Red-Bull-Flugzeug über Grasser und seiner Frau Fiona Swarovski abgeworfen. Lächelnd stellte sich das Brautpaar vor der Kirche dem Blitzlichtgewitter der Fotografen. Von einer "sehr romantischen" Hochzeit, die "voller Wärme" gewesen sei, schwärmten die Besucher. Und auch der anwesende Bundeskanzler Wolfgang Schüssel (ÖVP) verlieh das Prädikat "sehr schön".

An diesem Herbsttag war die Welt für Grasser noch in Ordnung. Die Medien lagen ihm zu Füßen: Die Nachrichtenagentur APA verschickte alleine am Hochzeitstag sechs Meldungen zur Trauung. Als "Liebling der Nation" bezeichnete ihn der ORF damals aufgrund seiner hohen Popularitätswerte. Nichts schien den Höhenflug des eloquenten Kärntners stoppen zu können.

Doch knapp 13 Jahre später ist er tief gefallen, der einstige Liebling. Zwar umschwirren ihn an diesem Dienstag, dem 19. Juni 2018, im Großen Schwurgerichtssaal des Wiener Straflandesgerichts erneut die Kameraleute und Fotografen. Doch niemand macht ein Bild von Grasser, dem aufstrebenden Politiker, dem charmanten Shootingstar. Nein, nur Grasser, der Gefallene, der Angeklagte im Buwog-Prozess, ist das Motiv. Längst verschwunden ist der Glanz früherer Tage.

Vom Hochgejubelten zum Gefallen: Die Geschichte Grassers ist eine Geschichte der Extreme, eine Geschichte eines imposanten Aufstiegs und eines noch imposanteren Falles. 1969 in eine Unternehmerfamilie geboren, kostet der junge Kärntner alsbald vom Nektar der Macht. Im März 1992 holt ihn der Kärntner Landeshauptmann Jörg Haider als Mitarbeiter in den FPÖ-Parlamentsklub. 1993 ist er bereits freiheitlicher Generalsekretär, 1994 wird er in Kärnten zum zweiten Landeshauptmannstellvertreter gewählt.

Ein kurzes Zerwürfnis

1998 zerwirft sich Grasser mit Haider. Grasser dockt beim Autozulieferer Magna an, wo er Konzern-Sprecher wird. Doch sein Abschied von der Politik währt nicht lange. Haider und Grasser versöhnen sich, 2000 wird der 31-jährige Grasser unter Schwarz-Blau zum jüngsten Finanzminister aller Zeiten. Grasser, Experte der Selbstvermarktung, erklimmt rasch die Popularitätsskala. Er ist eloquent, charmant, fesch. Der Minister kommt einfach gut an. Als der perfekte Schwiegersohn wird er vielfach beschrieben.

Innerparteilich brodelt es jedoch. Die FPÖ demontiert sich beim Putsch in Knittelfeld 2002 selbst, Grasser verlässt die Partei. Schüssel landet einen Coup, indem er Grasser als Parteifreien in sein Team holt. Die Nationalratswahlen 2002 gewinnt die ÖVP auch dank der Popularität von Grasser, der viele Ex-FPÖ-Wähler dazu bringt, das Kreuzerl bei den Schwarzen zu machen, haushoch.

In der Regierung Schüssel II wird Grasser erneut Finanzminister. Zugleich taucht aber eine Hürde auf. 2003 wird bekannt, dass Grasser sich von der Industriellenvereinigung über den "Verein zur Förderung der New Economy" für 283.000 Euro eine PR-Website sponsern ließ. Mehrmals wird überprüft, ob der Minister dafür korrekterweise keine Steuern gezahlt hat. Die Behörden sehen kein Fehlverhalten, die schiefe Optik bleibt jedoch. Grasser gerät kurz ins Taumeln, fällt aber nicht.

Auch weitere Vorfälle, wie etwa die Jachtreise, die er 2005 mit den Bankern Wolfgang Flöttl und Julius Meinl unternimmt, beenden seine Karriere nicht. Ganz im Gegenteil, sein Aufstieg geht weiter. Seine Hochzeit mit Fiona Swarovski wird zum Großevent. Grasser glänzt am internationalen Parkett, im deutschen Fernsehen ist er ein begehrter Gast, 2006 tritt er in "Wetten, dass..?" auf. Die Initialen KHG werden zum Markenzeichen. Knackige Sprüche wie "Ein guter Tag beginnt mit einem sanierten Budget" schlagen ein.

Nach der überraschenden Niederlage der ÖVP bei der Nationalratswahl 2006 nimmt Schüssel den Hut. Doch wer soll unter Alfred Gusenbauer (SPÖ) Vizekanzler werden? Natürlich der beliebte Grasser, meinen Schüssel und andere ÖVP-Granden. Letztlich wird die Bestellung aber von Andreas Khol, Obmann des ÖVP-Seniorenbundes, unter Verweis auf Grassers mangelnde christlich-soziale Prägung verhindert.

Die Stimmung kippt

Er zieht sich aus der Politik zurück. Investmentbanken wie Goldman Sachs und Citigroup sind an ihm interessiert. Doch aus der internationalen Finanzkarriere wird nichts. Inwiefern das auch an den Fotos im Society-Magazin "Vanity Fair" liegt, die Grasser mit nacktem Oberkörper zeigen, ist ungewiss. Er bleibt jedenfalls in Wien, arbeitet etwa im PR-Sektor, wird Manager bei Meinl International Power und bleibt im Medienfokus.

Doch 2009 wendet sich das Blatt. Die ersten Vorwürfe in der Causa Buwog tauchen auf. Die Stimmung kippt. Gerade noch das Liebkind der Presse, stürzt sich diese nun auf ihn. Der Shootingstar wird zum Geschmähten. Spottlieder ergießen sich über ihn. Je höher der Aufstieg, desto tiefer der Fall: Das alte Sprichwort trifft hier mit Wucht zu. Auf Triumph folgt Tragik.

In den folgenden Jahren verwirrt sich das Knäuel der Korruptionsvorwürfe zunehmend. Anfangs bezieht Grasser noch Stellung. Er sieht sich als Opfer von Neidern und einer Politjustiz. Auch die Medien, in deren grellem Licht er sich zuvor noch gerne sonnte, greift er an. Zuletzt macht er sich rar. Im Rampenlicht steht Grasser wieder, seit im Dezember 2017 die Hauptverhandlung im Buwog-Prozess begonnen hat. Und trotz der Wendungen bleibt sich Grasser in einem Punkt treu. Er inszeniert sich.

Vor dem Verhandlungsbeginn nimmt Grasser nicht, so wie die anderen Angeklagten, auf der Anklagebank Platz. Stattdessen stellt er sich zur Wand hin. Nur aufrecht stehend lässt er sich fotografieren. Erst wenn die Fotografen und Kameraleute den Saal verlassen haben, setzt er sich hin. So sind sie zwar alle seinetwegen gekommen. Doch das eine Fotomotiv, das bekommen sie nicht.