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"Ich halte meine Arbeit für hochpatriotisch"

Von Benjamin Schacherl

Politik

Barbara Preitler therapiert Menschen, die Folter und Krieg hinter sich haben. Sie warnt vor einer "Bumerang-Politik".


Kunst als Therapie: Erlebtes Grauen mit kreativen Mitteln ausdrücken zu können, hilft bei der Verarbeitung des Schreckens.
© Hemayat

Wien. Anlässlich des "World Refugee Day" haben die Vereinten Nationen in ihrem aktuellen Bericht auf eine Rekordzahl hingewiesen: Weltweit sind mehr als 68 Millionen Menschen auf der Flucht. Die Zahl jener, die Schutz vor Gewalt, Krieg, Verfolgung und Zerstörung suchen, ist damit das fünfte Jahr in Folge gestiegen. Neben einem sicheren Ort brauchen viele geflüchtete Menschen auch dringend psychotherapeutische Hilfe, um mit den traumatisierenden Erlebnissen von Krieg und Flucht nicht alleine zu sein.

Dieser Aufgabe widmet sich der Wiener Verein "Hemayat". Gemeinsam mit zwei Ärzten hat Barbara Preitler 1994 "Hemayat" gegründet. Der spenden- und förderfinanzierte Verein bietet Kriegsgeflüchteten und Folterüberlebenden kostenlos psychotherapeutische Hilfe an. Das Wort "Hemayat" stammt aus dem Arabischen und Persischen und bedeutet "Schutz" oder "Betreuung". Genau diese stellt Preitler gemeinsam mit den anderen 48 Therapeuten und Therapeutinnen zur Verfügung. Im Interview erklärt sie, welche Auswirkungen Abschiebungen für das österreichische Gesellschaftsgefüge haben können, warum ihre Arbeit einen politischen Auftrag mit sich bringt und sie den größten Wunsch ihrer Klienten und Klientinnen nicht erfüllen kann.

"Wiener Zeitung":Sie therapieren Menschen, die Krieg und Folter überlebt haben. Ist das Bewusstsein für seelische Verletzbarkeit ausreichend ausgeprägt?Barbara Preitler: Ich wundere mich schon über unsere Gesellschaft, weil es eine Abwehrhaltung gibt. Man möchte mit dem Leid anderer nicht konfrontiert werden. Es macht natürlich etwas mit einem, zu wissen, dass diese Formen menschlicher Grausamkeit überhaupt möglich sind. Menschenrechtsverletzungen passieren ja nicht einfach so. Sie werden immer von anderen Menschen begangen. Wenn wir da nicht wegschauen, kann das unser Weltbild ziemlich erschüttern.

Stoßen Sie seitens Ihrer Klienten auch auf Vorbehalte gegenüber einer Therapie?

Das Wichtigste ist immer, Sicherheit herzustellen, und das kann lange dauern. Wir sind viel mehr Frauen als Männer bei Hemayat. Beziehungen zu Frauen sind anfangs oft angstfreier zu gestalten, weil beinahe alle Gewaltakte von Männern ausgehen. Im Idealfall erfahren die Klienten und Klientinnen, dass angstfreie Beziehungen mit Frauen und Männern gleichermaßen möglich sind. Neben der eigentlichen Arbeit bedeutet Psychotherapie mit Folterüberlebenden in Österreich aber auch, dass wir einen politischen Auftrag haben.

Barbara Preitler ist Psychologin, Psychotherapeutin, Supervisorin und arbeitet als Lektorin an verschiedenen Universitäten. Ihre Schwerpunkte umfassen Psychotraumatologie, komplizierte Trauer, interkulturelle psychosoziale Betreuung und Krisen intervention in verschiedenen Projekten in Europa und Südasien. Zuletzt erschien im Studienverlag ihr Werk "An ihrer Seite sein. Psychosoziale Betreuung von traumatisierten Flüchtlingen". In dem Buch richtet sich Preitler an jene Menschen, die sich ehrenamtlich im Bereich der Flüchtlingsbetreuung engagieren, und bietet einen Leitfaden für den Umgang mit Geflüchteten.
© Benjamin Schacherl

Warum?

Wenn man mit Flüchtlingen arbeitet, macht man eine klare Aussage. Wir prangern Menschenrechtsverletzungen an und machen uns dafür stark, dass jene, die in ihren Menschenrechten massiv verletzt worden sind, einen Platz in Sicherheit bekommen. Die Anti-Folterkonvention der Vereinten Nationen, die Österreich 1987 als Gesetz ratifiziert hat, besagt im Artikel 14, dass Menschen, die Folter erlitten haben, ein Recht auf Wiedergutmachung haben.

Sehen Sie dieses Recht ausreichend gewährleistet?

Da ist Luft nach oben. Leider muss man das heute wieder stärker betonen. Es ist eine sehr merkwürdige Gegenbewegung entstanden. Alleine das Wort Asylwerber ist ein Blödsinn.

Warum?

Ich kann mich um einen Job bewerben, aber doch nicht um ein Menschenrecht. Das Wording geht in Richtung Bittsteller. Wenn schon Menschenrechtsverletzungen passieren, muss wenigstens das Menschenrecht auf Rehabilitation gewährleistet sein. Das ist kein Gnadenakt. Gleichzeitig wird Zuwanderung von der überwiegenden Öffentlichkeit skeptisch betrachtet. Gerade in Zeiten wie diesen heißt das für uns, auf der Seite jener zu stehen, die keine Stimme haben. Wir arbeiten aber im Rahmen von Asylgesetzgebungen, die nie stabil sind. Kaum tritt etwas in Kraft, wird die nächste Veränderung im Parlament diskutiert und die übernächste medial vorbereitet. Wenn unsere Gesellschaft menschenfreundlicher wäre, müssten wir nicht immer wieder aufs Neue Krisenbewältigung mit unseren Klienten und Klientinnen machen.

Welche Krisen müssen sie bewältigen?

Negative Asylbescheide, deren Logik menschlich und mit allgemeinem Demokratieverständnis nicht zu ergründen sind, WG-Schließungen oder wenn Lehrlinge aus einer Ausbildung gerissen werden. Viele Menschen leben in panischer Angst davor, abgeschoben zu werden. Das alles widerspricht zutiefst meinem österreichischen Demokratieverständnis, das auf Menschenrechten beruht. Mir geht es durchaus um dieses Österreich. Ich halte meine Arbeit für hochpatriotisch. Ich will in einem Land leben, in dem man sich sicher fühlt und alle auf eine faire Art und Weise miteinander leben.

Was braucht es von der Politik?

Es sollte dringend der Sicherheitsbegriff hinterfragt werden. Wir würden viel mehr für die Sicherheit tun, wenn man in den psychosozialen Bereich investiert. Dass man den Schwammerlsuchern zwischen der Steiermark und Slowenien Zäune hinstellt, bringt meines Erachtens nichts für die Sicherheit. Das belastet nur unseren Staatshaushalt.

Inwiefern leistet psychosoziale Arbeit einen Beitrag zur Sicherheit?Sicherheit schaffe ich da, wo ich Menschen die Möglichkeiten gebe, sich sicher zu fühlen. Dann gibt er ein Stück Sicherheit nach außen ab. Und Menschen, die in sich selbst ruhen können, sind viel weniger anfällig für populistische Verführer.

Hat die Arbeit mit traumatisierten Geflüchteten einen gesamtgesellschaftlichen Nutzen?

Ja, weil wir dort Sicherheit geben können, wo sie durch ein Trauma zerstört wurde. Für Gefolterte ist es oft schon eine unglaubliche Herausforderung, mit einem anderen Menschen in einem geschlossenen Raum zu sein. Menschen, die von hinten angegriffen wurden, haben jahrelang Schwierigkeiten damit, wenn jemand hinter ihnen geht. Es geht darum, die psychische Sicherheit wiederherzustellen. Abschiebungen hingegen besiegeln Schicksale - und zwar auch von Österreichern.

Inwiefern?

Denken Sie an die vergangenen Abschiebungen von Kindern nach Tschetschenien und Afghanistan. Wenn im Alter von elf Jahren mein Schulkamerad abgeschoben wäre, hätte das mein Weltbild zertrümmert. Das wurde einer ganzen Klasse voller Kinder angetan. Was hat das bei den Klassenkollegen angerichtet? Es wird eine Bumerang-Politik betrieben, die ganz schnell die Mitte unserer Gesellschaft erreicht. Sicherheit geht anders. Der Wahlkampf zur Nationalratswahl 2017 hat gezeigt, dass man mit den Sorgen der Menschen viele Wählerstimmen gewinnen kann. Ich glaube aber nicht, dass die Willkommenskultur tot ist. Sie ist nur medial verschwunden. Ich war in den letzten zwei Jahren viel in Österreich unterwegs. Es war unglaublich zu sehen, was es da für tolle Initiativen gibt. Das Miteinander stellt für beide Seiten eine Bereicherung dar. Ich wünsche mir, dass das weiterhin bestehen darf.

Wodurch sehen Sie die Entwicklung bedroht?

Das Gegeneinander-Ausspielen muss aufhören. Ich behaupte nicht, dass alle Ausländer gute Menschen sind. Die Gefahr besteht immer, dass man bei vorherrschendem negativen Rassismus in einem Pendelschlag in positiven Rassismus verfällt. Es sind Menschen, noch dazu traumatisierte. Natürlich ist da ein Problemfeld gegeben. Aber für wie schwach halten wir eigentlich unser Justizsystem, wenn wir anfangen, bei Straffälligkeit sofort nach Abschiebung zu rufen? Ich vertraue darauf, dass unser Justizsystem mit normaler Kriminalität fertig wird - ohne zwei vollkommen verschiedene Rechtssysteme vermischen zu müssen.

Was wünschen Sie sich?

Mehr Differenziertheit in der Betrachtung. Es gibt immer dieses Schwarz-Weiß-Denken. Im Herbst 2015 war mir auch ein bisserl gruselig, dass alles so weiß war. So funktioniert das Leben nicht. Es war klar, dass der Kippeffekt kommt. Das war dann Silvester 2015 in Köln. Früher habe ich mir immer mehr mediale Aufmerksamkeit für Flüchtlinge gewünscht, jetzt hätte ich gern weniger. Manchmal wäre es gut, mehr Ruhe zu haben.

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